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# taz.de -- Relative Ruhe an der kroatischen Adria: Unter Palmenresten
> Im Juni beginnt an der kroatischen Adria die Hochsaison. Eigentlich. Denn
> in diesem Jahr ist fast noch niemand da. Am Bistrotisch wird getratscht.
Bild: Das kroatische Tourismusministerium wirbt in diesem Jahr mit dem Slogan: …
Die Bar ist noch mit Sperrholzplatten verrammelt. An einer Hauswand kündigt
ein DIN-A4-Zettel an, dass am Sonntag alle an den Strand kommen sollen, um
ihn für die kommende Saison von angespültem Müll zu säubern. Auf dem Platz
vor dem Café, wo sonst Tische und Stühle stehen, liegen Haufen aus toten
Palmenteilen.
Seit Beginn der Pandemie frisst sich ein gemeiner Wurm durch sämtliche
Palmen des kleinen Orts an der kroatischen Adria – 84 Einwohner, 10 Hunde,
rund 186 Katzen, 1 Straße (Sackgasse), 1 Café, 1 Restaurant, 1 Strandbar, 1
Laden (Toilettenpapier, Speiseeis, Thunfischdosen), keine Kirche – und
hinterlässt in den Himmel ragende Baumstämme. Die Bewohner sind sich
sicher: Der Wurm – „Er kann sogar fliegen“ – kam mit Palmen, die aus
Nordafrika eingeführt wurden. „Jetzt seht ihr, was eure schöne
Globalisierung bei uns anrichtet: Virus, Würmer und Tomaten aus Holland“,
sagt L., der gerade an seinem im Lockdown fertiggestellten Sommerhäuschen
einen Schriftzug mit dem Namen des Hauses anbringt.
„Ja, hallo! Wiegehtswannbistduangekommenwielangbleibstdu?“ lautet die erste
Frage, die die Ganzjahresbewohner den Sommerhausbewohnern bei ihrer Ankunft
stellen. „Hast du auch überlebt?“, ist in diesem Jahr die Zusatzfrage, die
noch um die Folgefrage, „Hast du dich impfen lassen?“, ergänzt wird, und
das ist dann auch schon das Einzige, was sich von den anderen
Saisonanfängen unterscheidet. Denn anschließend geht es sofort im gewohnten
Fragemodus weiter: „Was gibt’s Neues in
Deutschland/Italien/Australien/Zagreb? Wie geht es
Mutter/Oma/Schwester/Kind? Hast du schon Gäste?“
Die Antwort auf die letzte Frage ist allerdings auch neu. Sie lautet:
„Nein.“
Alles ist ungefähr um einen Monat nach hinten verschoben. Normalerweise
wird hier ab 1. Juni bereits der Schalter umgelegt: Ausflugsboote beginnen
ihre Fahrten auf die Insel, die Gastrobetriebe drehen die Musik auf, der
Strand sieht aus wie auf den Tourismusplakaten, und man hört die ersten
Sätze in gebrochenem Deutsch: „Scheen, dass Sie gekommen. Es war langes
Winter. Jetzt wir trinken. Prost, Angela Merkel.“
## Am Strand
Im zweiten pandemischen Sommer herrscht an diesem 1. Juni relative Ruhe.
Nur ein paar erste Touristen zeigen sich: eine Gruppe Motorradfahrer aus
Ljubljana, ein deutsches Paar mit zwei Hunden, drei tschechische Familien
mit Campingmobil. Am Strand sitzen zwei Fischer und reparieren Netze,
während endlich die ersten Zagreber eintrudeln, die die Fensterläden und
Türen ihrer Sommerhäuser öffnen, um die im letzten Jahr eingesperrte Luft
raus- und neue reinzulassen.
„Ja, hallo! Wiegehtswannbistduangekommenwielangbleibstdu? Hast du auch
überlebt? Hast du dich impfen lassen?“, fragen jetzt auch die, die gerade
mal vor ein paar Tagen angekommen sind. Es sind Rentner, Freiberufler,
Leute mit Zeit und Geld, einige im Homeoffice, manche kommen nur übers
Wochenende, andere bleiben bis Oktober, aber alle haben hier ein Häuschen,
das von den Vätern oder Großvätern im sozialistischen Jugoslawien gebaut
wurde.
