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# taz.de -- Brutalismus und Korruption in Kroatien: Hoffnung für Dalmatiens Ra…
> Im Süden Dalmatiens zerfällt ein Bauwerk des Brutalismus. Doch vor den
> Lokalwahlen formiert sich Widerstand gegen Verwahrlosung und Korruption.
Bild: Die Gemeinschaftsräume stehen in Rika Marasovićs Gebäude im Fokus: Die…
Krvavica taz | Wie ein vor langer Zeit gestrandetes Raumschiff liegt das
Hotel Krvavica mitten in einem Kiefernwald am kroatischen Adria-Strand,
hinter ihm ragt bis auf 1762 Meter das Biokovo-Gebirge steil nach oben. Das
obere Stockwerk, in dem die kleinen Zimmer liegen, ist als hohler Kreis
angelegt, der auf schrägen Betonstelen liegt. In der Mitte, von der
Terrasse im Erdgeschoss aus, geht der Blick in den Himmel. Zwei breite,
großzügig geschwungene stufenlose Aufgänge verbinden die Terrasse mit dem
Strand und den Zimmern. Ein Traum von Barrierefreiheit.
Was den Eindruck eines Raumschiffs verstärkt, ist die wellige Gestaltung
des Dachs. Hierzu wurde die Betondecke über den Zimmern wie Wippen zu
beiden Seiten nach oben geklappt. In ihnen befinden sich vorne und hinten
kleine Fenster, die so ausgerichtet sind, dass sich der Wind vom Berg mit
dem von der See vermischt.
Es war diese Begegnung der guten Lüfte, weswegen dieses Gebäude hier
entstand: der Architekt Rikard Marasović entwarf es als Sanatorium für
lungenkranke Kinder. Vor genau 60 Jahren wurde es 1965 eröffnet und zehn
Jahre später zum Erholungsheim für Familien jugoslawischer Soldaten
umgewidmet. Mit Beginn des kroatischen Unabhängigkeitskrieges 1991 zog die
Armee ab, Kriegsflüchtlinge zogen ein. Seit Ende des Krieges 1995 steht das
Hotel leer und verfällt.
Auf einem Felsen im Biokovo, direkt über dem Gebäude, spielt in der 4.
Staffel von Game of Thrones Daenarys mit ihren Drachen und hat einen
sagenhaften Blick auf die dalmatinische Adria. [1][Eine Sekunde lang
schweift die Kamera auch auf das unverwechselbare Dach des Ufos am Meer,]
bevor der böse Drache ins Bild fliegt und mit seinem Flügel das Raumschiff
verdeckt.
## Ein Raumschiff ohne Interesse
In der Realität ist es kein böser Drache, der das Hotel unter seinem Flügel
begräbt. Es ist eine seit über 30 Jahren währende Politik, die das
architektonische Meisterwerk am liebsten verschwinden lassen würde.
Die Architekten der touristischen Infrastruktur im sozialistischen
Jugoslawien hatten in den 1960er Jahren freie Hand. Eine der wenigen
Auflagen, die sie bekamen, war, dass mehr als die Hälfte der Fläche der
Hotelbauten für gemeinschaftliche Zwecke geplant werden musste.
Was Marasović auf dieser Grundlage für den winzigen Fischerort Krvavica
erdacht und der jugoslawische Staat realisiert hatte, war noch verspielter
als die anderen heute auch meist in Ruinen liegenden jugobrutalistischen
Hotelanlagen. Marasović’ Raumschiff war kein Zweckbau, der auf maximalen
Profit zielte. Marasović’ Raumschiff war eine verträumte Fantasie für die
Kinder der Zukunft, die hier zum Träumen und Heilen ans Meer kommen
sollten. „Das war hier unser verlängertes Wohnzimmer“ erinnert sich der
48-jährige Händler und Schauspieler Dino Beroš, der in Krvavica
aufgewachsen ist und lebt.
Auch ich selbst kenne das Hotel noch aus meinen Kindertagen, es liegt nur
ein paar hundert Meter von der Bucht entfernt, in der mein Vater in den
1970er Jahren sein Haus baute, von dessen Terrasse ich seit 50 Jahren aufs
Meer gucke. Jahrzehntelang war egal, wen ich nach dem Hotel fragte, es
wurde nur mit dem Kopf geschüttelt und mit den Schultern gezuckt. Niemand
schien sich hier für das Raumschiff zu interessieren, nur hin und wieder
kamen Fotografen oder Architekten aus der weiten Welt vorbei und standen
staunend und kopfschüttelnd vor Marasović’ verrottendem Kindertraum.
