# taz.de -- Prominachrufe von Promis: „Ich bin komplett im Arsch“ | |
> Cohen, Lustig, Limbach, Castro, Berger: Nur einige bekannte | |
> Persönlichkeiten, die 2016 gestorben sind. Wir haben Prominente um | |
> Nachrufe gebeten. | |
Bild: Erika Berger (links oben), Peter Lustig (darunter), Fidel Castro (Mitte o… | |
Thees Uhlmann über Leonard Cohen | |
Ich durfte kurz vor der Millenniumswende Tocotronic einen Sommer und einen | |
Winter als Backliner und Fahrer begleiten. Es war mit die schönste Zeit | |
meines Lebens. Jeder Tag war ein Abenteuer, an dem immer genau dasselbe | |
passierte. Ich kutschierte meine Lieblingsband irgendwohin, baute für sie | |
auf, schaute mir von der Seite das Konzert an, zweimal riss eine Saite, die | |
ich dann flickte, nach dem Konzert packte ich zusammen und fuhr alle ins | |
Hotel, dann gab es noch was zu trinken, drei Stunden Schlaf und weiter. | |
Wir hatten damals Mixtapes – die Älteren mögen sich erinnern – gemacht, u… | |
kurz bevor wir schon im Dunklen bei Rock am Ring ankamen und mit einem | |
alten, schweren Mercedesbus die Serpentinen bewältigten, lief ein Tape von | |
Dirk von Lowtzow, und er sang Cohens Song „Avalanche“ mit seiner tiefen und | |
schönen Stimme mit. | |
Am Montag nach dem Festival ging ich zu Zweitausendeins – dort kaufte man | |
damals die Classic-CDs, wenn man nicht soviel Geld hatte –, nur um wieder | |
diesen Song zu hören. Und ich dachte: Cool, ein Song über das Buch, das | |
mein Bruder mal gelesen hat! „Die Nebel von Avalon“. | |
Es sind die Fehler, die die Liebe erst richtig schön machen. | |
So, ich muss jetzt zum Feine-Sahne-Fischfilet-Konzert und habe beim | |
Schreiben die ganze Zeit Leonard Cohen gehört. Ich bin komplett im Arsch. | |
Wie traurig das ist, dass er nicht mehr singt, aber für uns vielleicht sein | |
wichtigster Satz: „We are ugly but we have the music.“ | |
Thees Uhlmann, 42, ist Musiker und Autor | |
*** | |
Lilo Wanders über Erika Berger | |
So viele berühmte Tote dieses Jahr 2016. Besonders berührt hat mich, dass | |
meine Freundin Erika Berger im Mai überraschend starb. In meinem Beruf als | |
Schaustellerin, Kabarettistin, Moderatorin gibt es engere Freundschaften, | |
als die Berichterstattung in den bunten Medien ahnen lässt. In der | |
Garderobe vor gemeinsamen Auftritten, beim Zusammensein während einer | |
Aufführungsserie, beim zufälligen Aufeinandertreffen bei gesellschaftlichen | |
Anlässen – wir vom unterhaltenden Volke sitzen in einem Boot, sprechen | |
unsere eigene Sprache und reden untereinander oft tiefgründiger über | |
intimste Angelegenheiten als mit den engsten Lebensbegleitern. Das wirkt | |
von außen gesehen flüchtig, ist aber oft sehr intensiv und der | |
Gesprächsfaden wird beim nächsten Treffen wieder aufgenommen. | |
So ging es mir mit Erika seit der ersten Begegnung. Ich hatte im Sommer | |
1994 die Moderation von „Wa(h)re Liebe“ übernommen und wir waren im Winter | |
94/95 gemeinsam zu Gast in einer Spiegel-TV-Sendung, die – lasst mich raten | |
– um Sexualität kreiste. In den 60er Jahren hatte Oswalt Kolle die | |
Deutschen über das Basiswissen zum Thema Liebe, Sex, Erotik informiert, in | |
den 80ern wurde Erika Berger bei RTL berühmt durch ihre Call-in-Sendung | |
