| # taz.de -- Cohens Album „You Want It Darker“: Gesang vom Trümmerberg herab | |
| > Leonard Cohens abschließendes Album ist harter Tobak. Musik und Texte | |
| > nehmen es mit seinen Großtaten aus früheren Jahrzehnten auf. | |
| Bild: Leonard Cohen zeigt sich mit seinem Album „You Want It Darker“ dankba… | |
| Ich hatte mich sehr gefreut. Doch das erste Hören war ein Schock. | |
| Vielleicht alarmierte mich schon der summende jüdische Männerchor ganz zu | |
| Beginn. Er summt sehr gottesfürchtig. Oder es war das fette Bassmotiv, das | |
| dann so unerbittlich wie eine rollende Kutsche daherkommt, die einen zum | |
| Jüngsten Gericht abholt. Auf jeden Fall war es spätestens Leonard Cohens | |
| Stimme. | |
| Von den beiden vorangegangenen Alben, „Old Ideas“ und „Popular Problems�… | |
| mag man schon einiges gewohnt sein an stimmlicher Dunkelheit bei dem | |
| inzwischen 82-jährigen Singer-Songwriter, aber das hier ist noch einmal | |
| eine Steigerung. Gerade zum Auftakt des neuen Albums singt Leonard Cohen | |
| trocken und gefasst, als wolle er den Titel „You Want It Darker“ gleich | |
| einlösen, wie zur Hälfte schon aus einem Jenseits. Und was er singt, ist | |
| ein Hammer:„I'm ready, my Lord.“ Ganz, ja doch, nackt und endgültig steht | |
| das da. | |
| Das war's dann jedenfalls. Das neue Album war gerade einmal 82 Sekunden | |
| gelaufen – 1:22 stand auf der Anzeige –, als ich den Pausenknopf drückte | |
| und mir den Kopfhörer herunterriss. Eigentlich bin ich gar nicht so | |
| zimperlich. Und obwohl religiös sonst unmusikalisch, suche ich bei Cohen | |
| gerade diese tiefen kunstreligiösen Momente. Aber das war jetzt zu viel der | |
| schweren Zeichen. | |
| Die Abwehrreaktion hatte natürlich auch etwas mit der Meldungslage zu tun. | |
| Cohen bereite sich aufs Sterben vor, las man kurz vor Erscheinen des neuen | |
| Albums. Man erfuhr von einem Brief an seine sterbende frühere Partnerin | |
| Marianne Ihle (die Frau auf dem Rückcover von „Songs From A Room“), in dem | |
| Cohen schrieb, dass er ihr bald folgen werde. Er selbst gehe davon aus, | |
| dass dies sein letztes Album sei, hieß es. Und die ersten Besprechungen | |
| klangen schon wie Nachrufe. | |
| ## Altmännerstimme in vielen Variationen | |
| Das ist inzwischen zwar alles relativiert. Er gedenke, noch mindestens 20 | |
| Jahre leben zu wollen, ließ Cohen in der ihm eigenen schelmischen | |
| Sphinxhaftigkeit wissen. Aber etwas von Testament, von letzten Dingen, | |
| großem Abschiednehmen und Vermächtnis haftete dem Album seitdem nun einmal | |
| an. Gottogott. Und dann ist gerade auch noch Herbst. | |
| Auf jeden Fall brauchte ich also etwas Anlaufzeit. Die neun Songs im Handy | |
| immer bei mir, hörte ich die nächsten Tage vorsichtig mal hier rein, mal da | |
| rein. Ich registrierte, dass es auch spielerische Momente gibt. Ich hörte | |
| den Song „Treaty“ zwei Wochen lang morgens, mittags und abends, bis ich die | |
| Zeilen „I wish there was a treaty we could sign / I do not care who takes | |
| this bloody hill“ ständig im Kopf hatte und feststellte, dass der Song zum | |
| Besten gehört, was Cohen je gemacht hat. | |
| Ich grinste jedes Mal bei dieser tollen torkelnden Gitarre am Anfang von | |
| „Leaving the Table“. Ich ließ mich tragen von der Geige in „It Seemed the | |
| Better Way“. Ich entdeckte, in wie vielen Variationen diese tiefe | |
| Altmännerstimme flüstern kann, manchmal nimmt sie sogar etwas Tänzelndes | |
| an. Kurz, binnen zwei Wochen, während draußen die Blätter fielen, | |
| entblätterte sich mir dieses neue Album allmählich als das Meisterwerk, das | |
| es tatsächlich ist. | |
| Und dann fiel mir auf, dass das immer so war. Bei den meisten neuen | |
| Cohen-Alben, ja, bei ganzen Werkphasen gab es immer erst einmal eine Abwehr | |
| zu überwinden. In den inneren Kanon aufgenommen habe ich sie erst über | |
| Umwege. Seltsam. Aber das war wirklich schon immer so, von Anfang an. | |
| Zum ersten Mal begegnet ist mir Leonard Cohen, als ich ein Teenager war und | |
| auf den Flohmärkten meiner Heimatstadt Kiel damals nach billigen | |
| gebrauchten Alben suchte. In fast allen Stapeln, in denen ich an den | |
| Flohmarktständen wühlte, gab es Cohen-Platten, als ob ihn damals, Ende der | |
| Siebziger, alle loswerden wollten. | |
| Es war die Nach-Innerlichkeits-Phase. 68er und Hippies schmissen ihre | |
| Flokatis aus den Wohnungen und verscheuerten die Cohen-Alben gleich mit. | |
| Zwei Werke, die ich damals für, ich glaube, zusammen fünf Mark gekauft | |
| habe, besitze ich heute noch: „New Skin for the Old Ceremony“ und leider | |
| nur eine „Greatest Hits“. | |
| ## Es geht um handfeste Dinge | |
| Ich habe Leonard Cohen schon immer gerne gehört, aber lange Zeit wusste ich | |
