# taz.de -- „Barbie“ als Realverfilmung: Plastikwelt in Feminismus getaucht | |
> Greta Gerwigs Komödie persifliert und karikiert die gleichnamige | |
> Kultpuppe. Und deutet sie dann doch zur fortschrittlichen | |
> Spielzeugerrungenschaft um. | |
Bild: Die Farben sind schon super: Barbie (Margot Robbie) und Ken (Ryan Gosling… | |
Blondes Haar, lange Beine, große Brüste: Zumindest bis sich ein kritisches | |
Bewusstsein für den schädlichen Einfluss realitätsferner | |
Körpervorstellungen formte, beeinflusste „Barbie“ das gängige | |
Schönheitsideal maßgeblich mit. Dabei wäre sie mit Maßen von 99-46-84 nicht | |
einmal überlebensfähig, schlicht weil ihr schmaler Körper nicht genug Platz | |
für alle notwendigen Organe lässt. | |
Dass sich das Spielen mit der Puppe mitunter fatal auf das Selbstbild | |
junger Mädchen auswirkt, ist heute allgemein bekannt. Mehr noch: „Barbie“ | |
ist zum popkulturellen Symbol für überkommene Rollenklischees geworden, | |
wonach Frauen sich einzig Gedanken um ein makelloses Äußeres, ein schönes | |
Zuhause und einen attraktiven Freund an ihrer Seite machen würden. Eine | |
eigene Karriere hat in dieser pinkfarbigen Plastikwelt traditionell keinen | |
Platz. | |
In einer Zeit, in der feministische Ideale sich im Alltag zwar noch längst | |
nicht durchgesetzt haben, es aber zum guten Ton gehört, sich lautstark für | |
Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion auszusprechen, müsste es ein | |
Film, der sich einem gestrig wirkenden Spielzeug widmet, eigentlich schwer | |
haben. | |
Dass sich um die erste Realfilmadaption aus dem „Barbieversum“ dennoch | |
bereits vor Veröffentlichung ein Hype entwickelte, hat sicherlich zu tun | |
mit einem gewissen Nostalgiefaktor, der hochkarätigen Besetzung und dem | |
Irrwitz eines [1][gleichzeitigen Starttermins mit Christopher Nolans | |
düsterem „Oppenheimer“], der kaum einen größeren Kontrast zum | |
bonbonfarbenen Spielzeughedonismus bilden könnte. | |
## Eine feministische Regisseurin? | |
Dass die Vorfreude nicht von kritischen Zwischenrufen getrübt wurde, dürfte | |
vor allem daran liegen, dass Greta Gerwig als Regisseurin und als | |
Co-Autorin, gemeinsam mit [2][Noah Baumbach („Marriage Story“]), für das | |
Projekt verantwortlich zeichnet. | |
Mit Drehbüchern zu Dramen wie [3][„Mistress America“ (2015)] und „Frances | |
Ha“ (2012) bewies Gerwig früh besonderes Einfühlungsvermögen für | |
Erfahrungswelten von Frauen, deren Lebenswege sich gerade abseits des | |
Perfekten bewegen. Meist hadern ihre Figuren mit Einsamkeit, beruflicher | |
Erfolglosigkeit und finanziellem Engpass. | |
Auch bei ihren ersten Regiearbeiten, dem [4][2017 erschienenen „Lady Bird“] | |
über eine rebellische Teenagerin aus prekären Verhältnissen und dem | |
Historiendrama „Little Women“ (2019) über vier Schwestern, die Mitte des | |
19. Jahrhunderts innerhalb der engen Grenzen, die ihnen Patriarchat und | |
Standesdenken setzen, nach persönlicher Erfüllung suchen, stehen Themen wie | |
weibliche Selbstfindung und Selbstermächtigung im Fokus. | |
Dass Gerwig mit einem kritischen Blick auf die tumbe „Malibu Blondine“ | |
schauen würde, konnte man demnach getrost annehmen. Und tatsächlich | |
ironisiert, persifliert und karikiert die US-amerikanische Filmemacherin | |
das zweifelhafte Vermächtnis der Puppe und ihre oberflächliche | |
Fantasiewelt. Nicht jedoch ohne – und hierin scheitert der Film daran, eine | |
wahrhaftig überzeugende feministische Perspektive einzunehmen – „Barbie“ | |
