# taz.de -- Offene Drogenszene in Berlin: Securitys sollen es richten | |
> Die Beschwerden über Vermüllung, Drogenkonsum und -handel am Kottbusser | |
> Tor dauern an. Fixpunkt, Betreiber des Drogenkonsumraums, probt nun neue | |
> Wege. | |
Bild: Das Kottbusser Tor, seit 30 Jahren Treffpunkt der Drogenszene, kommt nich… | |
Berlin taz | An einem Vormittag am Kottbusser Tor in Kreuzberg: Vor dem | |
U-Bahn-Eingang in der Reichenberger Straße, direkt neben dem | |
Drogenkonsumraum, stehen Menschen in Kleingruppen zusammen. Seit einer | |
Stunde hat das Fixpunkt-Projekt, in dem Abhängige Drogen rauchen und | |
injizieren können, geöffnet. Nicht weit von der Eingangstür entfernt hocken | |
drei Männer vor einer Mauer und rauchen in der Öffentlichkeit Crack. Bei | |
der Mauer handelt es sich um die Rückseite einer Kita, hinter den | |
geöffneten Fenstern hantieren Köche mit Töpfen und Pfannen. | |
[1][Seit März 2022 gibt es am Kotti den sogenannten Druckraum] am | |
Treffpunkt der Junkie-Szene. Der ursprüngliche Plan war, dass die | |
Einrichtung 10 bis 12 Stunden pro Tag geöffnet sein soll. 7 Stunden sind es | |
nun. Begründet wird das von den Betreibern mit Personalmangel und | |
teilweiser Unbenutzbarkeit der Räume durch defekte Rohre und Wasserschäden. | |
Das Gebäude gehört einem stadtbekannten Immobilieninvestor. | |
[2][Seit Februar dieses Jahres gibt es am Kotti mit der Polizeiwache auf | |
der Galerie des Neuen Kreuzberger Zentrums eine weitere Neuerung] – in der | |
Nachbarschaft des Szenetreffpunkts und Druckraums also. Heftig umstritten | |
war die Polizeiwache im Kiez. [3][Innensenatorin Iris Spranger (SPD)] hatte | |
die Notwendigkeit damit begründet, das Kottbusser Tor sei stark belastet | |
mit Kriminalität: 3.100 Drogendelikte seit 2018, 1.400 Körperverletzungen, | |
dazu Nötigungen, Bedrohungen, sexuelle Übergriffe, Überfälle, Raubtaten. | |
Wenn der Kotti etwas brauche, dann sei es nicht mehr Polizeipräsenz, | |
sondern eine Stärkung der Straßensozialarbeit, Toiletten am Platz, eine | |
bessere Beleuchtung und ein besseres Verkehrskonzept, hatten die Gegner | |
argumentiert. Die Öffnungszeiten des Druckladens seien zu kurz, Eltern mit | |
Kindern, die den Sammelpunkt der Szene täglich passieren müssten, bräuchten | |
starke Nerven. Senat und Bezirk beriefen diverse runde Tische ein. Das | |
Ziel, so hieß es, sei die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie, die von | |
allen Beteiligten mitgetragen werde. | |
## Die Probleme betreffen alle | |
Und jetzt, fünf Monate später, wie sieht es heute am Kotti aus? Eine | |
Veränderung der Beschwerdelage seit Eröffnung der Wache lasse sich im | |
Bezirksamt „nicht erkennen“, teilte die Pressestelle von | |
Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) auf Anfrage der taz mit. Eine | |
aktuelle Erhebung gebe es aber nicht. Die Beschwerden bezögen sich in | |
erster Linie auf Vermüllung des öffentlichen Raums, die Lärm- und | |
Verkehrssituation sowie Drogenkonsum und -handel. | |
Die Bezirksverwaltung sei „sehr aktiv“ um Lösungen bemüht, stoße aber | |
angesichts der sich möglicherweise weiter verschärfenden Haushaltslage an | |
„gewisse Grenzen“. Drogenkonsum und Obdachlosigkeit gingen ganz Berlin an. | |
Rein repressive Maßnahmen und eine Verdrängung der Problematik von einem | |