| nicht, warum. Zuerst ging es mir (es ist mir heute etwas peinlich) offenbar | |
| eher darum, mit seiner Musik auf meinem Plattenteller eine bestimmte | |
| Atmosphäre herzustellen. So etwas zwischen traurig und kuschelig. Leonard | |
| Cohens Hits, „Suzanne“, „So Long, Marianne“, „Famous Blue Raincoat“… | |
| man in einem heutigen Vokabular sagen, waren zum Chillen da. | |
| Alles in allem brauchte ich – das war der erste Umweg – bestimmt 20 Jahre, | |
| um zu begreifen, dass da überhaupt ein ganz gewaltiges Missverständnis | |
| vorlag. Bis heute werde ich etwas unwillig, wenn mir Cohen noch als | |
| „Meister der leisen Töne“ nähergebracht oder vorschnell in einen | |
| Zusammenhang mit Melancholie gestellt wird. | |
| Dabei geht es doch in Wirklichkeit um sehr handfeste Dinge. Um Begehren | |
| („Take This Longing“). Verlorenheit („Story of Isaac“). Sex („Don't g… | |
| with your hard-on“, „Giving me head / on an unmade bed“). Auch um | |
| Depressionen („Seems So Long Ago, Nancy“). | |
| Nachrichten über die Intensität des Lebens sind das, Auf- und Abschwünge | |
| inklusive. Von wegen Sentimentalität oder Gefühligkeit. Wie singt er in | |
| „That Don't Make It Junk“: „I don't trust my inner feeling / Inner feelin… | |
| come and go“. Und wo jetzt so viel Gewese um die Abschiede auf dem | |
| aktuellen Album gemacht wird – Abschiede waren natürlich von Anfang an bei | |
| Leonard Cohen dabei. | |
| Der zweite Umweg betrifft die mittlere Schaffensphase. Die großen | |
| Klassiker, „Hallelujah“, „If It Be Your Will“, „First We Take Manhatt… | |
| „Anthem“, hat man natürlich immer mitgenommen. Verstanden habe ich nur | |
| lange nicht, was das sollte, die Gitarre in die Ecke zu stellen und | |
| stattdessen auf einem Casio-Synthesizer inklusiver dünner Drumlines | |
| herumzutippen. | |
| ## Das Tiefe und das Banale | |
| Die Produktionen hörten sich stellenweise ja so homemade an, wie sie auch | |
| waren. Wie Cohen etwa auf „Ten New Songs“ die Dringlichkeit seines Gesangs | |
| mit den gelegentlich etwas plastikhaften Arrangements konfrontiert, ist | |
| eine ganz eigene Kunst für sich. | |
| Aber man muss erst einmal drauf kommen, wie großartig Leonard Cohen hier | |
| das Tiefe mit dem Banalen verknüpft. Wie heißt es in „If It Be Your Will“: | |
| „From this broken hill / I will sing to you“. Es ist eben kein großer, | |
| pathetischer Thron der Kunst, sondern ein Trümmerberg, von dem herab | |
| Leonard Cohen zu uns singt (oder zu Gott, was, sein großer Trick, aber | |
| dasselbe ist). | |
| Und wie heißt es in „Anthem“: „Ring the bells that still can ring / Forg… | |
| your perfect offering“. Irgendwann übersetzte ich mir das in: Man darf | |
| gerade nicht melancholisch werden, sondern soll die Glocken läuten, die | |
| einem zur Verfügung stehen. Und wenn diese Glocken eben aus billigen | |
| Casio-Geräten bestehen und aus einer Stimme, mit der man ein Leben lang zu | |
| kämpfen hat. Was daraus entsteht, liegt sowieso nicht in der eigenen Hand. | |
| Das einzige Album, das ich von Anfang an rundherum großartig fand, war | |
| „Dear Heather“ (2004). Mit dem Spätwerk, von „Old Ideas“, an hatte ich | |
| dagegen zuerst Schwierigkeiten. | |
| ## Dankbarkeit für ein ausgekostetes Leben | |
| Ich weiß noch, „Nevermind“ und „Born in Chains“ aus „Popular Problem… | |
| hörte ich zum ersten Mal, während am Strand von Westerland die Sonne | |
| unterging – und ich bekam sofort Lust auf so etwas Profanes wie ein | |
| Leberwurstbrot. Das war mir zunächst doch ein zu intimer Umgang mit dem | |
| Heiligen oder Bösen oder was auch immer. | |
| Aber wie großartig und schlicht dann wieder der letzte Song des Albums ist, | |
| „You Got Me Singing“. Und aus dem Abstand daraus sind auch „Old Ideas“ … | |
| „Popular Problems“ immer mehr gewachsen, so wie jetzt „You Want It Darker… | |
| Wenn ich mir jetzt den Männerchor, den Bass und das intensive Flüstern am | |
| Anfang anhöre, finde ich den Schock nur noch bedingt wieder. Bestimmender | |
| als das Abschiednehmen scheint mir auf dem neuen Album sowieso die | |
| Dankbarkeit zu sein. | |
| Was ist der Song „If I Didn't Have Your Love“, neben „Treaty“ mein | |
| Lieblingsstück, anderes als eine Dankesbezeugung für ein bis zum Äußersten | |
| ausgekostetes Leben? Für ein Leben, das auch noch weitergeht, wenn man, wie | |
| Leonard Cohen, die Phase, in der man alt und weise werden kann, auch schon | |
| hinter sich gebracht hat und mit seiner Musik einfach immer weiter macht. | |
| So lange es geht. | |
| 31 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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| Leonard Cohen | |
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