# taz.de -- „Die Fledermaus“ in Neukölln: Alle fummeln | |
> Im Heimathafen Neukölln bringen Studierende eine abgespeckte Version von | |
> „Die Fledermaus“ auf die Bühne. Am Montag hat sie Premiere. | |
Bild: In Rot geschürzt und bereit zur „Fledermaus“-Premiere | |
Auf der Bühne im Heimathafen Neukölln steht ein Sofa. Irgendwann in den | |
Neunzigern mag es vielleicht einmal in einem Möbelkatalog als korallenrot | |
beschrieben worden sein. Spektakulärer aber noch als seine Farbe ist seine | |
kreisrunde Form. „Die Figuren in diesem Stück sind unglücklich“, wird | |
Regisseur Tilman aus dem Siepen später auf die Frage sagen, was einen 1998 | |
geborenen Regiestudenten wie ihn an einer Operette wie der „Fledermaus“ von | |
Johann Strauss interessieren könnte. „Sie leben parallel nebeneinanderher, | |
sie begegnen sich nicht.“ | |
Jetzt aber sind wir noch mittendrin in den Proben zur „Fledermaus“, die am | |
6. Januar Premiere hat und nach dem Erfolg von Carl Maria von Webers | |
„Freischütz“ vor einem Jahr bereits die zweite Musiktheaterproduktion von | |
ConTutti im Heimathafen ist. ConTutti ist ein Orchester- und Chorensemble, | |
das 2018 durch Studierende der Universität der Künste gegründet wurde und | |
bei dem junge Musikerinnen und Musiker mitmachen, die teils diese, teils | |
die Hochschule für Musik Hanns Eisler absolviert haben oder dort studieren. | |
Für ihr neues Stück hat das Ensemble auch per Crowdfunding Geld gesammelt. | |
An dem Probentag sitzt auch Sotiris Charalampous als Gabriel von Eisenstein | |
auf dem besagten Sofa, und er soll keinen Zweifel daran lassen, was er da | |
tut. Die Hose muss runter, findet Timan von dem Siepen kichernd und | |
gleichzeitig mit einer Strenge, die keinen Widerspruch duldet. Während sich | |
der Gatte hingebungsvoll einen runterholt, macht sich Sonja Isabel Reuter | |
als seine Frau Rosalinde ein paar Schritte weiter mit unbewegter Miene, | |
ohne den anderen auch nur anzusehen, an einem goldenen Teewagen zu | |
schaffen, um irgendwie zu einer Tasse Filterkaffee zu kommen. Jeder für | |
sich wirkt unendlich gelangweilt, verlassen, bemitleidenswert. | |
## Ätzend ironisch | |
„Die Fledermaus“ von Walzerkönig Strauss, 1874 in Wien uraufgeführt, gilt | |
als Höhepunkt der goldenen Operettenära, sie ist eine der wenigen ihrer | |
Art, die, weil so ätzend ironisch wie musikalisch abwechslungsreich, bis | |
heute auch immer wieder mal zu Silvester oder Fasching an großen | |
Opernhäusern gespielt werden. | |
„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“: Jeder kennt | |
Melodien und Sinnsprüche aus diesem Stück, auch wenn er es noch nie live | |
oder komplett gesehen und gehört hat, wegen der Wiener Folklore, die man | |
mit der „Fledermaus“ assoziiert, wegen der Schenkelklopfer, auch der | |
Betulichkeit. | |
Umso reizvoller ist es, wenn sie plötzlich mitten in Neukölln völlig | |
abgespeckt, befreit und trocken vor einem steht: In einem | |
grundungemütlichen Wohnzimmer, das nichts ausstrahlt als transzendentale | |
Obdachlosigkeit – spärlich bevölkert von jungen Leuten, die sehr | |
selbstverständlich eine bodenlose Einsamkeit verkörpern. | |
Eine Verlorenheit, die sich bekanntlich nur vorübergehend und mit großen | |
Nachwirkungen durch Party und Ausschweifung bezwingen lässt: „Da fliehen | |
die Stunden in Lust und Scherz.“ | |
## Ennui der Männer | |
Die Sache in der „Fledermaus“ ist die: Gabriel von Eisenstein soll | |
eigentlich wegen Beleidigung einer Amtsperson ein paar Tage in den Knast, | |
aber vorher möchte ihn sein Freund Dr. Falke noch auf eine Party entführen. | |
Auch wenn Falke eigentlich nur vorhat, sich für einen früheren Streich | |
Eisensteins zu revanchieren, ist der Moment einfach irre, wie der Ennui der | |
Männer zuerst in jungenhafte Vorfreude umschlägt und dann in Aggression, | |
wie sie regelrecht überschnappen bei der Aussicht auf einen Ausbruch aus | |
dem Immergleichen ihres verlogenen, übersättigten, abgehalfterten | |
bürgerlichen Daseins. Hier befummeln sich dann einfach alle – außer | |
natürlich die Personen, die qua Ehevertrag zur Fummelei freigegeben wären. | |
Es grenzt manchmal fast an Arbeit, diesen armen Seelen auf der Bühne zu | |
folgen, aber im besagten Pausengespräch versichern Regisseur Tilman aus dem | |
Siepen und der musikalische Leiter Gregor Böttcher, ebenfalls Jahrgang | |
1998, nachdrücklich: Am Ende werde man als Zuschauer für all die Düsternis | |
des Anfangs reichlich entschädigt. Und alle Figuren der Operette stünden am | |
Ende ihrer „Fledermaus“ sehr menschlich da. | |
Bekanntermaßen ließ Strauss einzig das Kammermädchen Adele als Gewinnerin | |
aus der verwickelten Geschichte hervorgehen. Sie wird Schauspielerin | |
werden. Es dürfte interessant werden, wie ausgerechnet in Neukölln auch all | |
die anderen Gestalten gerettet werden sollen. | |
4 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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