„Eine Chance für die Liebe“ und in den 90ern gab es die Magazine „Liebe | |
Sünde“, „Peep“ und eben „Wa(h)re Liebe“, die als Unterhaltungsformat… | |
Information und Aufklärung lieferten. | |
Bei unserem ersten Treffen im Studio hatte die Maskenbildnerin versäumt, | |
Erikas Ohren zu schminken; draußen war es kalt, im Studio war es warm, und | |
so fingen ihre Ohren nach kurzer Zeit an, knallrot zu leuchten. Unser | |
Lachen darüber war der erste echte Kontakt. Wie überhaupt ihr Lachen das | |
ist, was mir in Erinnerung bleiben wird. Ein Zeichen großer Lebensfreude – | |
obwohl sie, sie mag mir verzeihen, dass ich es sage, keinen Sinn für | |
hintergründigen Humor hatte. | |
Ein paar Mal war sie in den folgenden Jahren Gast bei mir in der Sendung, | |
und hinterher saßen wir bis spät in die Nacht zusammen. Sie erzählte von | |
der AIDS-Infektion eines nahen Verwandten; sie erzählte, dass sie in ihrer | |
Jugend lange geglaubt hatte, ein Mädchen werde durch einen Kuss schwanger; | |
sie erzählte, dass es ihr nach der repressiven Erziehung im tiefsten Bayern | |
lange Zeit nur möglich gewesen war, sich schriftlich mit Sexualität zu | |
beschäftigen – darüber schreiben ja, darüber sprechen: nein. Wir haben uns | |
viel anvertraut; sie wusste alles über mich und ich über sie, und wir | |
telefonierten oft. | |
Jahre später schrieben wir gemeinsam ein sehr mainstreamiges Büchlein unter | |
dem Titel „Deutsch – Sex / Sex – Deutsch“ und schickten uns unsere Kapi… | |
zum Drüberschauen per Mail. Bei den Treffen zum Buch und später bei der | |
Lesereise wurden wir enge Freundinnen. | |
Erika Berger war eine lebensfrohe Frau. Reingeschlittert mit 20 in eine | |
frühe Ehe, Mutter zweier Kinder, wagte sie es, aus der einengenden | |
Beziehung auszubrechen, ließ dabei ihre Kinder zurück, traf ihren zweiten | |
Mann Richard Mahkorn und wurde Journalistin. | |
Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes 2007 übernahm sie seine Firma, die | |
unter anderem für die Ausrichtung des Deutschen Fernsehpreises zuständig | |
war. Sie wurde auch hinter den Kulissen als Geschäftsfrau erfolgreich. | |
Und sie fand einen neuen, 20 Jahre jüngeren Lebensgefährten, mit dem sie | |
sehr glücklich war. Sie kannte sich aus mit allem, was das Leben lebenswert | |
macht – mit Sex, gutem Essen, herausragenden Weinen. Sie tat viel dafür, | |
trotz fortschreitender Jahre, agil zu bleiben. Fitness-Studio, | |
Körperpflege, Nahrungsergänzungsmittel und Hormone, sie probierte es aus, | |
aber sie war sich auch bewusst, damit vielleicht ein überraschendes Ende | |
herbeizuführen. Es war ihr egal – sie genoss das Leben und jeden | |
Augenblick. Ich habe Erika Berger sehr geliebt. | |
Lilo Wanders, 61, Schauspielerin und Travestiekünstler, moderierte die | |
Sendung „Wa(h)re Liebe“ auf Vox | |
*** | |
Ralph Caspers über Peter Lustig | |
Peter Lustig habe ich nur ein einziges Mal in meinen Leben getroffen. | |
Trotzdem kam er mir wie ein Verwandter oder alter Bekannter vor: Sein | |
Gesicht und seine Art zu reden waren mir so vertraut, als hätten sie mich | |
mein ganzes Leben lang begleitet. | |
So war es ja auch. | |
Mein Babysitter war der Fernseher. Ich konnte meine ganze Kindheit lang | |
gucken, was ich wollte. Und ich wollte vor allem „Löwenzahn“ sehen. Ich | |
