# taz.de -- Fotobuch zur Komischen Oper Berlin: Wundersame Readymades | |
> Kurz vor deren Sanierung fotografierte Heidi Specker die Komische Oper | |
> Berlin. Ihre Aufnahmen verführen dazu, die Geschichte des Hauses | |
> mitzudenken. | |
Bild: Theaterschminke in der Komischen Oper (Ausschnitt) | |
Kleinere Verletzungen scheinen hinter der Bühne an der Tagesordnung. Wie | |
wäre die schwarze „Quick Zip“-Box an der Wand sonst zu erklären, aus der | |
man sich schnell ein Pflaster zieht? Nicht weit davon entfernt hängt ein | |
richtiger Erste-Hilfe-Kasten, über dem ein rotes Metallschild mit | |
Feuerlöscher-Signet prangt. | |
Links daneben: das berühmte Fluchtweg-Schild. Die Flucht führt in den | |
Chorsaal, wie ein weiteres Schild besagt, auf das der Pfeil hindeutet. Und | |
ganz oben, knapp unter der Decke, ist dann eine Wandleuchte zu sehen, die | |
ihr mildes weißes Licht über diese wundersame Readymade-Collage ergießt, zu | |
der noch die minimalistische Wanduhr gehört, die sagt, was die Stunde | |
schlägt. | |
Man begegnet ihr noch das eine oder andere Mal in dem wundervollen | |
Bilderbuch, das mit der eben beschriebenen Aufnahme eingeleitet wird und | |
erst kurz vor Ultimo, also nach 143 Seiten Fotostrecke, seine Autorin und | |
sein Sujet preisgibt: Heidi Specker, [1][Komische Oper Berlin], Porträt. | |
Die Uhr im eigentlich immer gleichen Design schaut jedes Mal anders, mehr | |
oder weniger angeschlagen aus; einmal mussten die kleinen goldenen | |
Rechtecke, die auf der dunklen Metallscheibe die Stunden anzeigen, gleich | |
neu angemalt werden. Nun sind sie schwarz und die Scheibe gelb. | |
Mit der Uhr benennt die Fotografin umstandslos das Problem der Komischen | |
Oper Berlin, dem sie im Übrigen ihren Auftrag verdankt, das Haus zu | |
porträtieren: [2][Das Stammhaus an der Behrenstraße ist marode]. Am 17. | |
Juni wurde dort zum vorerst letzten Mal gespielt. Für 440 Millionen Euro | |
wird das in den 1960er Jahren letztmals renovierte Gebäude in den nächsten | |
sechs Jahren generalsaniert, umgebaut und erweitert. | |
## Die Räume scheinen vertraut, wenn auch unbekannt | |
Der Spielbetrieb läuft in dieser Zeit im Schillertheater, das sich schon | |
als Ausweichquartier der Staatsoper Unter den Linden bewährt hat. Barrie | |
Kosky, der die Komische Oper zu Weltruhm geführt hat, wollte sich diese | |
Jahre in der Vorhölle zum visionierten Paradies nicht antun. Die Intendanz | |
bilden jetzt Susanne Moser und Philip Bröking, die [3][Heidi Specker] | |
beauftragten, den jetzigen Zustand des Hauses fotografisch festzuhalten. | |
Auch Candida Höfer hat in der für sie typischen Zentralperspektive drei | |
Motive fotografiert, als Edition für die Freunde der Komischen Oper. | |
Betrachtet man nun ihre Ansichten des Hauses, dann erscheinen einem die | |
Räume fremd, als wäre man noch nie im Foyer und im prachtvollen, | |
neobarocken Innenraum unterwegs gewesen. Er stammt noch aus der Zeit des | |
Metropoltheaters, hat den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet | |
überstanden und steht in auffälligem Kontrast zur sonstigen zurückhaltenden | |
Nachkriegsarchitektur der Komischen Oper. | |
Die Räume wiederum, in denen Heidi Specker fotografiert hat, | |
Künstlergarderobe, Maskenwerkstatt, Kostümfundus und Chorsaal, sind einem | |
notwendigerweise vollkommen unbekannt – aber erstaunlicherweise meint man | |
sie zu kennen, scheinen sie vertraut. Dabei fotografiert Heidi Specker | |
Bilder und nicht Räume. Ihre Fotografien handeln von Details, vom Licht, | |
von Farben, von Mustern und Strukturen, von der Anordnung der Dinge in der | |
Fläche des Bildes. Die nur angeschnitten gezeigten Holzspinde im | |
Mannschaftsraum stehen dann wie in Formation aufgereiht da und scheinen so | |
Disziplin und Bereitschaft der Bühnentechniker zu repräsentieren. | |
## Die Geschichte des Hauses mitsehen und mitdenken | |
Von den im Dunkeln halb verborgenen Lederschnallenschuhen, von denen nur | |
die grünen Kappen glänzen, möchte man unbedingt wissen, was es mit ihnen | |
auf sich hat. Sie gehören zur Ausstattung der Operette „Ritter Blaubart“ | |
von Jacques Offenbach. Walter Felsenstein, 1947 Gründer der Komischen Oper | |
und Intendant bis zu seinem Tod 1975, machte das wenig populäre Werk | |
Offenbachs in seiner Inszenierung 1963 zu einem außerordentlichen, weltweit | |
nachgespielten Erfolg. | |
Bestrickend also, wie Heidi Specker mit ihren Aufnahmen ganz nebenbei dazu | |
verführt, die Geschichte des Hauses, seiner Belegschaft und der | |
Aufführungen mitzusehen und mitzudenken. Was durch die Idee unterstützt | |
wird, Speckers Stillleben historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen zur Seite zu | |
stellen. Wie kleine Kostbarkeiten setzt sie das herausragend gestaltete | |
Layout aufs leere weiße Blatt: die Bauarbeiter bei der Grundsteinlegung | |
ebenso wie die künstlerischen Helden des Hauses, also Felsenstein, Harry | |
Kupfer, Barrie Kosky, Kirill Petrenko und Kurt Masur. | |
In anregenden Parallelmontagen und spannenden Gegenüberstellungen finden | |
sich typische Heidi-Specker-Wahrnehmungen wie der Blick in die Gebäudefugen | |
der Schmuckfassade des Funktionsgebäudes oder das Reliefmuster seines | |
Giebels, aber auch atmosphärisch hoch aufgeladene Perspektiven, wie sie sie | |
zuletzt sehr liebt, sonnenbeschienene gelbe Vorhänge im Probenraum, bunte | |
Garnrollen in der Keksdose des Kostümfundus. | |
Dieses Porträt ihres Hauses wird den Freunden der Komischen Oper während | |
der langen Jahre des Exils immer wieder schönster Trost sein und sie | |
Hoffnung schöpfen lassen auf eine selige Rückkehr. | |
6 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Barrie-Koskys-La-Cage-aux-Folles/!5912039 | |
[2] /Kostuemverkauf-in-der-Komischen-Oper/!5939877 | |
[3] /Fotografie-im-Oldenburger-Kunstverein/!5661451 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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