# taz.de -- Architekturausstellung in Berlin: Durch den Raum laufen, den es nic… | |
> Der US-Architekt Steven Holl entwarf fulminante Bauten. Die Tchoban | |
> Foundation zeigt nun in der Ausstellung „Drawing as Thought“ seine | |
> Zeichnungen. | |
Bild: Viel Wissen für viele Menschen zugänglich machen: Steven Holls Erweiter… | |
1988 war wohl ein gutes Jahr für öffentliche Bibliotheken. Das ist gerade | |
kaum vorstellbar, wo man von der Zentral- und Landesbibliothek in Berlin | |
nur Ernüchterndes vernimmt wie leere Infotheken, Personalabbau und | |
womöglich mehr als 2,2 Millionen Euro weniger Jahresbudget. An die noch | |
[1][vor wenigen Monaten diskutierte Idee einer Dependance im leerstehenden | |
Gebäude der Galeries Lafayette] traut man sich jetzt gar nicht mehr zu | |
denken. | |
1988 aber, da gab es den Plan, ihr zentrales Westberliner Gebäude, die | |
Amerika-Gedenkbibliothek, mit einem so spektakulären und konzeptuell | |
neuartigen Anbau zu vergrößern, wie er sonst im Wettbewerb ums globale | |
Städteranking in Hongkong oder New York auftauchen könnte. | |
Vermutlich saß Architekt Dominique Perrault 1988 auch aus diesem Grund an | |
seinen Plänen für die Bibliothèque Nationale de France in Paris. Gleich ein | |
ganzes Stadtviertel nimmt sie ein mit ihrem umgekehrten Raumprogramm – oben | |
Depots in gläsernen Türmen, unten ein Wald. | |
Fürs kleine, ummauerte Westberlin hatte sich der US-amerikanische Architekt | |
Steven Holl 1988 eine Freihandbibliothek überlegt. Viel Wissen für | |
möglichst viele Menschen hätte sie auf riesigen Flächen und raffinierten | |
Möbeln zugänglich machen können. Gefügt in einen Bau, der die | |
vergangenheitsvergessene [2][Nachkriegsmoderne] der Gedenkbibliothek mit | |
monumentalen, technisch aussehenden Formen umgeben hätte, auch eine Art | |
Wolkenbügel auf schmalen Stelzen und ein hoch aufgestockter, riesiger | |
Tropfen aus Glas wären dabei gewesen. | |
Wären. Denn Holl gewann mit seinem Entwurf zwar den Wettbewerb um die | |
Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek, doch wurde dieser nie umgesetzt. | |
Nach dem Fall der Mauer hatte man in Berlin andere Pläne. Wie die | |
Architekturkuratorin Kristin Feireiss in einem Katalogtext zur jetzigen | |
Holl-Ausstellung in der Tchoban Foundation aber bemerkt: Trotzdem war der | |
Entwurf für Holl der Beginn einer großen Karriere. | |
Seither hat der heute 77-Jährige weniger in Berlin, dafür weltweit Museen, | |
Bibliotheken, Einkaufshäuser, Kirchen oder Wohnanlagen gebaut, er hat Büros | |
in den USA und China. Häufig sind es ziemlich [3][besondere Architekturen,] | |
neomodernistisch mit lichtdurchlässigen Dachlandschaften, als hätte man | |
gleich ein Dutzend gewölbter Papierbahnen aufs Gebäude gelegt. Oder mit | |
riesigen, strammen Mauern, die punktgenau von nur wenigen Fenstern | |
durchbrochen sind. | |
Im Museum für Architekturzeichnung, dem Privatmuseum des Architekten Sergei | |
Tchoban, sind nun Steven Holls Zeichnungen ausgestellt für diese besonderen | |
Bauten. Sie sind fulminant. Flüchtig und skizzenhaft wirft er manchmal | |
ganze Stadtplanungen auf ein vielleicht DIN-A5-großes Blatt, in beiläufigen | |
Studien entwickelt er konstruktive Details von Sitzbänken oder Ecklösungen. | |
Die perspektivischen Darstellungen seiner Gebäude und Entwürfe beeindrucken | |
besonders. Die Art Zeichnung, die seit langer Zeit im Architekturbusiness | |
eigentlich digitale Bildprogramme übernehmen. Fertigt Holl sie von Hand an, | |
sind sie fotografisch exakt und trotzdem atmosphärisch. | |
Die Gebäudeumrisse sind in feinen Linien formuliert, die Materialität ist | |
mit kunstvoll schattierter Aquarellfarbe ausgearbeitet. Seine | |
Entwurfszeichnung für die Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek etwa | |
umgibt er mit einem wild gepinselten Schwarz, als würde sich am Berliner | |
Himmel stets ein dunkles Unwetter zusammenbrauen. | |
Manche der Darstellungen wirken wie Szenen, die sich spontan vor eine | |
Kameralinse legen können, wenn Licht, Schatten und Gebäude zu einem | |
grafischen Spiel werden: etwa wenn Holl eine klare Deckenkante im | |
Vordergrund diagonal durchs Bild zieht und sich dahinter ein zig Meter | |
tiefes, von Treppen umlaufendes Atrium eröffnet. | |
Man meint hier, der US-amerikanische Architekturfotograf Ezra Stoller sei | |
durch diesen modernistischen Raum gelaufen und habe ihn abgelichtet. Nur | |
zeichnete Holl mit dieser Ansicht der Porta Vittoria in Mailand einen Ort, | |
der von ihm zwar ausgedacht, aber nie gebaut wurde. | |
Man kann vor diesen Blättern in ein kunsttheoretisches Schwelgen geraten | |
darüber, wie durch die pure Zeichnung Idee, Eingebung oder Imagination | |
entstehen – Stichwort „disegno“. Holl, zum Glück, hält da lieber den Ba… | |
flach. Manchmal wundere er sich, was sich plötzlich für tolle Räume morgens | |
auf seinem Zeichenblatt ergeben, gibt er bei der Ausstellungseröffnung zu | |
Protokoll, „wenn man Abends zuvor ein Gläschen zu viel getrunken hat“. | |
27 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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