Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Film „Der Brutalist“: Erschaffung einer neuen Grammatik der Arc…
> „Der Brutalist“ von Brady Corbet ist zehnfach Oscar-nominiert. Der Film
> zeigt, wie sich Kapitalismus und künstlerische Ambitionen
> gegenüberstehen.
Bild: Klare Kante: Der Architekt László Tóth (Adrien Brody) auf dem Bau in �…
Berlin taz | Daniel Libeskind war zutiefst berührt, nachdem er in einem
Kino in Los Angeles den [1][epischen Brady-Corbet-Film „The Brutalist“]
gesehen hatte, so berührt, dass er sich gleich am nächsten Morgen an den
Computer setzte und einen Aufsatz darüber schrieb. „Warum ‚Der Brutalist‘
mir als Architekt so nahegegangen ist“, hieß das Stück und es erschien im
Jewish Weekly.
Die Parallelen zwischen der Biografie von Libeskind und der Hauptfigur des
„Brutalisten“, László Tóth, sind tatsächlich verblüffend. Beide sind
jüdische Osteuropäer, die nach Amerika kamen, um hier als Architekten ihr
Glück zu machen. Beide sind im Getriebe von Geld und Macht aufgerieben
worden und wurden dazu gezwungen, ihre Visionen bis zur Unkenntlichkeit zu
verraten. Libeskind in New York am Ground Zero, László Tóth mit seinem
brutalistischen Megaprojekt in einer Kleinstadt in Pennsylvania.
Ganz besonders nahe habe sich Libeskind dem von Adrien Brody brillant
gegebenen Tóth jedoch gefühlt, als dieser mit seinen Entwürfen zunächst auf
völlige Verständnislosigkeit traf. Entwürfe, die für Tóth, wie seine
Tochter am Ende des Films, auf sein Lebenswerk zurückblickend, sagt,
Ausdrücke des sublimierten Traumas des Holocaust gewesen seien.
Libeskind musste dabei an seinen Entwurf für das Jüdische Museum Berlin
denken, das von sogenannten „Voids“ durchzogen ist. Schächte und
Hohlräume, die die Leere erfahrbar machen sollen, die der Holocaust
hinterlassen hat – sowohl die Leere im kulturellen und sozialen Leben
Europas als auch die Leere in der Seele der Menschheit.
Man kann die Voids im ansonsten dekonstruktivistischen Berliner Bau
Libeskinds, wenn man will, als brutalistische Zitate sehen, mit den nackten
Betonwänden, die für den Brutalismus charakteristisch sind, aber auch in
dem Anspruch, eine „totale Umgebung für den Menschen“ zu schaffen, wie der
[2][Brutalismustheoretiker Reyner Banham] eines der zentralen Ziele des
Brutalismus formulierte. Ziele, die er etwa in ikonischen brutalistischen
Bauten wie der Unité-Wohnanlage von Corbusier in Marseille verwirklicht
sieht oder in den Golden Lane Houses des Architektenpaars Smithson in
London.
## Reaktion auf Auschwitz
Libeskind identifiziert sich nicht nur mit dem Architektenhelden des Films,
Tóth. Ganz offenbar fühlt er sich auch durch den Film darin bestätigt, dass
die brutalistische Ästhetik eine Reaktion auf den Holocaust ist, vielleicht
sogar die einzig angemessene Art des Bauens nach Auschwitz. Es ist eine
kühne These, die so eindeutig in der Architekturgeschichte noch nicht
vorgebracht wurde.
Rein oberflächlich betrachtet führen jedenfalls keine direkten
Entwicklungslinien von der Holocausterfahrung zum Brutalismus. Die erste
programmatische Verwendung des Begriffs „Brutalism“ oder „New Brutalism“
kam im England der 50er Jahre auf, wo sich junge Architekten gegen den nach
dem Krieg gängigen Rückgriff auf eine pittoreske Niedlichkeit wendeten, die
unter dem Namen des „New Humanism“ den dringend benötigten sozialen
Wohnungsbau bestimmte.
Anders als etwa in Deutschland, wo man sich sofort auf die [3][Ideale des
Bauhauses] und der Neuen Sachlichkeit bezog, hatte man in England Sehnsucht
nach vormoderner Idylle.
