# taz.de -- Drogenkiez in Kreuzberg: Investor will Suchtpraxis loswerden | |
> Ein Ärzt*innenteam am Schlesischen Tor in Kreuzberg behandelt auch und | |
> vor allem Menschen mit Drogensucht. Nun soll die Praxis nach 40 Jahren | |
> raus. | |
Bild: Kämpfen, um zu bleiben: Das Team der Gemeinschaftspraxis am Schlesischen… | |
BERLIN taz | Obwohl sich das Drogenproblem in Berlin weiter zuspitzt, muss | |
eine Praxis für Abhängige am Schlesischen Tor in Kreuzberg seine Räume wohl | |
bald dichtmachen. Die Gemeinschaftspraxis, die auch über 100 opiatabhängige | |
Substitutionspatienten behandelt, soll zum Ende des Jahres ausziehen. Eine | |
Kapitalgesellschaft mit Sitz in Luxemburg will den Mietvertrag nach 40 | |
Jahren auslaufen lassen. Seit fast zwei Jahren versucht die Praxis, den | |
Gewerbemietvertrag verlängern zu lassen, seit fast zwei Jahren wurde sie | |
vertröstet. Dann kam die Ablehnung aus Luxemburg. | |
Die Praxis will das nicht hinnehmen. Man habe sich auf allen Ebenen an | |
Politiker*innen gewandt, berichtet Arzt Volker Westerbarkey. Was ihn | |
und sein Team überrascht habe: „Wir haben viele Rückmeldungen und | |
Unterstützungsangebote bekommen, die aber noch nicht zum durchschlagenden | |
Erfolg geführt haben“, sagt Westerbarkey. | |
Die Praxis kümmert sich nach eigenen Angaben um über 130 | |
Substitutionspatienten. Dabei handelt es sich vor allem um | |
[1][Heroinabhängige, die ein Ersatzopioid bekommen], das Entzugssymptome | |
unterdrückt, ohne gleichzeitig einen Rausch auszulösen. Die Substanzen | |
werden meist als Tabletten verabreicht, manchmal auch per Spritze ins | |
Unterbauchfett. Darüber hinaus behandelt die Praxis jährlich 5.000 bis | |
6.000 Patienten, darunter Suchtkranke, die andere Drogen konsumieren oder | |
unter Begleiterscheinungen leiden. | |
Über die [2][Behandlung und Verabreichung der Substitute] hinaus | |
profitieren die Patient*innen vor Ort auch von der sozialen Einbindung | |
in der Arztpraxis. Besonders diese soziale Verwurzelung wäre durch einen | |
Umzug bedroht. Die Ärztin Christiane Stöter verweist in dem Zusammenhang | |
auch auf die hausärztliche Versorgung von älteren Menschen und solchen mit | |
Beeinträchtigung. „Wenn wir gehen müssen, wird unser komplexes | |
Versorgungssystem zusammenbrechen und es entsteht eine substanzielle | |
medizinische Versorgungslücke im Herzen Kreuzbergs.“ | |
## Demo gegen Verdrängung | |
Westerbarkey sagt: „Wir bereiten uns gerade in alle Richtungen vor.“ Denn | |
Unterstützung hin oder her: Der Gemeinschaftspraxis am Schlesischen Tor | |
droht jetzt ein ähnliches Schicksal wie dem [3][Drogennotdienst am | |
Checkpoint Charlie]. Der Notdienst musste 2022 nach Spandau umziehen. Etwa | |
20 Prozent der Heroin-Substituierten sollen dort seitdem nicht mehr in | |
Behandlung sein. | |
Dem Praxisteam zufolge will sich die Kapitalgesellschaft nicht auf | |
Verhandlungen einlassen, schon die Kontaktaufnahme gestalte sich schwierig. | |
„Das lässt total viel Raum für Unverständnis“, sagt Westerbarkey. | |
Gleichzeitig bleibe die Hoffnung, dass sich der Eigentümer zumindest noch | |
zu einer Vertragsverlängerung durchringen kann, sodass die Praxis geeignete | |
Räume in Kreuzberg finden kann. Die Zeit drängt. Unterstützt von der | |
Initiative Bizim Kiez will das Praxisteam deshalb am 22. November vor dem | |
Haus am Schlesischen Tor gegen das Auslaufen ihres Mietvertrages | |
demonstrieren. | |
In ganz Berlin hat sich das Drogenproblem in den vergangenen Jahren | |
verschärft. Starben 2017 noch 168 Personen infolge des Konsums, gab es | |
vergangenes Jahr bereits 230 Drogentote. Besonders in den Kiezen um den | |
nicht weit vom Schlesischen Tor gelegenen Görlitzer Park verschlechtert | |
sich die Situation, Abhängige konsumieren Drogen vermehrt in Treppenhäusern | |
und Hinterhöfen. Dagegen hilft offenbar auch die massive Polizeipräsenz | |
nicht: Niedrigschwellige Hilfsangebote sind deshalb umso relevanter. | |
6 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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