# taz.de -- Film „Babygirl“ mit Nicole Kidman: Weder das eine noch das ande… | |
> Eine Karrierefrau, die sich nach Unterwerfung sehnt: Halina Reijn | |
> scheitert beim Versuch, in Film „Babygirl“ Erotik mit Emanzipation zu | |
> kombinieren. | |
Bild: Es bahnt sich was an: Nicole Kidman und Harris Dickinson | |
Dem Film sei die Erotik abhandengekommen, lautet eine gängige Analyse des | |
gegenwärtigen Kinos. Nicht selten fällt in diesem Zusammenhang das | |
Stichwort „Empörungskultur“, die es Filmemachern angeblich erschwere, sich | |
unverkrampft mit Sexualität, ihren Schattenseiten und Graubereichen, | |
auseinanderzusetzen. | |
Schnell folgt der Vorwurf einer neuen Prüderie, die besonders dem jüngeren | |
Publikum zugeschrieben wird, weil es die Inszenierung von Sexszenen schnell | |
als „problematisch“ empfinde. | |
Befeuert wurde diese Debatte durch eine Studie der Universität von | |
Kalifornien in Los Angeles, laut der die „Gen Z“ weniger Sex in Filmen und | |
Serien sehen wolle. Dass dieser Wunsch womöglich viel damit zu tun hat, wie | |
Lust aktuell auf der Leinwand dargestellt wird, ließen viele Kommentatoren | |
außer Acht und gaben sich mit der Behauptung zufrieden, dass die Zeiten | |
schlicht zu „woke“ für Sex seien. | |
## Befreit vom Anrüchigen | |
Es wirkt so, als hätte [1][Halina Reijn] („Bodies Bodies Bodies“) diese | |
beiden (vermeintlich) widerstreitenden Pole, „freie“ versus | |
„sensibilisierte“ Darstellung von Sexualität, vor Augen gehabt, als sie | |
sich an die Arbeit zu „Babygirl“ machte. Mit ihrem dritten Spielfilm belebt | |
die niederländische Regisseurin nicht nur den Erotikthriller neu – ein | |
Genre, das in den Neunzigern florierte und mittlerweile fast verschwunden | |
ist – sondern passt ihn zugleich heutigen Sehgewohnheiten an, um ihn vom | |
Antiquierten und bisweilen Anrüchigen zu befreien. | |
Reijn erzählt aus der Perspektive von Romy (Nicole Kidman), und damit einer | |
Frau mittleren Alters, die sich als Geschäftsführerin eines Unternehmens | |
für Robotik noch dazu in einer Machtposition befindet. Ihre Lust ist es | |
außerdem, die in „Babygirl“ erkundet wird, durch eine Affäre, die Romy mit | |
dem deutlich jüngeren Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) eingeht. | |
Auf dem Papier zumindest stellt Halina Reijn damit all die nötigen Weichen, | |
um sich sowohl das Prädikat „emanzipatorisch besonders wertvoll“ als auch | |
„erotisch“ zu verdienen. Tatsächlich aber ist ihr Film letztlich weder das | |
eine noch das andere. | |
## Bloß nichts falsch machen | |
Das liegt vor allem an Reijns spürbarem Bemühen, bloß alles richtig zu | |
machen. Kopflastigkeit erstickt Leidenschaft – und in [2][„Babygirl“ wirkt | |
vieles konstruiert, vor allem die Figurenzeichnungen. Zwar wurde der Film | |
nach der Premiere in Venedig] für sein „starke Frauenfigur“ gelobt. Im | |
Grunde bedient Halina Reijn aber vor allem eine plumpe | |
„Girlboss“-Mentalität. | |
Romy ist nicht nur eine erfolgreiche Karrierefrau, sondern auch liebende | |
Mutter zweier Töchter und Gattin eines Theaterregisseurs (Antonio | |
Banderas), die ihren Körper mit Eisbädern, Spritzen und Skalpellen martert, | |
um darüber hinaus auch noch glänzend auszusehen. | |
Um mit dem ebenfalls veralteten Klischee der „Powerfrau“ zu brechen, wird | |