[2][Bis zur Coronapandemie 2020].
## Die Heilung der Heilanstalt
Das Atemwegsvirus erinnerte die Malerin Tina Divić, die in Krvavica lebt,
an die frühere Funktion des Hotels. Unter dem Titel „Die Heilung der
Heilanstalt“ räumte sie mit anderen Künstler*innen, Aktivist*innen und
Anwohner*innen den Müll aus der Ruine, das vergammelnde Mobiliar zur
Seite und organisiert seitdem unter dem Titel „Architektur, die heilt“
Führungen und Kulturveranstaltungen an. Das Hotel strahlt an diesen paar
Tagen im Sommer über beide Ohren.
Gerade ist die erste Monographie (kroatisch und englisch) über das Gebäude
erschienen, in dem die Herausgeberinnen [3][Nataša Bodrožić und Antonia
Vodanović] nicht nur die verschiedenen Geschichten über und Erinnerungen an
das Gebäude sammeln, sondern auch den jahrelangen Kampf gegen den Verfall
und für eine Anerkennung des Hotels dokumentieren. Immerhin, offiziell
steht es mittlerweile unter Denkmalschutz. „Für seinen Schutz tut der Staat
allerdings immer noch nichts“, erzählt Divić. „Selbst das Kulturerbe-Wapp…
haben wir selber auf den Boden gemalt“.
Nicht mal ein Schild hat der Staat aufgestellt, weswegen Tourist*innen, die
hier in nicht kleiner Zahl am Strand liegen und an der Promenade
entlangschlendern, bis heute rätseln, was es mit diesem magischen Gebäude
auf sich hat. Dabei könnte das Strandhotel ein Besucher*innenmagnet
sein, der perfekt in den touristischen Trend der Lost Places passt. Warum
lässt sich ein Staat, der in dieser Region hauptsächlich von der
touristischen Wirtschaft lebt, eine solche Chance entgehen?
## Widerstand
„Sie warten darauf, dass es in sich zusammenfällt, damit sie abreißen und
das ultraattraktive Stück Land an jemanden verkaufen können, der hier ein
Resort für den Massentourismus bauen kann“, sagt Dino Beroš. „Ein irrer
Plan. Wer soll da arbeiten? Sämtliche Hotels hier suchen händeringend nach
Arbeitskräften und die Zahl der touristischen Betten in unserer Gemeinde
ist schon jetzt viel zu hoch.“ Apartmanistan nennen die Bewohner*innen
inzwischen ihr wunderschönes Dalmatien, das die Politik an den
Massentourismus verkauft hat.
Geht es nach Beroš, ist damit ab Sonntagabend Schluss. Gegen 20 Uhr werden
am 18. Mai die Ergebnisse der Lokalwahlen bekannt gegeben, bei denen die 13
Sitze für die Gemeinde Baška Voda, zu der Krvavica gehört, vergeben werden.
Zur Wahl stehen nur zwei Listen mit ihren jeweiligen
Bürgermeisterkandidaten. Die eine ist die kroatische Regierungspartei HDZ,
für die erneut Josko Roščić kandidiert, der hier seit 32 Jahren
Bürgermeister ist.
Die andere ist ein Bündnis von Leuten aus verschiedenen Parteien,
Unabhängigen und Listen. Dazu gehört auch die Liste „Tri Vale“ („Die dr…
Buchten“), für die Dino Beroš kandidiert. Die drei Buchten sind neben
Krvavica die Nachbarbuchten Bratuš und Promajna mit insgesamt etwa 500
Einwohner*innen. „Vor 30 Jahren sahen es hier besser aus als heute. Die
Politik hat uns Einwohner immer weiter marginalisiert“, sagt Beroš.
„Das Einzige, was in den letzten 30 Jahren entstanden ist, sind Apartments.