wollte sein, wie die kleine grüne Blume im Vorspann, die zum Klang der | |
Gitarre den Asphalt aufbricht. (Ich weiß nicht, warum, aber ich mache ganz | |
automatisch eine Faust, während ich das tippe. Was das Tjppkllmnkekn njfht | |
lrichter mmascht.) | |
Als ich Peter Lustig in Kleinmachnow am Set von „Löwenzahn“ nach den | |
Dreharbeiten besuchte, hatte ich schon lange keine Sendungen mehr von ihm | |
gesehen. Frühkindliche Prägung sei Dank fühlte ich mich in dem Bauwagen | |
trotzdem sofort zu Hause. Er rauchte Zigarette und war bereit für ein | |
Interview zum Thema „Macht Fernsehen dumm?“. Die meisten Fragen auf meinem | |
Zettel hatte ich vergessen zu stellen, weil es so schön war, ihm zuzuhören, | |
wenn er mir Sachen erzählte, so wie er es immer getan hatte. Im Fernsehen. | |
Mit seiner Art, immer sanft, immer irgendwie leicht außer Atem. Dabei | |
erfuhr ich zum Beispiel, dass er Lungenkrebs hatte und mit nur noch einem | |
Lungenflügel auskommen musste. Deshalb die Stimme! | |
„Ist es dann nicht blöd, weiter zu rauchen?“, wollte ich wissen. Er | |
lächelte und sagte: „Lungenkrebs kriegt man nur einmal.“ Was für mich so | |
klang wie „beim zweiten Mal bist du tot“. Das war vor ungefähr 15 Jahren. | |
Und wie war das mit der Dummheit und dem Fernsehen? Seine Antwort war: „Das | |
Fernsehen macht dumme Menschen dümmer. Und kluge Menschen klüger.“ | |
Ich glaube, ich hatte den besten Babysitter. | |
Ralph Caspers, 44, moderiert „Die Sendung mit der Maus“ | |
*** | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Jutta Limbach | |
Im Jahre 1992 bin ich auf der Konferenz der Justizministerinnen und | |
Justizminister der Länder Jutta Limbach zum ersten Mal begegnet. Sie, die | |
damals schon erfahrene Justizsenatorin Berlins, war es, die mir als | |
Konferenz-Novizin und frisch ernannte Bundesministerin der Justiz mit ihrer | |
juristisch-fachlichen Kompetenz und ihrer wohlmeinenden Offenheit den Start | |
erleichterte und mir über die Skepsis meiner Amtskollegen hinwegzuhelfen | |
suchte. Seit dieser Begegnung hat mich meine Gewissheit nicht mehr | |
verlassen, in Jutta Limbach einen in vielen Hinsichten außergewöhnlichen, | |
vor allem vertrauenswürdigen Menschen kennengelernt zu haben. | |
Jutta Limbach war eine herausragende Juristin, der man anmerkte, dass sie | |
sich nicht nur mit den rechtsdogmatischen und handwerklichen, sondern auch | |
mit den philosophischen Voraussetzungen ihres Faches intensiv beschäftigt | |
hatte. Sie verstand es, mit ihrer fast immer druckreifen Sprache die ihre | |
Reden prägenden Gedanken und sie begründenden Argumente verstehbar und | |
deshalb überzeugend zu machen. Sie könne, so ein früherer Gerichtskollege | |
Jutta Limbachs, ohne „Überlegenheitsgestus Autorität vermitteln“. | |
Zu dieser Fähigkeit mag ihr Wissen um die Relativität von Standpunkten, | |
ihre intellektuelle Redlichkeit und Bescheidenheit beigetragen haben. Denn | |
für sie war es selbstverständlich, dass man enorm lernbereit sein muss, | |
wenn man unter lauter eggheads bestehen will. Man muss eine Haltung haben | |
und wissen, dass es die Vernunft auch mal auf der anderen Seite geben kann. | |
Und doch konnte die freundliche und in ihrer Gestik stets zurückhaltende | |