letztlich zur fortschrittlichen Errungenschaft umzudeuten. | |
## Kubrick-Anspielung als Einstieg | |
Es beginnt mit der Auftaktszene, in der – als Anspielung an die berühmte | |
„Dawn of Man“-Sequenz aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ | |
konzipiert – eine spielende Schar kleiner Mädchen in einer | |
beige-betrüblichen Wüste mit Babypuppen zu sehen ist. Sie wickeln und | |
füttern sie, legen sie in ihre Bettchen oder fahren sie im Kinderwagen | |
spazieren. | |
Die Tristesse wird durch die Ankunft einer überdimensionalen „Barbie“ | |
aufgebrochen. Ähnlich wie die Affen aus Kubricks Vorlage in Reaktion auf | |
einen ominösen Monolithen werden die Kinder dadurch von der Erkenntnis | |
gepackt und beginnen ihre Säuglingen nachempfundenen Puppen zu zertrümmern. | |
Wie die Erzählerin aus dem Off erklärt, wären Mädchen zuvor einzig dazu | |
angeregt worden, Mütter zu sein. Die „Barbie“ hingegen hätte ihnen als | |
erste Erwachsenenpuppe beigebracht, dass sie alles sein könnten. | |
Selbstredend wird diese kulturgeschichtliche Einordnung mit einem leicht | |
ironischen Unterton vorgebracht, überspitzt durch den spöttischen Zusatz, | |
„alle Probleme des Feminismus und der Gleichberechtigung“ seien direkt | |
mitgelöst worden. Dennoch ist so die erste positive Botschaft der | |
gesellschaftlichen Bedeutung des Spielzeugs des Konzerns Mattel, der | |
übrigens 14 weitere Filme rund um seine Produkte plant, schon binnen der | |
ersten Spielminuten vorgebracht. | |
Die gerissene Mischung aus satirischen Seitenhieben und der mehr oder | |
minder subtilen Demonstration der Progressivität, für die die Puppe und ihr | |
Hersteller insbesondere im Heute stehen wollen, zieht sich auch durch das | |
weitere Geschehen. Das verlagert sich zunächst nach „Barbieland“, wo nicht | |
etwa nur bleierne Gleichförmigkeit herrscht und sich alles darum dreht, den | |
Kens zu gefallen. Im Gegenteil: Im Matriarchat sind die männlichen Pendants | |
höchstens hübsches Beiwerk. | |
## Die verschiedenen Barbies in der Nachbarschaft | |
Hauptdarstellerin Margot Robbie spielt zwar die „stereotype Barbie“ samt | |
perfekt geformten Füßen in ständiger Pumpsposition und der typisch blonden | |
Haarpracht, ist aber umgeben von zahlreichen anderen Barbieversionen, die | |
unterschiedlichen Ethnien angehören, verschiedene Körperformen haben und | |
einer ganzen Reihe an beeindruckenden Karrieren nachgehen. In einer | |
treibenden Sequenz werden sie in ihren täglichen Abläufen vorgestellt – als | |
Präsidentin (Issa Rae), Ärztin (Hari Nef), Physikerin (Emma Mackey). | |
Während das smarte Setdesign im täuschend echten Spielzeuglook durchaus | |
beeindruckt, fühlt sich „Barbie“ in diesen Momenten an wie ein | |
Marketingspot für jene neuen Puppenpalletten, die Mattel nach enormen | |
Umsatzeinbrüchen seit 2015 veröffentlichte, wohl um sich als | |
sozialverträglichere Marke zu präsentieren. So etwa die „Curvy Barbie“, d… | |
dem Konzern eine Coverstory des Time Magazine einbrachte, aber nicht hält, | |
was man mit dem Namen assoziieren könnte. Bei Kleidergröße 36 bereits von | |
„kurvig“ zu sprechen, scheint im Hinblick auf das Ziel, Mädchen ein | |
gesünderes Körperbild zu vermitteln, sogar kontraproduktiv. | |
Total unreflektiert zeigt Gerwig das Spielzeugidyll auch hier nicht. Als | |
Barbie von plötzlich auftretenden Gedanken an die eigene Sterblichkeit aus | |
ihrem malerischen Alltag gerissen wird, wird sie von | |
„Ausfallserscheinungen“ heimgesucht, die nur eine auf Perfektion getrimmte | |