## Rohre und Leitungen freigelegt
Der Widerstand gegen diesen „New Humanism“, insbesondere durch das
Architektenpaar Smithson, wollte jedoch weiter gehen, als bloß die Ideale
von Gropius, Hannes Meyer oder Ernst May zu verwirklichen. Es war vielmehr
eine Radikalisierung der Moderne der 20er und 30er Jahre. Der Brutalismus
wollte den Funktionalismus auf die Spitze treiben. Rohre und Leitungen
wurden freigelegt, Baustoffe blieben unbehandelt.
Der Bewohner oder Besucher sollte die unmittelbare Erfahrung haben, wie
Beton aussieht, wie er riecht, wie er sich anfühlt. Zudem wollten die
Smithsons, dass sich der Grundriss, das Konzept des Baus auf den ersten
Blick erschließt. Der Bau sollte sich unmittelbar als Bild einprägen.
Der Geist des Brutalismus lag freilich schon in der Luft, als die Smithsons
den Begriff prägten. Corbusier hatte schon in den 40er Jahren den Beton
entdeckt und damit seine berühmte Kapelle in Ronchamp gebaut. Dubuffet
provozierte das Pariser Publikum mit seiner „Art Brut“, die traditionelle
Normen der Ästhetik auf den Kopf stellte. Und in den USA sprengte Jackson
Pollock mit seinem Action Painting den Rahmen dessen, was bislang als
Malerei empfunden wurde.
## Rebellion gegen die bürgerliche Behaglichkei
In all dem spiegelte sich ein bestimmter existenzialistischer Zeitgeist
wider, ein „je-m’en-foutisme“, wie Banham die Attitüde nannte, die
zweifellos mit dem Lebensgefühl der Nachkriegszeit zu tun hatte. Ganz
entschlossen rebellierte diese Künstler- und Architektengeneration aber
ebenso dagegen, dass man sich allzu rasch wieder in einer bürgerlichen
Behaglichkeit eingerichtet hatte.
Doch der Brutalismus hatte nicht nur ikonoklastische und rebellische Züge,
er konnte auch utopistisch sein. So schreibt Banham, dass neben der
Betonung des Materials die zentrale Charakteristik des Brutalismus ein
erweiterter Raum- und somit Architekturbegriff insgesamt war. Dem
Brutalismus ging es nicht darum, durch Strukturen definierte Räume zu
schaffen. Es ging vielmehr darum, eine mit allen Sinnen erfahrbare Umwelt
zu schaffen.
Das ist es, was Tóth in Corbets Film antreibt und was wohl Libeskind auch
bei der Konzeption des Jüdischen Museums in Berlin motiviert hatte. Vielen
frühen Brutalisten wurde deshalb, wie im Film Tóth, vorgeworfen, dass sie
die Grundbegriffe der Architektur nicht verstünden. Banham hält dem
entgegen, dass sie dabei waren, eine neue Grammatik der Architektur zu
schaffen.
## Ein Schritt nach vorn
Dass der Film behauptet, dies sei allein eine Reaktion auf den Holocaust
gewesen, ist sicher reduktiv. Aber es steht außer Zweifel, dass die
Nachkriegszeit nach einem neuen künstlerischen und architektonischen
Vokabular verlangte. Und anders als der Rückgriff auf die 20er Jahre, der
etwa in Deutschland vorherrschte, war der Brutalismus in diesem
Zusammenhang tatsächlich ein Schritt nach vorne.
Das Visionäre am Brutalismus, so suggeriert der Film, wird im Kontext des
US-amerikanischen Kapitalismus jedoch wortwörtlich vergewaltigt. Wie vorher
die Ideale des Bauhauses verkommt er zum vermarktbaren Designtrend, mit dem
sich die Klasse der Besitzenden schmückt, ohne die Ideen zu begreifen, die
dahinterstecken.