Es reicht!“, ergänzt Vjekoslav Radić. Der 53-Jährige ist der
Bürgermeisterkandidat des unabhängigen Bündnisses und lebt in der
Hauptstadt Baška Voda. „Wir sind eine der reichsten Gemeinden und haben
nicht mal einen Kindergarten mit Ganztagsbetreuung. Die Schule befindet
sich in einem katastrophalen Zustand. Wir haben keine Sporthalle, es fehlen
Parkplätze, Promenaden, Parkbänke und Einkaufsmöglichkeiten, also alles,
was Menschen in einem Ort brauchen, um zu leben.“
Bürgermeisterkandidat Radić weiß genau, wovon er spricht. Als ehemaliger
Direktor des kommunalen Versorgungsverbands hatte er Einblick in die
Dysfunktionalität der Gemeinde, die seit der Unabhängigkeit Kroatiens von
einem Mann regiert wird, dem Nepotismus und Korruption vorgeworfen wird.
„Grundstücke und Immobilien werden ohne zulässige Papiere verkauft oder
gebaut und nachträglich legalisiert“, berichtet Radić.
Auch das riesige Kinderdorf mit Holzbaracken im Wald zwischen Promajna und
Baška Voda verfällt. Auch hier warte der Staat auf den Zahn der Zeit, um
das Gelände im großen Stil kapitalisieren zu können. „Völlig ignoriert wi…
die gesellschaftliche und kulturelle Funktion dieser Gebäude, die das
sozialistische Jugoslawien einst für die eigenen Bewohner und nicht für
ausländische Touristen baute“, sagt Radić.
## Quereinsteiger ohne Angst
Während der Bürgermeisterkandidat bis vor Kurzem Mitglied der
Regierungspartei HDZ war, war Hotelfan Dino Beroš nur als Jugendlicher
Mitglied der Sozialdemokraten. Sein Mitstreiter, der 49-Jährige Luka
Granić, Kandidat Nummer 2 auf der Liste der drei Buchten und Leiter einer
Shoppingmall, war noch nie politisch organisiert. Offenkundig reicht es den
Bewohnern der kleinen Buchten genauso wie den Bürgern in Serbien oder
Mazedonien, die seit Monaten [4][gegen die Korruption der
postsozalistischen Eliten demonstrieren], weil die öffentliche
Infrastruktur zur Lebensgefahr geworden ist, wie in Novi Sad, wo das
Bahnhofsvordach einbrach und 12 Menschen starben.
Selbst im wesentlich reicheren Dalmatien, das für seinen Patriotismus
bekannt ist, investiert die Politik mitnichten in die schöne Heimat. „Die
Politik hat das Geld aus dem Tourismus in diverse Privattaschen gesteckt.
Es gibt zum Beispiel in unserer gemeinde keinen einzigen Ort für
Kulturveranstaltungen. Alle reden nur über Strandliegen und wer die
Konzession kriegt, sie zu vermieten“, sagt Bürgermeisterkandidat Radić.
Sein Wahlslogan lautet übrigens: „Ohne Angst“. Das hat seine Gründe. Hint…
vorgehaltener Hand würden die Bewohner Radić zwar ihre Unterstützung
zusagen. Doch offen trauten sich die meisten das nicht. Zu groß sei die
Angst, der regierende Bürgermeister und seine Profiteure könnten sich an
ihnen rächen. „Zustände wie im Kommunismus“, sagt Radić. Und Luka Granić
ergänzt: „Sollten wir die Wahl gewinnen, ist damit Schluss. Jeder soll
offen politische Entscheidungen kritisieren können.“ Das vorrangige Ziel
des Bündnisses: das viele Geld aus dem Tourismus in die Verbesserung des
zivilen Lebens investieren.
Immer wieder betonen alle drei: „Wir wollen unserer Gemeinde das Leben
zurückgeben“. „Und dem Hotel Krvavica“, sagt Granić. „Wir wollen aus …
ein kulturelles Zentrum machen, von dem man in ganz Europa spricht. Das
Hotel muss aus der touristischen Zone in die gesellschaftliche transferiert
werden.“
Die NGO der Künstlerin Tina Divić plant in den kommenden Sommern wieder
Kulturveranstaltungen im Hotel Krvavica. Sind die Kandidaten der Liste der
drei Buchten am Sonntag erfolgreich, vielleicht zum ersten Mal im dann
sanierten Raumschiff.
15 May 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=u1FHQiRa8cg&lc=Ugh-pG0pd7AFw3gCoAEC
[2] /Abschied-von-Dalmatien/!5707700
[3] https://www.setmargins.press/books/distrust-the-storyteller/
[4] /Serbien-und-Nordmazedonien/!6074414
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
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