Puppe ängstigen könnten: flache Füße, beginnende Cellulite. Wie sie | |
erfährt, gibt es einen Riss zwischen der ihren und der „realen Welt“, durch | |
den die Person, die dort mit ihr spielt, ihre Negativität auf sie überträgt | |
und so für ihren körperlichen Verfall verantwortlich ist. Um die Normalität | |
wieder herzustellen, bricht sie mit dem stereotypen Ken (Ryan Gosling) in | |
unsere Gegenwart auf. | |
Von da an nimmt „Barbie“ vorübergehend den Ton einer ebenso originellen wie | |
witzigen „Culture-Clash“-Komödie an: Gewöhnt an die Verhältnisse im | |
„Barbieland“, muss sie entgeistert feststellen, dass in der echten Welt | |
andere Regeln – und vor allem die Männer – herrschen, während Ken von der | |
ungekannten Macht seines Geschlechts berauscht ist. | |
## Barbies Begegnung mit ihrer Schöpferin | |
Zwischen Barbies Konfrontation mit der erbarmungslosen Kritik der | |
„Generation Z“ an der Puppe und scharfer Satire auf die rein männliche | |
Führungsriege von Mattel, die sich bald auf die Jagd nach Barbie macht, | |
läuft der Film zwar zu seiner humoristischen Höchstform auf. | |
Des Eindrucks, die unbequemeren Sticheleien seien bewusst so platziert, | |
dass gleichsam den Gegnern der Puppe und ihres Herstellers der Wind aus den | |
Segeln genommen wird, dabei aber das Image des Spielzeugs als ein | |
mittlerweile fortschrittliches erhalten bleibt, kann man sich allerdings | |
nicht erwehren. Umso mehr, als sich bald rührselige Begegnungen von Barbie | |
mit ihrer Schöpferin Ruth Handler (Rhea Perlman) und ihrer eigenen | |
Fähigkeit zu Emotionen mit in das Geschehen mischen, was den Film zunehmend | |
den Anstrich eines überaus klug konzipierten Werbefilms verpasst. | |
Als Barbie schließlich zurück nach „Barbie Land“ kehrt, das von Ken | |
zwischenzeitlich in eine besonders primitive Spielart des Patriarchats | |
transformiert wurde, verklärt sie Gerwig – nach einer kurzen depressiven | |
Phase, immerhin – endgültig zur feministischen Heldin, die gemeinsam mit | |
den anderen weiblichen Puppen die pastellfarbene Plastikwelt zurückerobert. | |
## Bleibt Barbie ein sinnentleertes Pop-Phänomen? | |
Die Thesen, die dabei in vermeintlich inspirierenden Ansprachen fallen, | |
gehen allerdings niemals über handzahme Girl-Power-Plattitüden und | |
abgedroschene Auslassungen über die unerhört hohen Ansprüche an Frauen | |
hinaus. Nun könnte man grundsätzlich argumentieren, dass derartige | |
Floskeln, gerade in einem Sommerblockbuster mit einer solchen Strahlkraft, | |
besser seien als gar kein Feminismus. | |
Wenn dieser aber letztlich vor allem zu einer Steigerung des Ansehens und | |
der Verkaufszahlen eines nur leidlich progressiveren Produktes führt, ist | |
der Sache ein Bärendienst erwiesen und weiter zur Degradierung eines | |
sozialen Bestrebens zu einem sinnentleerten Pop-Phänomen beigetragen. | |
Heute mögen die Puppen auch mal mit OP-Kittel oder Mikroskop geliefert | |
werden. Dass sich in erster Linie alles um ihr adrettes Aussehen und süße | |
Outfits dreht, hat sich aber nicht geändert. Barbies sind weiterhin zuerst | |
Körper, selten Persönlichkeit. Ebenso wie dieser Film selten aufrichtige | |
Auseinandersetzung mit diesem Missverhältnis und zuerst eine spaßige | |
Schönfärberei desselben ist. | |
„Barbie“. Regie: Greta Gerwig. Mit Margot Robbie, Ryan Gosling u. a. USA | |
2023, 114 Min. | |
19 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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