# taz.de -- Gelungener Romanerstling: Im Rausch des Erzählens | |
> Der Autor Walter Hönigsberger hat sich in die ewigen Mythen des Weines | |
> vertieft. Daraus ist sein Roman „Clos Gethseman“ entstanden. | |
Bild: Bio-Weine in einem Berliner Weinladen | |
Das Buch ist 426 Seiten dick, und der Verlag behauptet, es sei der erste | |
Roman des Autors. Man mag es kaum glauben. Walter Hönigsberger verknüpft | |
ein halbes Dutzend Handlungsstränge, historische und erfundene Figuren, | |
Landschaften, Zeiten, Tatsachen und Legenden miteinander, als habe er seit | |
Jahrzehnten nichts anderes getan, als solche Bücher zu schreiben. | |
Komplizierte Bücher, die trotzdem vor allem unterhalten wollen. Sie haben | |
es in der Regel schwer im Feuilleton, weil sie weder die Gegenwart erklären | |
noch neue Dimensionen der Dichtkunst offenbaren. | |
Von Walter Hönigsberger, 1952 in Wien geboren, gibt es tatsächlich nur ein | |
solches Unterhaltungsbuch, und es ist nicht leicht zu sagen, wovon es | |
handelt. Sicher ist nur, dass es um den Wein geht. Der Titel „Clos | |
Gethseman“ ist der Name eines Weingutes in der Provence, das im 19. | |
Jahrhundert der aus Amerika eingewanderten Reblaus zum Opfer fiel. Fast der | |
gesamte Weinbau Europas ist damals auf diese Weise zerstört worden. Das ist | |
eine inzwischen wenig bekannte, von Hönigsberger gut recherchierte | |
Tatsache. | |
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen dieser Katastrophe und | |
ihre überraschend moderne, nämlich ökologische Überwindung würden auch | |
alleine ein Buch füllen, das zu lesen sich lohnte. Aber Hönigsberger grub | |
weiter in den Archiven und geriet offenbar in eine Art Rausch des | |
Erzählens, der gar nicht mehr enden wollte. Auf gute Art trunken am | |
Schreibtisch schrieb er immer weiter, erfand Figuren und Situationen, ganze | |
Dramen, Kriminalfälle und Verschwörungen, die manchmal auch eine gewisse, | |
wenn auch schwankende Verankerung in der wirklichen Geschichte haben. Gut | |
erfunden sind sie immer und dann hinreißend erzählt. | |
## Die Sprache ist nüchtern, lakonisch | |
Alles ist unglaublich verwickelt, wenig wahrscheinlich, aber denkbar, und | |
die virtuos aufgebauten Spannungsbögen reißen nie ab. Die Sprache ist | |
nüchtern, lakonisch, kein falsches Bild stört das Lesen, und über allem | |
liegt ein leiser, unaufdringlicher Humor, der auch die tiefen Griffe in die | |
Klamottenkiste des Actionthrillers mit Mafiakommandos, Geheimagenten und | |
Grabräubern vergnüglich macht. | |
Es geht am Ende immer um den Wein, von dem sich heute möglicherweise im | |
biochemischen Labor nachweisen lässt, dass er unser Leben verlängert. Auch | |
das wird erzählt, angereichert um die Geschäfte von Wallstreet-Gangstern. | |
Die Jagd nach dieser natürlichen Ressource hat vor über tausend Jahren in | |
Georgien begonnen. Für diesen Zeithorizont hat sich Hönigsberger eine Art | |
Privatdetektiv einfallen lassen, Karl Breitenstein, einen übergewichtigen | |
Trinker ohne ernsthafte Geldsorgen. Er bereist die historischen | |
Schauplätze, wird selbst mal zum Täter, mal zum Opfer, philosophiert | |
beiläufig über den Sinn des Lebens und betrachtet Landschaften. | |
Hönigsberger hat als Reisejournalist unter anderem für die FAZ und die | |
Süddeutsche gearbeitet. Das mag erklären, warum ausgerechnet die | |
Schilderungen von Orten, Gebirgen, Gebäuden und Straßen zu den schönsten | |
Stellen des Buches gehören, das doch eigentlich von möglichst turbulenten | |
Aktionen lebt. Aber es sind die Landschaften, die für eine elegante, | |
gegenwärtige Weltläufigkeit sorgen, in der sich die Ereignisse dann auch | |
mal ruhig überschlagen dürfen. | |
Die ganze Kapuzinergruft in Wien fliegt in die Luft, und das Personal ist | |
kaum überschaubar. Paulus, Petrarca, Goethe, Rothschild, Pasteur, Picard, | |
Bob Dylan haben ihre Auftritte, dazu Weinbauern, die alle weit über 100 | |
Jahre alt sind, ein Zisterzienserabt und ein Verschwörungstheoretiker, der | |
immer dann das Wort „weil“ verwendet, wenn „und“ der Sache angemessener | |
wäre. | |
## Das Weingut in den Alpen | |
Lustig ist das zu lesen, die Hauptfigur ist jedoch nicht Breitenstein, der | |
weinselige Flaneur. Er besucht schon auf den ersten Seiten einen ganz | |
anderen Mann, „Jakob Jünger“ genannt. Der lebt auf seinem Weingut in den | |
Alpen, steht aber in jeder Episode im Hintergrund, auch dann, wenn er gar | |
nicht selbst auftritt. Niemand scheint ihn genauer zu kennen, er spricht | |
selten und bleibt daher geheimnisvoll bis zuletzt. | |
Wer er wirklich ist, sei hier nicht verraten, aber der Titel des Romans | |
gibt immerhin einen deutlichen Hinweis: Hönigsberger führt uns in den | |
Garten Gethsemane, nichts Geringeres als das. Dort sieht es natürlich ganz | |
anders aus, als in der Kirche gepredigt wird. Es geht nicht um den | |
christlichen Glauben, sehr wohl aber um die Religionsgeschichte. | |
Jakob Jünger steht für das, was in der Philosophie „Transzendenz“ heißt.… | |
stellt letzte Fragen nach der Natur, dem Menschen und dem ewigen Leben. | |
Antworten kann es hier sicher keine geben, aber dass diese Tiefe in einem | |
Roman überhaupt Platz hat, der zunächst mit seiner unbändigen Lust am | |
Erzählen fesselt, das ist schon ein meisterhaftes Wunder. | |
3 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
## TAGS | |
Walter Hönigsberger | |
Wein | |
Garten Gethsemane | |
Deutsche Oper | |
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