# taz.de -- Abschied von Dalmatien: Die Corona-After-Party | |
> Eben noch Hotspot für Feierwütige und plötzlich Risikogebiet: Hals über | |
> Kopf haben Urlaubende die kroatische Küste verlassen. | |
Bild: Letzte Sonne am Strand von Makarska. Durch stetig steigende Coronazahlen … | |
Eigentlich beginnt jetzt [1][das Nachtleben.] Es ist Ende August, | |
Samstagabend, 22 Uhr, das Thermometer zeigt 31 Grad. Aber die Strandbar | |
Cubano Beach in Makarska hat zu. Nur vier junge Kellner sitzen | |
oberkörperfrei an einem der Tische. „Was machen wir hier eigentlich?“, | |
fragt einer. „Warten, dass der Staat den Strom abdreht“, sagt ein anderer. | |
Sie müssen laut reden, in der Bar direkt nebenan, in der Beachbar Makarano, | |
sind die Boxen voll aufgedreht. Es läuft, kein Scheiß, [2][Bob Marley: | |
„Let’s get together and feel all right.“] Eine einzige Touristin bewegt | |
sich dazu auf der Tanzfläche. Eine Gruppe polnischer Touristen kommt und | |
setzt sich in eine der von weißen Outdoorvorhängen umwehten | |
Freiluftseparees der Bar. | |
Die zwei polnischen Pärchen und die Tanzende sind die einzigen Gäste. Noch | |
vor drei Tagen sah das hier ganz anders aus. Seit dem 14. August aber | |
müssen Bars und Kneipen in Kroatien offiziell um Mitternacht schließen. | |
Wegen der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen. Seit dem 20. August | |
ist die Gegend zudem vom deutschen Auswärtigen Amt zum Risikogebiet erklärt | |
worden. Einer der Polen im Makarano sagt: „Corona-After-Party“. | |
Nur einige hundert Meter vom Makarano entfernt liegt die Beachbar Makarana. | |
Eine Vielzahl deutscher, österreichischer und Schweizer Touristen, die nach | |
ihrer Rückkehr aus Kroatien positiv auf Covid19 getestet wurden, haben sich | |
mutmaßlich in dieser Bar angesteckt. Es heißt, einer der Kellner war | |
positiv und hat trotzdem weitergearbeitet. Die Betreiber des Makarana | |
wollen dazu nichts weiter sagen. Auf ihrer Facebookseite haben sie | |
lediglich angekündigt, dass sie wegen der staatlich angeordneten | |
Mitternachtsruhe die Saison beenden und sich auf den nächsten Sommer | |
freuen. Keine Warnung an die Gäste, sich testen zu lassen. Kein Sorry. | |
## Das Virus feiert Beachparty | |
Makarska ist einer von zwei Corona-Hotspots in Kroatien, in dem das Virus | |
Beachparty feiert. Am Tag vor der deutschen Reisewarnung waren hier noch | |
knapp 9.000 Touristen. Seitdem das Auswärtige Amt die Gespanschaft | |
Split-Dalmatien auf die „rote Liste“ gesetzt hat, wird abgereist. | |
Dabei hatte der Sommer gut angefangen. Der kroatische Premier Andrej | |
Plenković hatte entschieden, am 1. Juni die Grenzen für Touristen zu | |
öffnen. Weil das Land durch äußerst strenge Maßnahmen zum Sommeranfang | |
quasi coronafrei war, wurde Kroatien Topdestination. Es gab laut | |
Tourismusministerium im Juli nur 40 Prozent und im August sogar nur 30 | |
Prozent weniger Übernachtungen als im Vorjahr. Plenković sprach im Juni vom | |
„Sieg im Kampf gegen Covid-19“. Ende Juli hieß es von der Regierung: „Die | |
Zahlen sind hoch, aber es ist noch lange kein exponentielles Wachstum in | |
Sicht.“ Mitte August verzeichnete Kroatien so hohe Ansteckungszahlen wie | |
nie zuvor. Das 4-Millionen-Einwohner-Land zählt inzwischen über 8.300 | |
Infizierte. Allein am vergangenen Samstag wurden 306 neue Fälle | |
registriert. | |
Die ehemalige Piraten- und Partisanenhochburg [3][Makarska] – 50 Kilometer | |
südlich von Split, 14.000 Einwohner – verwandelt sich im Sommer | |
normalerweise zu einer nach Plastik, süßem Parfum, heißem Asphalt, schnell | |
trocknenden Körperausscheidungen und saisonalem Geschlechtsverkehr | |
riechenden Partyzone. Normalerweise übernachten hier zwischen Juni und | |
August etwa 18.000 Touristen, vor allem junge, irre aufgebrezelte Leute, | |
die nicht nur so aussehen, als würden sie tagsüber im seichten Türkis der | |
Bucht Shootings für Pornokalender machen. | |
Dass die Strände hier nicht nur von Familien, die brav in ihren | |
Ferienhäusern bleiben, besucht werden würden, sondern auch von | |
Hunderttausenden Partywilden, war also absehbar. Dass die Beachbars von | |
Rijeka bis Dubrovnik, in denen sich bis zu 1.000 Leute auf kleiner Fläche | |
drängen, zu Hotspots werden könnten, auch. Man hätte sie eigentlich gar | |
nicht erst aufmachen dürfen. Aber in einem Land, das sein Bruttoeinkommen | |
zu 20 Prozent aus dem Tourismus bezieht und unter Ravern und Partylovern | |
