# taz.de -- Gesundheitspolitik an der Adria: Spucken auf die EU | |
> In Kroatien glauben viele nur noch ans Meer und an Gott. Eine | |
> Trotzreaktion auf die Politik nicht nur im eigenen Land, sondern auch der | |
> EU. | |
Bild: Blick auf die Adria in Kroatioen | |
Selten im Oktober war der Himmel über der Adria (Ost) so bluesky wie | |
zurzeit. Aber auch ohne die gleichnamige App und die Diskussionen um Zugang | |
und Teilhabe darin zu kennen, fühlen sich stolze Kroaten wieder mal | |
besonders ungerecht behandelt. | |
[1][Angesichts eines Erdbebens] der Stärke 4,6 an der dalmatinischen | |
Riviera handelte hier diese Woche jedes Gespräch davon, dass alles wackelt, | |
nicht nur die Erde. Ein Foto macht die Runde, aufgenommen angeblich kurz | |
nach dem Erdbeben im Büro der HDZ, der nationalkonservativen Partei des | |
amtierenden Präsidenten und des kroatischen Staatsgründers Franjo Tuđman. | |
Auf dem Foto ist ein Bilderrahmen zu sehen, aus dem die kroatische | |
Schachfahne nach unten rausrutscht und dahinter ein Bild vom jugoslawischen | |
Präsidenten Tito freilegt. Das Foto soll die Kontinuität autoritärer, | |
korrupter Politiker illustrieren. | |
Am Abend des Erdbebens wird im Dorf an der Adria erst gewitzelt, dann | |
geflucht: über die Politik, die Politiker, den Westen und die Demokratie. | |
Dann folgt ein Schwenk nach San Francisco, wo das Ende des westlichen | |
Systems als Apokalypse zu besichtigen sei, es wird auf das verlogene | |
Konzept der „15-Minuten-Stadt“ verwiesen, das nicht das Leben vereinfachen, | |
sondern die Frischluftzufuhr auf 15 Minuten täglich begrenzen wolle. Die | |
Übernahme der Medizin durch die Pharmaindustrie wird konstatiert und die | |
globale grüne Linke zum Teufel gewünscht. | |
Das größte Problem aber wird darin ausgemacht, dass Menschen an ein System | |
glaubten statt an Freiheit. „Ich glaube nur an das Meer“, zitiert dann | |
einer ein dalmatinisches Chanson. Klingt gut. Aber wer das Meer nicht vor | |
der Tür hat, an was soll der glauben? „Als Erstes solltest du morgen früh | |
in ein Glas Wasser spucken, und dann sehen wir weiter“, rät mir ein | |
Bekannter. | |
## Fehlende Gesundheitsversorgung | |
An nichts mehr zu glauben außer ans Meer und Gott wird in dieser | |
katholischen Region als Trotzreaktion auf die vermeintlich restriktive und | |
korrupte Politik nicht nur im eigenen Land, sondern auch und vor allen | |
Dingen der EU aufgeführt. Also die gleiche kirre machende Mischung aus | |
Verschwörungsgeschwurbel und berechtigter Kritik an staatlichen | |
Unzulänglichkeiten wie überall sonst in der EU. | |
Die berechtigte Kritik an der EU – beispielsweise an der von ihr | |
erzwungenen Privatisierung staatlicher kroatischer Betriebe – trifft | |
natürlich einen Punkt, so wie die Kritik am Ausverkauf des Landes [2][an | |
den Tourismus.] In diesem Zusammenhang wird üblicherweise über Bausünden | |
und Vertreibung der Anwohner gesprochen. Doch die Auswirkungen sind | |
mittlerweile unmittelbar lebensgefährlich. | |
Wer in der Hauptsaison im südlichen Teil Kroatiens ernsthaft krank wird, | |
braucht außerordentlich gute Verbindungen oder einen Helikopter, der einen | |
am besten gleich in die Hunderte Kilometer entfernt gelegene Hauptstadt | |
fliegt. Denn das Krankenhaus in der zweitgrößten Stadt des Landes, in | |
Split, kann die Versorgung der Bevölkerung im Sommer nicht mehr | |
garantieren. Die Massen von alkoholvergifteten oder anderweitig erkrankten | |
Touristen fluten sämtliche Kapazitäten. Mein Cousin starb im August an | |
einer Lungenentzündung. Fünf Tage lang wartete er Blut spuckend darauf, | |
dass man seine Lunge röntgte. Die danach sofort veranlasste Not-OP hat er | |
nicht überlebt. | |
Nach dem abendlichen Gespräch spucke ich nach dem Aufstehen erst einmal in | |
ein Glas Wasser. Ich beobachte den Schleimpfropf kurz und schütte das | |
Spuckwasser angewidert in den Ausguss. Bis auf Weiteres werde ich nicht | |
wissen, ob der Candida-Pilz in meinem Körper wuchert. | |
Wichtiger wäre mir, dass sich die EU in ihren Mitgliedstaaten mal gründlich | |
nach dem Zustand der Gesundheitspolitik umguckt, bevor die alle nur noch in | |
ihr Wasserglas und auf die EU spucken. | |
8 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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