| # taz.de -- Klimakrise und Tourismus: Sonne und Beton | |
| > Unsere Kolumnistin weilt an der Adria. Die Klimakrise bedroht hier zwar | |
| > den Tourismus, doch Lammspieße und Betonmischer drehen sich weiter. | |
| Bild: Nach einem Erdrutsch in der Nähe von Nova Gradista | |
| Es regnet. Ein Satz, mit dem man früher Picknicks absagen musste, löst | |
| heute Panik aus. [1][Kroatien] rief wegen dieses Satzes vergangene Woche | |
| den Notstand aus. Die Wein- und Olivenernte ist größtenteils dahin, aber | |
| immerhin gibt es keine Toten. | |
| Der einzige Schwerverletzte dieser Tage ist ein 27-jähriger Saisonarbeiter | |
| aus Indien, dem bei der Renovierung eines Hauses in Zagreb eine Hand | |
| zerfetzt wurde – angeblich war die „Glocke“ einer Kassettenbombe | |
| explodiert, mit der Serben 1995 die Stadt beschossen hatten. | |
| Der Starkregen bricht in Kroatien Rekorde. Aber die Glocke hören die | |
| Landsleute hier immer noch nicht läuten. Der Krieg der 90er Jahre ist immer | |
| noch der größere Skandal als die Klimakrise. Während der Regen draußen sein | |
| Unwesen treibt, renovieren die Hausbesitzer an der dalmatinischen Adria | |
| eben ihre Apartmenthäuser von innen. In den Regenpausen schippen sie | |
| schnell ein paar Schaufeln Zement in den Betonmischer. Zickel-zackel, | |
| zickel-zackel macht es, wenn der orange Betonmischer sich dreht. | |
| Neben den Zikaden ist das Zickel-zackel der Sound dieses Landstrichs. Die | |
| Saisonvorbereitungen liegen in den letzten Zügen, überall, wo noch Beton | |
| draufgekippt werden kann, wird es getan: Parkplätze, Hafenkais, | |
| Apartmenthäuser, Tische und Bänke. Was dem Brandenburger Eigenheimbesitzer | |
| die Gabionen, ist dem kroatischen Pendant der Beton: praktisch, billig, | |
| willig. Auch der Regen kann ihm nichts anhaben. Und wenn doch, wird er mit | |
| etwas frischem Beton ausgebessert. | |
| ## 20 Prozent der Wirtschaft hängen am Tourismus | |
| Beton gilt als ein Hauptverursacher von Treibhausgasen, von etwa 6 bis 9 | |
| Prozent, also dem Drei- bis Vierfachen der CO2-Emmission des Luftverkehrs. | |
| Aber für Kroatien wiegt das nichts. [2][Gewichtiger sind die 20 Prozent des | |
| kroatischen Bruttoinlandsprodukts, die aus dem Tourismus kommen.] | |
| Wer irgendwie kann, baut ein Haus am Meer. Spricht man an, dass die | |
| Klimakrise nicht nur „der Umwelt“, sondern dem eigenen Portemonnaie schaden | |
| könnte, weil ohne nachhaltige Konzepte der Tourismus alles zerstört und | |
| schließlich ausbleiben wird, erntet man eine Backpfeife: „Jahrzehntelang | |
| haben wir uns auf euren Baustellen den Rücken krumm geschuftet, euch Häuser | |
| bis in die Wolken gebaut. Aber wenn wir uns selbst welche bauen, dann kommt | |
| ihr uns mit Klimakrise. Von was sollen wir denn sonst leben?“ | |
| Fairer Punkt. Aber wenn niemand mehr hier urlauben will, weil es zu heiß | |
| ist? „Wir haben doch Klimaanlagen.“ Und wenn die Ernte wegen Starkregens | |
| oder Dürre ausfällt? „Wir haben doch Lidl.“ Und wenn das Meer stirbt wegen | |
| der Algen? „Wir haben doch Pools.“ | |
| Außerdem habe doch einer dieser pfiffigen deutschen Ingenieure schon vor | |
| hundert Jahren eine Topidee gehabt: das Mittelmeer trockenlegen, den | |
| afrikanischen mit dem europäischen Kontinent verbinden. So müssten keine | |
| Flüchtlinge mehr sterben, man hätte wieder Platz für Apartmenthäuser und | |
| Olivenbäume. Mit dem Ingenieur ist Herman Sörgel gemeint. Der war zwar kein | |
| Ingenieur, sondern Kulturphilosoph, aber was soll’s. Zu hoffen, dass | |
| Menschen anders handeln, wenn sie am eigenen Leib merken, dass die | |
| Klimakrise nicht nur heiße Luft ist, scheint sinnlos. | |
| Es macht dieser Tage ein Foto die Runde, auf dem man einen Kroaten bei | |
| Karlovac bis über die Knie im Hochwasser vor einem Grill stehen sieht, die | |
| Grillzange unterm Arm, das Feuer im Blick. Es bleibt nur die Einsicht: Erst | |
| wenn der letzte Grill abgesoffen, die letzten Ćevape gegrillt, das letzte | |
| Lamm vom Spieß und die letzte Sardine vom Rost geholt ist, wird der Kroate | |
| merken, dass die Touristen nicht kommen, wenn das Letzte, was blüht, die | |
| Agave ist, die den Beton vor dem leeren, frisch renovierten Apartmenthaus | |
| zerbröckelt hat. | |
| 30 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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