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# taz.de -- Operettenklassiker 2.0: Bürger, Revoluzzer und Roboter
> Aus dem Wiener Schmäh der Strauß-Operette „Die Fledermaus“ wird an der
> Deutschen Oper Berlin galaktisches Welttheater.
Bild: Adele (Meechot Marrero), Markus Brück (Frank), Angela Brower (Prinz Orlo…
Wien ist nicht die Welt, jedenfalls nicht für Rolando Villazón, den in
Mexiko geborenen Tenor, der schon immer mehr konnte als nur schön singen.
Heute schreibt er Romane, moderiert Radiosendungen, gibt den Clown im
Fernsehen und führt Regie, in Lyon, Wien, Baden-Baden, Düsseldorf und nun
schon zum zweiten Mal in Berlin an der Deutschen Oper. Vor drei Jahren
verzauberte er hier sein Publikum mit einer klug durchdachten
Interpretation der vergessenen Oper „La Rondine“ von Giacomo Puccini. Jetzt
ist er zurückgekehrt mit seiner Version der vermutlich populärsten Sammlung
ewiger Ohrwürmer, der „Fledermaus“ von Johann Strauß.
Schon bei Puccini ging es Villazón um die verborgene Substanz eines
vordergründig banalen Stücks. Jetzt muss die brave Fledermaus sogar zum
universalen Welttheater der Bürgerlichkeit im Weltraum ausufern. Ein bloßer
Champagnerkater aus Wien wäre ihm offenbar zu wenig gewesen. Er holt seinen
Strauß nur dort ab, wo wir ihn kennen gelernt haben. Der erste Akt spielt
im Salon des Bürgers Gabriel von Eisenstein und seiner Gattin Rosalinde.
Biedermeierliche Tapeten und Möbel sind zu sehen, aber noch bevor mit der
Kammerzofe Adele das Personal die Szene einer guten alten Zeit betreten
darf, muss Murnaus Nosferatu das Feuer im Kamin anzünden, um uns zu warnen.
Die düsteren Bilder des Expressionismus der 1920er Jahre stehen bevor, im
komfortablen Wohnzimmer der Bürger werden wir nicht lange bleiben, und was
dort geschieht, ist deshalb etwas ungelenk und grob geschnitzt geraten.
Überzogene Filmgesten ersetzen den Charme des intimen Kammerspiels von
aufbegehrender Zofe, frustrierter Ehefrau und ihrem Mann, dem
Schürzenjäger. Dass der nun auch noch ins Gefängnis muss, ist bei Villazón
nur ein ziemlich dummer Plot, der halt so im Textbuch steht. „Oh je, oh je,
wie rührt mich das?“ Es lässt kalt, zumal der von Strauß so genial
auskomponierte, bruchlose Übergang vom Gefühl zur Lüge auch noch optisch
durch eine Lichtregie zerrissen wird, in der die Ambivalenz der Personen in
statische Fotoporträts eingefroren wird.
Ein wenig schade ist das schon, aber alsbald dreht sich sich die Bühne von
Johannes Leiacker weiter zum nächsten Bild. Wir sind jetzt im Bunker des
realen Sozialismus und im geteilten Berlin der 1970er Jahre. Prinz Orlowski
ruft in der Uniform eines Generals der Volksarmee die Diktatur des
Champagners aus; maoistische Rotgardisten, Studenten, Kommunarden und
sexuelle Fetischisten aus Westberlin sind gleichermaßen begeistert, und
alles endet im großen Rausch des Walzers „Brüderlein, Brüderlein und
Schwesterlein, dui, dui duu“. Der Schlagersuff wird zur wunderbaren Satire
auf die Parolen der internationalen Solidarität jener Zeit.
Ausbuchstabiert in tausend kleinen, parodistischen Szenen kehrt sie zurück,
und der alte Johann Strauß darf darin zu seiner vollen Größe aufwachsen.
Donnald Runnicles lässt mit souveräner Gelassenheit auch die Polkas und
Galoppmärsche in die neue Zeit reisen, der Chor hält das größte Chaos auf
der Bühne zusammen. Thomas Blondelle (Eisenstein), Anette Dasch
(Rosalinde), Angela Brower (Orlowski), Meechot Marrero (Adele), Markus
Brück (Gefängnisdirektor) und Thomas Lehmann (Dr. Falke) singen frei und
hörbar glücklich darüber, dass sie den Rollenklischees unter der Anleitung
ihres Kollegen Villazón entkommen dürfen.
## Das schrottreif vergammelte Raumschiff
Soviel theatralische und musikalische Energie hat sich dabei aufgeladen,
dass die Erde am Ende dafür viel zu klein ist. Leiackers drittes Bild zeigt
ein Raumschiff, das etwa so schrottreif vergammelt ist wie Tarkowskis
„Solaris“. Und wie dort treiben sich lauter gescheiterte Existenzen herum.
Markus Brück kann nun sein enormes Talent als Komiker genießen. Er spielt
den Gefägnisdirektor, der sich mit seinem Frosch, dem Aufseher, herumärgern
muss.
Diese lange Sprechrolle war schon immer das Problem der „Fledermaus“. Der
Text ist nicht festgelegt, Hans Mosers Improvisationen sind Legende.
Villazón sucht darin das Finale maximaler Größe, das es nur im Kino geben
kann. Florian Teichtmeister, nun wirklich aus Wien ausgeliehen, nämlich vom
Theater in der Josefstadt, muss den Frosch als „Sonny“ spielen, den
Androiden mit Gefühlen, die er nicht haben darf aus dem Film „I Robot“ von
Alex Proyas. Die Affen aus Stanley Kubricks „Odyssee 2001“ traben vorbei,
und natürlich donnert dazu „Zarathustra“ des anderen großen Strauß,
Richard, aus dem Orchester.
Das übrige Personal der Fledermaus wird nach und nach mit allerlei
Slapsticks hochgebeamt; die Wirrungen lösen sich auf und der wie im Film
sterbende Roboter darf Villazóns persönliche Botschaft an die Bürger der
Erde aussprechen: „Was macht ihr mit eurer Freiheit? Ihr betrügt und lügt.�…
Eigentlich ist das viel zu gigantisch für eine Operette. Aber aus Rolando
Villazón, dem Startenor ist ein Regisseur geworden, wie es vielleicht
keinen zweiten gibt: Ein Sänger, der das ganze Theater zu seiner Stimme
machen kann, in großer Besetzung, Bühne und Tiefe. Dazu gehören Mut zu
Experimenten und Stilbrüchen, Können, echte Liebe und Verständnis für die
Kunst. Die paar Buhs, die er am Ende zu hören bekam, gehören nun mal dazu.
Er hat danach einfach seine rote Clownsnase aufgesetzt. Bravo!
30 Apr 2018
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Science-Fiction
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Wien
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