Die Wirklichkeit ist komplizierter. Marcel Breuer, der am ehesten als
Vorbild für die Figur Tóths gelten kann, hatte anders als Tóth nicht den
Holocaust in Deutschland erlebt. Er emigrierte 1935 nach London und wurde
1937 von Gropius an die Harvard School of Design geholt. Das Whitney Museum
an der Madison Avenue in New York, sein berühmtester brutalistischer Bau,
wurde anfangs sicher ob seiner harten und vermeintlich kontextsprengenden
Ästhetik geschmäht. Heute haben New Yorker es jedoch längst ins Herz
geschlossen und als Baudenkmal der Stadt adoptiert.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mehr als 50 Jahre lang erleben
konnten, wie die Raumidee des Brutalismus Meisterwerke der modernen Kunst
zum Leben und Atmen bringen konnte. Dass für den ungarischen Juden Breuer
dabei, wie indirekt auch immer, der Holocaust und der Zivilisationsbruch
des 20. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben könnte, kam dabei sicher nur
den wenigsten in den Sinn.
Aber vielleicht möchte der Film auch gar nicht den Holocaust als singulären
Ursprung für eine architektonische Stilrichtung behaupten. Vielleicht
sollte man aus ihm vielmehr die Notwendigkeit für ästhetische Aufbrüche
nach 45 herauslesen. Und ebenso für ihre Anfälligkeit dafür, im ewigen
Fluss des Konsumkapitalismus zur Banalität zu verkommen.
28 Jan 2025
## LINKS
[1] /Filme-ueber-Diktaturen-in-Venedig/!6031082
[2] /Ausstellung-zu-Brutalismus/!5407058
[3] /Hansaviertel-in-Berlin-wird-60-Jahre-alt/!5422425
## AUTOREN
Sebastian Moll
## TAGS
Spielfilm
Architektur
Moderne
Brutalismus
Holocaust
Schwerpunkt Korruption
Architektur
Architektur
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
wochentaz
Erotik
Kolumne Lidokino
Schwerpunkt Berlinale
Spielfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Brutalismus und Korruption in Kroatien: Hoffnung für Dalmatiens Raumschiff
Im Süden Dalmatiens zerfällt ein Bauwerk des Brutalismus. Doch vor den
Lokalwahlen formiert sich Widerstand gegen Verwahrlosung und Korruption.
Trumps umstrittenes Architektur-Dekret: Zurück ins Altertum
Donald Trump entschied per Dekret, dass öffentliche US-Bauten
klassizistisch aussehen sollen. Das passt so gar nicht zum Stil, in dem
sonst im Land gebaut wird.
Architekturausstellung in Berlin: Durch den Raum laufen, den es nicht gibt
Der US-Architekt Steven Holl entwarf fulminante Bauten. Die Tchoban
Foundation zeigt nun in der Ausstellung „Drawing as Thought“ seine
Zeichnungen.
KI in der Filmindustrie: Klappe, die erste
Gefährdet KI die Schauspielbranche? Wenn sie richtig eingesetzt wird, kann
sie eine Chance sein – für die Produktion und die Schauspielenden.
Architekten über Moderne in Syrien: „Das Werkzeug für eine politische Agend…
Mirma AlWareh und Ahmad Salah erforschen Bauten der Moderne in Syrien.
Dabei stoßen sie auf das Kontrollsystem Assads – und die Grenzen von
Wissen.
Film „Babygirl“ mit Nicole Kidman: Weder das eine noch das andere
Eine Karrierefrau, die sich nach Unterwerfung sehnt: Halina Reijn scheitert
beim Versuch, in Film „Babygirl“ Erotik mit Emanzipation zu kombinieren.
Filme über Diktaturen in Venedig: Viel Gegenwart der Vergangenheit
Bei den Filmfestspielen von Venedig werden ein Migrantenschicksal in den
USA und zweierlei Diktaturen zu unterschiedlichen Kinoereignissen.
Berlinale-Essayfilm „Architecton“: Abschied von Beton
Victor Kossakovskys neuester Film handelt von Gestein und was der Mensch
daraus macht. Eine Konfrontation mit den Folgen des herkömmlichen Bauens.
Drama „Vox Lux“ von Brady Corbet: An sich selbst zweifelnde Diva
Brady Corbet gelingt mit „Vox Lux“ ein böses Porträt der modernen USA.
Natalie Portman begeistert mit ihrer Darstellung als zerrissener Popstar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.