Die Zagreber bringen den Ganzjahresbewohnern Medikamente, Hundespielzeug
und vor allem Neuigkeiten aus der Hauptstadt mit. Dieses Jahr geht es um
den gerade neu gewählten grünen, linken Bürgermeister – „ein Aktivist. D…
hat doch keine Ahnung, wie Politik funktioniert.“ Der Neue hat den seit 20
Jahren regierenden „Banditić“ genannten Milan Bandić abgelöst. Der war im
Wahlkampf an einem Herzinfarkt gestorben.
Auch hier, im knapp 500 Kilometer südlicher gelegenen Dalmatien wurde
gewählt. „Bei uns bleibt alles so, wie es war. Tradition muss sein“, heißt
es hier halbironisch. Der zuständige Bürgermeister, der seit 1993 amtiert,
ist zum siebten Mal wiedergewählt worden.
Es folgen Geschichten über Parkplätze, die man seit 40 Jahren beparkt und
für die man jetzt von der Gemeinde zur Kasse gebeten wird. Wie seit etwa 20
Jahren jedes Jahr. Dann muss der erste Wein von L. probiert und gepriesen
werden. Wie jedes Jahr. Und dann gibt es – wie jedes Jahr – Dinge über die
EU zu sagen („Gegen den Wurm, der unsere Palmen angegriffen hat, gibt es
ein Gift. Aber die EU hat es verboten. Die wollen uns vergiften.“) und –
nicht wie jedes Jahr – Dinge über die Pandemie („In den Mainstreammedien
kommen die Wissenschaftler nie zu Wort, die die Wahrheit sagen: Covid ist
eine Erfindung der Pharmaindustrie, um uns zu töten, und Bill Gates ist der
Anführer. Oder kennst du jemanden, der Corona hatte?“).
Zwischendurch gibt es Schnaps und Spanferkel, und dann kommen auch schon
wieder frische Sommerhäusler vorbei: „Ja, hallo!
Wiegehtswannbistduangekommenwielangbleibstdu? Hast du auch überlebt? Hast
du dich impfen lassen?“
## Am Tisch
Die Begrüßungsorgie findet meist am Bistrotisch statt, der vor dem
Restaurant steht und an dem jeder vorbei muss, der durch den Ort geht. Am
Bistrotisch stehen oder sitzen die Nichtmehrganzsojungen und die
Nochnichtganzsoalten, trinken, rauchen. „Hast du gesehen, sie haben dem
Tycoon wirklich erlaubt, sein Hotel im Naturschutzgebiet zu bauen.“
Sie klären, wer den Anhänger besorgt, um die Palmenreste loszuwerden. Und
sie sind alle der Meinung, dass diese Saison „Bombe“ wird. Mit Blick auf
den leeren Strand, die leeren Häuser, die geschlossenen Läden sagen sie:
„In zehn Tagen wirst du hier im Stau laufen.“ Dann schauen sie zur Seite,
zupfen ihr T-Shirt an der Schulter leicht hoch und sprechen wie
amerikanische Polizisten ins Funkgerät: „Bill? Bist du es? Roger. Ich hab
verstanden. Werde die Ungeimpften sofort erschießen. Over and out.“
Am Bistrotisch wird auch Deutsch geübt. M. wiederholt unermüdlich immer
denselben Vierzeiler: „Schlafzimmer. Badezimmer. Speisen mit Wein. Warum
nicht?“ Und dann werden Köpfe geschüttelt über den neuen Slogan des
kroatischen Tourismusministeriums: „Croatia – Full of life“.
Zu späterer Stunde wird am Bistrotisch ein neuer Slogan entwickelt:
„Croatia – Warum nicht?“ Das „Warum nicht?“ wird auf Deutsch gesproch…
lange rollendem R und lang gezogenem U. Alle finden es gut. „Warum nicht?“
wird der Running Gag im Ort.
Bis an einem Abend am Bistrotisch einer, genervt davon, dass jetzt jeder im
Dorf zu allem und jedem „Warrrruuuuum nicht?“ sagt, einen anderen Slogan
ausspuckt: „Croatia – juckt mich nicht.“ Diesmal aber auf Kroatisch, und
wer dieser Sprache mächtig ist, weiß, dass dieses „juckt mich nicht“ im
Original etwas anders lautet – es werden Geschlechtsteile beschworen –, das
sich aber einfach nicht ordentlich übersetzen lässt.
Gefeiert wird der neue Slogan deshalb, weil man es hier unter sich
natürlich viel schöner hat als mit den Touristen. Aber ohne Gäste würden
die Strandbar, das Café, das Restaurant, der kleine Laden für immer
verrammelt bleiben. Und das würde dann doch alle ganz schön jucken.
13 Jun 2021
## AUTOREN
Doris Akrap
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