und kontrolliert wirkende Jutta Limbach auch zornig sein. Im Gegensatz zur | |
Wut, der blinden Wut mit ihrer zerstörerischen Wirkung, sei gerechter Zorn | |
motivierend und kraftspendend und habe ein Ziel vor Augen. | |
Innerer Friede und gerechter Zorn, das ist für Jutta Limbach kein | |
Widerspruch, sondern bedingt sich. So lange man bei Ungerechtigkeit | |
schweige, könne sich auch kein innerer Frieden einstellen. Innerer Frieden | |
sei nicht gleichbedeutend mit Passivität, sondern erfordere oft ein hohes | |
Maß an Aktivität | |
Die Erfahrungen mit autoritären und totalitären Regimen haben uns gelehrt, | |
dass Menschenrechte, selbst wenn sie die Gestalt von verbrieften | |
Verfassungsrechten angenommen haben, stets gefährdet sind. Wer die Welt im | |
Geiste der Menschenrechte verändern will, muss tiefer träumen und wacher | |
handeln. | |
Wir werden schwerlich die Menschen anderer Zivilisationen von der | |
verpflichtenden Kraft der Menschenrechte überzeugen können, wenn wir diesen | |
nicht im eigenen Lande gegenüber jedermann Respekt zu verschaffen vermögen. | |
Diese Warnung Jutta Limbachs ist von höchster Aktualität. | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 65, FDP-Politikerin und eheamlige | |
Bundesjustizministerin | |
*** | |
Jean-Paul Sartre über Fidel Castro | |
Castro hat mir einmal gesagt, dass er Revolutionär aus Berufung sei, und | |
als ich ihn fragte, was er darunter verstehe, sagte er: „Weil ich die | |
Ungerechtigkeit nicht ertragen kann.“ Er gab mir Beispiele, die er aus | |
seiner Kindheit und aus seiner Jugend schöpfte. (…) Was mir an dieser | |
Antwort gefiel, war, dass dieser Mann, der sich für ein ganzes Volk | |
geschlagen hatte (…), mich zunächst mit seiner persönlichen Empörung, mit | |
seinem privaten Leben bekannt machte. Er habe sich nie etwas gefallen | |
lassen, sagte er mir. Er habe Streich um Streich zurückgegeben, und zwar | |
so, dass man ihn beinahe von der Schule gejagt hatte. | |
Ich stellte ihn mir mit 15 Jahren vor, ein kleiner Streithans, ein kleiner | |
Rowdy, unbezähmbar und sicher verloren. Dieser Sohn eines | |
Zuckerrohrfarmers, Internatsschüler in Santiago, verbrachte seine Ferien | |
auf „Manacas“, dem Besitz seines Vaters. (…) Fidel hoffte damals, durch d… | |
Wissenschaft aus der Verlegenheit zu entrinnen. Sie sollte ihm ihre Fackeln | |
leihen. (…) Dann würde er das Vipernnest in seinem Innern ausrotten können, | |
die dunkle Gewalttätigkeit, an der er erstickte. Er zog nach Havanna, er | |
studierte und wurde enttäuscht. Er lernte, dass Worte leer sind. Die | |
Professoren redeten vor jungen Leuten, die sich um die Zukunft sorgten. | |
Aber sie sagten in Wirklichkeit nichts. (…) | |
Damals, so scheint mir, war es, dass er seinen tiefsten Gedanken, die | |
unleugbare Quelle all seiner späteren Taten, aussprach: Wie wichtig auch | |
die objektiven Verhältnisse des Lebens sein mögen – die Übel, von denen die | |
Menschen heimgesucht werden, kommen von nirgendwo anders her als von | |
anderen Menschen. | |
Jean-Paul Sartre, französischer, 1980 verstorbener Philosoph, reiste 1960 | |
mit seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir durch Kuba. Sie fuhren dort | |
mit Fidel Castro durchs Land | |
31 Dec 2016 | |
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