# taz.de -- Drogenkonsum in Berlin: Mehr Platz für Junkies | |
> Die Drogen werden härter, die Stimmung aggressiver und das Treppenhaus | |
> unserer Autorin wurde zum alternativen Drogenkonsumraum. | |
Bild: Blick über das Kreuzberger Viertel links und den Amazon-Tower rechts | |
Was für Leute mit Swap-ETFs oder Bitcoin-Fonds der Aktienindex, ist für | |
Leute wie mich der Preis für einen Döner oder eine Kugel Eis. Leute wie ich | |
denken beim Wort Anlagestrategien nicht an eine goldene Zukunft, sondern an | |
die Beerdigung, die man sich nicht mehr wird leisten können. | |
In meinem Kreuzberger Viertel gibt es einen Eis- und zwei Dönerläden, | |
einwanderergeführt in der zweiten und dritten Generation. Die Döner essen | |
nur Touristen, Anwohner die billigere und bessere Pansensuppe. Die Kugel | |
Eis hingegen ist hier nur was für Besitzer von Swap-ETFs. Sie kostet 3 Euro | |
(Eiskugeldurchschnittspreis in Deutschland: 1,62 Euro). | |
Mein Wohnviertel ist kein Bessere-Leute-Viertel. Es ist eine Schmuddelecke. | |
Immer gewesen. Es gibt Reste alternativer Lebensentwürfe aus den 1980ern (1 | |
Bäcker, 1 Bioladen, 1 Sprachschule, Kinderläden). Aber es gibt keinen | |
Optiker, nicht mal dm. Es gab einen Slum, da steht jetzt die Büroanlage | |
„Cuvryspeicher“ leer. Der Möbeldesignladen, der erst einen Friseur und dann | |
ein Tattoostudio in sein Konzept integrierte, hielt keine zwei Jahre. Die | |
einzigen neuen Läden, die laufen, sind der für Hanfbedarf und das | |
Nagelstudio, das die Wäscherei/Reinigung ersetzt hat. | |
Klar ist hier Gentrifizierung, aber der Häuserbestand ist nicht sonderlich | |
prächtig. Das kleine Viertel wäre nicht weiter der Rede wert. Erst die | |
Ansiedlung diverser Betreiberfirmen, die die wachsende Drogennachfrage | |
durch Partytouristen bedienten, machte es berühmt. | |
## Die Sache ist explodiert | |
Lange war ich der Meinung, der Drogenverkauf sei ein Glücksfall: Für die | |
ganz Reichen war es abschreckend, mir jedoch erlaubten die | |
Geschäftsöffnungszeiten, auch nachts unbekümmert durch den Park zu gehen, | |
weil beim Dealer noch Licht brannte. Damals war es halt ein bisschen Gras, | |
und die Dealer sahen so aus wie in „[1][The Wire]“, Staffel 1, der | |
legendären Serie über den sozialen Brennpunkt Baltimore. Nun, ein paar | |
Jahre später, sieht mein Viertel so aus wie in „The Wire“, Staffel 4. | |
Spätestens seit mir der Dealer nachts die Haustür von innen öffnete und | |
mein Treppenhaus zum alternativen Drogenkonsumraum wurde, ist mir die | |
[2][Broken-Windows-Theorie] nicht mehr fremd. | |
Seit der Pandemie ist die Sache mit den Drogen bundesweit explodiert. Nie | |
in den letzten 20 Jahren war die Polizeipräsenz in meinem Viertel dichter, | |
nie wechselten die Betreiberfirmen schneller, nie war die Stimmung | |
aggressiver, die Drogen härter. Während die einen in leidlich sanierten | |
Eigentumswohnungen mit Panzertüren die Junkies zu verbannen versuchen, | |
vergammeln bei den anderen die Abwasserrohre, zerbröselt das Treppenhaus, | |
lässt die Hausverwaltung Wohnungen leer stehen. Alle warten auf den | |
Anschluss an die A100, auf Macher, Manager und Magnaten. | |
Im Unternehmerroman „Johann Holtrop“ schreibt Rainald Goetz von einem | |
„Neubau, so kaputt wie Deutschland in diesen Jahren, so hysterisch, kalt | |
und verblödet konzeptioniert wie die Macher, die hier ihre Schreibtische | |
hatten, sich die Welt vorstellten, weil sie selber so waren, gesteuert von | |
Gier, der Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil für sich zu verschaffen“. | |
Das Berlin von heute ist immer noch genauso kaputt. Der Neubau, der mein | |
Wohnviertel in den Schatten stellt, ist das höchste Haus Berlins und von | |
Amazon gemietet. Wenigstens eine der 37 Etagen als Drogenkonsumräume | |
einzurichten, wäre nicht mal eine radikale Forderung als Ausgleich für die | |
Anwohner. | |
[3][Drogenkonsumräume] sind Gesundheitseinrichtungen, das sollte auch | |
Berlin endlich begreifen. Außerdem sind Barstühle, die nicht | |
zueinanderpassen, längst bei Ikea zu kaufen. Mit „Make Drogenkonsumräume | |
cool again“ könnte Berlin beim Tourifaktor „Außergewöhnlich“ wieder et… | |
aufholen. | |
30 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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