# taz.de -- Studenten machen Operette: Amüsemang in Neukölln | |
> Kein Ballett, aber ein Elefant schwingt seinen Rüssel im Dreivierteltakt. | |
> Die studentische Compagnie ConTutti spielt „Die Fledermaus“ in Berlin. | |
Bild: Gabriel von Eisenstein (Sotiris Charalampous) im Streit mit Rosalinde (So… | |
In der „Fledermaus“ gewesen. Haben uns köstlich amüsiert. | |
Operette! Johann Strauss! Walzerseligkeit, oh weh. Das schien mir doch | |
lange eher das Genre meiner Großmutter, die, im späten 19. Jahrhundert | |
geboren, die „Fledermaus“ liebte. Als sie jung war, galt das 1874 | |
uraufgeführte Stück vermutlich noch als modern. Ich aber machte eher einen | |
Bogen um den gesungenen Boulevard, betrügende Ehemänner, betrunkene | |
Gefängnisdirektoren und sich rächende Ehefrauen. | |
Und jetzt? Dass ich es großartig fand [1][im Heimathafen Neukölln in | |
Berlin], in einer Inszenierung der „Fledermaus“ durch die studentische | |
Compagnie ConTutti, ist das eine Alterserscheinung? Oder kommt da | |
Lebenserfahrung ins Spiel, um das Libretto jetzt witzig zu finden? Wenn zum | |
Beispiel Rosalinde, deren Mann angeblich ins Gefängnis soll, vor der | |
Einsamkeit erschauert mit den Zeilen: „Zum Rindfleisch wie zur Suppe, zum | |
Braten keinen Mann“? | |
Nein, es ist mehr. Es ist die freundliche Atmosphäre im Heimathafen, eng | |
sitzt man in der Premiere zwischen jungen Leuten, vielen Freunden der | |
Musiker, und den älteren Verwandten. Noch enger quetschen sich im | |
Orchestergraben die von Gregor Böttcher geleiteten Musiker, die Pauke sitzt | |
schon hinter der Tür. Das Bühnenbild sieht nach kein Geld aus, die jungen | |
Sänger sind trotzdem durchweg professionell. | |
## Die Liebe mit Messer und Gabel | |
Vor allem aber hat es etwas mit der Jugend dieses freien Ensembles zu tun: | |
Wenn das sich für diesen populären Stoff so begeistern kann, so viel | |
Engagement hineinsteckt, um das gewiss nicht kleine Unternehmen mit Chor, | |
Orchester und neun Solisten stemmen zu können, dann überträgt sich etwas | |
von dieser wahnwitzigen Energie. | |
Nicht selten spottet diese Operette über die Oper und ihre Erzeugung der | |
großen Gefühle. Hier ist jedes Gefühl eine Vortäuschung, jeder hat längst | |
andere Pläne, Betrug schlingt sich um Betrug. Wenn er doch nur nicht singen | |
würde, klagt Rosalinde, über Alfred, ihren heimlichen Liebhaber. Der tritt | |
mit den langen blonden Locken ein wenig wie ein Neuköllner Biker auf, der | |
eigentlich gerne Heldentenor wäre, aber auch über eine große Portion | |
Selbstironie verfügt. Er serviert Rosalinde, das ist der Akt der | |
Verführung, Spaghetti mit Tomatensoße auf seinem nackten Bauch, sie greift | |
mit Messer und Gabel zu. Ein leicht kannibalisches Bild für die Gelüste des | |
Fleisches. | |
Überhaupt hat der Regisseur Tilman aus dem Siepen nicht mit Bildern | |
gespart, dem teils recht obszönen Libretto die Körperlichkeit auch zu | |
lassen. Wenn freilich auch oft ins Groteske übersetzt. Den atemlosen | |
Rhythmus der Musik, ihre Gassenhauer-Qualitäten, konnotiert er dann auch | |
schon mal eindeutig als gut für den Sex geeignet. Gleich zur Ouvertüre | |
schon befummelt sich Gabriel von Eisenstein unter einem vorgehaltenen | |
Sofakissen, während seine Frau Rosalinde auf das aufsteigende Wasser in der | |
Kaffeemaschine starrt. Eigentlich weiß man da schon ziemlich viel über | |
diese Ehe. | |
Aber Tilman aus dem Siepen, noch Regiestudent [2][an der Hochschule für | |
Musik Hanns Eisler in Berlin], verzichtet auch auf Inszenierungsmomente, | |
die auf der Hand liegen. Er entschlackt das Brimborium der Operette. Dort | |
etwa, wo es naheliegt, die große Festgesellschaft beim Prinzen Orlofsky im | |
Walzer schwelgen zu lassen, schwingt hier ein Elefant, der knapp noch auf | |
die kleine Bühne passt, seinen Rüssel im Walzertakt, der Rest der | |
Festgesellschaft drischt mit Kochlöffeln auf Topfdeckel ein. Ein paar Nasen | |
dreht diese Inszenierung schon dem Klischee von der Operette. | |
Nicht zuletzt haben Johann Strauß und die beiden Liberettisten Karl Haffner | |
und Richard Genée die hier zelebrierte Lebenslust mit einem Teppich von | |
Langeweile unterlegt. Es ist der Überdruss der Wohlhabenden, der sie | |
unglücklich macht und zur Inszenierung der Ausschweifung greifen lässt. | |
Prinz Orlofsky, Gastgeber der Party im zweiten Akt, singt darüber ganze | |
Lieder: „Zwar langweil' ich mich stets dabei, was man auch treibt und | |
spricht. Indes, was mir als Wirt steht frei, duld' ich bei Gästen nicht! | |
Und seh’ ich, es ennuyiert sich jemand hier bei mir, so pack’ ich ihn ganz | |
ungeniert, werf’ ihn hinaus zur Tür.“ Bei der Premiere jedenfalls musste | |
niemand rausgeworfen werden, weil er sich gelangweilt hätte. | |
7 Jan 2020 | |
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[1] /Theater-im-Heimathafen-Neukoelln/!5489593 | |
[2] https://www.hfm-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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