Stadtgebiet ins andere seien keine Lösung, teilte Herrmann mit. | |
Das klingt fast so, als sei in der Zwischenzeit nichts passiert. Stimmt | |
nicht, sagt Raphael Schubert, Geschäftsführer der Fixpunkt gGmbH. | |
Eineinhalb Vollzeitstellen für Straßensozialarbeit seien ausgeschrieben | |
worden. Ab dem 1. August werde der Druckraum 3,5 Stunden länger pro Woche | |
offen sein. | |
Und: Ein oder zwei Securitys würden fortan das Einlassmanagement | |
übernehmen, finanziert von der Senatsverwaltung für Gesundheit. Im Team sei | |
diese Neuerung zunächst umstritten gewesen. Aber auch andere Betreiber von | |
Konsumräumen in Berlin, Hamburg und in der Schweiz arbeiteten mit | |
Sicherheitsunternehmen. | |
[4][Über 100 Konsumenten besuchen den Druckraum am Kotti laut Fixpunkt pro | |
Tag, rund 1.500 im Monat], tatsächlich seien es viel mehr, weil viele Leute | |
nur kämen, um Spritzen und Desinfektionsmaterial abzuholen. In der Etage, | |
die das Bezirksamt in dem Gebäude für Fixpunkt gemietet hat, sind zwei | |
Räume für den reinen Konsum gedacht. Vier Plätze zum Inhalieren harter | |
Drogen und vier Injektionsplätze. | |
## Suchtarbeit ist anspruchsvoll | |
Die taz konnte sich am Montag vor Beginn des Publikumsverkehrs ein Bild | |
machen. Alles ist sauber und funktional. Die Tische im Injektionsraum sind | |
aus Edelstahl, über jedem hängt ein Spiegel, der den Betreuern im | |
Hintergrund ermöglicht, die Gesichter der Konsumenten zu sehen. Suchtarbeit | |
sei anspruchsvoll, erklärt Judith Herbst, Pflegeleiterin der Einrichtung. | |
„Es ist nicht so, dass wir nur Spritzen ausgeben und den Leuten beim Konsum | |
zugucken.“ | |
Es gibt einen Verbandsraum, Beratungszimmer, am Empfangstresen wird eine | |
Warteliste geführt, wenn die Konsumräume belegt sind. Die durchschnittliche | |
Aufenthaltsdauer pro Konsument sei 15 bis 30 Minuten, sagt Schubert. Wenn | |
der Andrang nicht so groß sei, erlaube man den Leuten auch länger zu | |
bleiben. | |
Das Aufgabenprofil der Securitys beschreibt Schubert so: Die Situation im | |
Türbereich entspannen. Beruhigend auf die Szene vor dem Laden einwirken. | |
Durchlass für Passanten schaffen, die aus der U-Bahn kommen. Kurzum: „Das | |
subjektive Sicherheitsgefühl soll so erhöht werden.“ | |
Wie die Szene darauf reagieren wird? „Das hängt von dem Security ab, der da | |
steht“, sagt Herbst. „Sie sollen deeskalieren und nicht eskalieren“, beto… | |
Schubert. „Es geht nicht darum, die Szene zu vertreiben.“ | |
Die Suche nach einem geeigneten Sicherheitsunternehmen dauert noch an. | |
Angedacht sei eine Beschäftigung von August bis Jahresende. Wenn es helfe, | |
auch länger. „Man sollte das nicht aus ideologischen Gründen ablehnen“, | |
findet Schubert. In einem Punkt macht er sich aber keine Illusionen. Dass | |
es auch dann noch Leute geben wird, die auf der Straße oder in Hausfluren | |
Drogen konsumieren: „Die Szene ist hier seit 30 Jahren. Wir allein werden | |
den Kotti nicht retten können.“ | |
28 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neuer-Drogenkonsumraum-in-Berlin/!5841571 | |
[2] /Drogenszene-am-Kottbusser-Tor/!5907956 | |
[3] /Polizeipraesenz-in-Berlin/!5912773 | |
[4] /Interview-mit-Drogenhelferin/!5166546 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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