Romy also noch mit Selbstzweifeln bezüglich ihres Äußeren garniert. Denn, | |
und das lehrte nicht erst [3][„Barbie“], nach den Regeln eines resignativen | |
(Pseudo-)Feminismus ist dem Fortschritt bereits Genüge getan, wenn auf den | |
Druck patriarchaler Erwartungen hingewiesen wird, anstatt die Protagonistin | |
sich ihnen tatsächlich auch widersetzen zu lassen. | |
## Kontrolle im Bett loswerden | |
Ihr einziger Ausbruch ist sexueller Natur. So subversiv und provokant wie | |
„Babygirl“ sich gibt, ist Romys Begehren allerdings gar nicht. Denn Halina | |
Reijn ersinnt das wohl erwartbarste Verlangen für eine Figur, die viel | |
Macht besitzt: Im Bett will Romy die Kontrolle abgeben, die Verantwortung | |
loswerden, sich unterwerfen. | |
Die Auftaktsequenz entwirft in groben Strichen das enge psychologische | |
Gerüst, in das „Babygirl“ sie sperrt: Romy sitzt beim Sex in dominanter | |
Pose auf ihrem Ehemann, ihr Orgasmus ist vorgetäuscht und sein zärtliches | |
„Ich liebe dich“ löst Unbehagen in ihr aus. Schließlich stiehlt sie sich | |
davon und masturbiert heimlich zu einem Porno, in dem eine junge Frau den | |
Darsteller, der harten Sex mit ihr hat, „Daddy“ nennt. | |
Der Mann, mit dem Romy diese Fantasien im wahren Leben ausleben wird, | |
begegnet ihr trefflicher Weise bereits am nächsten Tag. Als sie Samuel | |
erstmals auf der Straße sieht, fasziniert sie seine Bestimmtheit, mit der | |
er einen Hund bändigt. Dass er ein neuer Praktikant ihres Unternehmens ist, | |
erfährt sie später. Auch Romy gegenüber gibt er sich sofort selbstbewusst, | |
bisweilen unverschämt. | |
## Zwischen Keller, Hotel und Toilette | |
Was folgt, ist ein Dominanz-und-Unterwerfungs-Spiel zwischen Kellerräumen, | |
Hotelzimmern und Bürotoiletten. Statt knisternder Spannung, ist es | |
allerdings vor allem eine Frage, die immer wieder aufkommt: Warum sollte | |
sich Romy ausgerechnet Samuel, der keinerlei Erfahrung als sexuell | |
dominanter Part zu haben scheint, auch keine dringliche Präsenz, in der | |
Position, die er einnimmt, entfalten kann, unterwerfen? Wo es an Reibung | |
mangelt, bleibt die Erotik aus. | |
Dass in Romys Devotheit immerhin ein emanzipatorisches Moment steckt, | |
betont „Babygirl“ selbst an einer Stelle. Ausgerechnet Samuel weist darauf | |
hin, dass die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau gerade darin bestehe, | |
jeden Part, auch den unterwürfigen, einnehmen zu können – egal, wie er sich | |
zu tradierten gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen verhält. | |
Richtig ist das durchaus. Der Eindruck, dass es in der Darstellung der | |
(sexuellen) Dynamik zwischen Romy und Samuel auch mit der | |
Fortschrittlichkeit nicht allzu weit her ist, erwächst weniger aus dem | |
offenen Text, als den nicht adressierten Misstönen zwischen den Zeilen. | |
Auch „Babygirl“ gelingt es etwa nicht, die wichtigste Grundlage einer | |
„gesunden“ BDSM-Beziehung zu vermitteln: das Anerkennen von Grenzen. | |
Romy nennt Samuel nur eine einzige – er soll sich von ihrer Familie | |
fernhalten. Er überschreitet sie mehrfach. Und Romy? Sie lässt es | |
geschehen. Am Ende ist ausschließlich sie es, die bestraft wird – und das | |
mehr, als ihr lieb sein kann. | |
29 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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