das Image genießt, das früher mal Ibiza hatte, wäre mit einem Verbot von | |
Partybars die Attraktivität dahin gewesen. | |
„Die Leute glauben, wir werden von Politikern regiert. Falsch. Die | |
Drogenmafia schreibt die Regeln vor“, sagt mein Nachbar in unserem | |
83-Einwohner-Dorf, nur eine Bucht vom Hotspot Makarska entfernt. Die | |
Beachbars seien wichtige Drogenumschlagsplätze. Ein Öffnungsverbot für sie | |
hätte die Geschäfte der Drogenmafia versaut. | |
Abhängig vom Tourismus ist Kroatien in jedem Fall, das zeigt sich in der | |
Coronazeit immer wieder, etwa im Nahverkehr. Im ganzen Land gilt schon seit | |
Monaten Maskenpflicht. Mitte August sitzen im 6-Uhr-Bus von Makarska nach | |
Split, die zirka 50 Kilometer entfernte Hauptstadt Dalmatiens, nur | |
Einheimische. Eine Fahrt kostet 7 Euro 17. Der Busfahrer fragt beim | |
Ticketverkauf jeden, der einsteigt und keine Maske trägt: „Haben Sie eine | |
Maske?“ Alle haben eine und alle ziehen sie auf. | |
Auf der Rückfahrt tragen zu Beginn ebenfalls alle Maske. Bis auf einen. Ein | |
Glatzkopf, zirka 50, auffällige Oberarmmuskeln, ein Arm im Gips, | |
Alkoholfahne. Einer dieser Kriegertypen, die in den 1990 Jahren fürs | |
„Vaterland“, also für das unabhängige Kroatien an der Front waren und die | |
man hier noch häufig sieht. Er telefoniert in landestypischer | |
Überschalllautstärke lallend mit seiner Mutter, der er erklärt, dass er | |
sich nicht um ihre Probleme kümmern könne, bis der Gips ab ist. Niemand | |
sagt was. Ich auch nicht. Wahrscheinlich denken alle dasselbe: Der schlägt | |
dir mit seinem Gips die Nase kaputt, wenn du ihn nach seiner Maske fragst. | |
In den Bus steigen jetzt auch immer mehr Touristen ein. Franzosen, Polen, | |
Tschechen, Deutsche. Die Franzosen tragen ihre Maske im Ellenbogen. Der | |
Busfahrer sagt nichts. Auf dem Weg steigen weitere Touristen zu. Nicht alle | |
tragen eine Maske. Der Busfahrer lässt sie einfach passieren. Das | |
französische Pärchen steht mitten in der rasanten Fahrt an der kurvigen | |
Steilküste auf und fragt den Busfahrer in gebrochenem Englisch, wo sie | |
aussteigen müssen. Der Busfahrer hält, erklärt ihnen ausführlich und in | |
gutem Englisch, wie sie jetzt laufen müssen. Er trägt die ganze Zeit eine | |
Maske vor dem Gesicht. Die Franzosen ihre am Ellenbogen. | |
Auch in den Supermärkten kann man diese Ungleichheit beobachten. Die | |
Einheimischen tragen Maske. Aber die Touristen rennen in Badelatschen und | |
Badehosen rein und raus, wie und wo es ihnen gerade passt, mit Maske, ohne | |
Maske. Aber alle halten die Klappe. Wegen der lausigen 7 Euro 17, die sie | |
hier mit dem Billigtourismus verdienen und von denen sie ihre Familie bis | |
mindestens in den nächsten Sommer durchbringen müssen. | |
Im 83-Einwohner-Dorf mit einem kleinen Strand, einer kleinen Straße, einem | |
kleinen Café, einem kleinen Restaurant sitzen die Einheimischen in der | |
einzigen kleinen Strandbar. Sie kommentieren die massenhafte Abreise der | |
Touristen mit dem üblichen dalmatinischen Galgenhumor: „Wir bleiben | |
positiv.“ Und dalmatinischen Lösungsansätzen: „Beim Arzt hier kannst du | |
wählen, wie das Ergebnis des Coronatests ausfallen soll: Hast du keinen | |
Bock zu arbeiten, wählst du positiv. Willst du nach Deutschland reisen, | |
wählst du negativ. ‚Wahrscheinlich positiv‘ kostet extra.“ Das sei hier … | |
wie bei den Behörden. „Du wählst einfach aus, welches Baugesetz für dein | |
eigenen Haus am günstigsten ist, gibst dem Beamten ein halbes Schwein und | |
schon ist dein Grundstück drei Meter breiter, obwohl da ein anderes Haus | |
steht.“ Man habe hier schon härtere Kriege als das bisschen Virus gewonnen. | |
Nach einem durchweg sonnenbestrahlten und heißen Monat ziehen am letzten | |
Augustmontag dunkle Gewitterwolken über Dalmatien. Die weißen | |
Outdoorvorhänge an den Bars wehen im Wind. Doch die Leichtigkeit des | |
Sommergefühls ist weg. Die Touristen auch. Was bleibt? 7 Euro 17 und die | |
Ungewissheit, ob die Touristen das Virus bei ihrer eiligen Abreise | |
hiergelassen haben. | |
30 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-illegale-Partys-geht-weiter/!5699657&s=nachtleben/ | |
[2] /Happy-Birthday-Bob-Marley/!5661947&s=bob+marley/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Makarska | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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