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# taz.de -- Drogenszene am Kottbusser Tor: Polizeiwache verändert den Kiez
> Am 15. Februar macht die umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor auf.
> Viele hoffen, das diesmal auch die sozialen Probleme angegangen werden.
Bild: Die Szene am Kotti
Berlin taz | An Regentagen ist das Elend am Kottbusser Tor noch krasser als
sonst. Durchnässte Gestalten warten vor dem Gesundheitszentrum auf Einlass,
um sich drinnen Drogen zu spritzen. Viele sind abgemagert, die Kleidung ist
zerlumpt, manche humpeln oder gehen an Krücken. Aus einem Wägelchen, das am
Bordstein zwischen Gesundheitszentrum und U-Bahn-Eingang steht, teilen
Ehrenamtliche Essen und Kaffee an die „Szene“ aus, wie die Drogenabhängigen
und Obdachlosen genannt werden.
Vom Foyer des angrenzenden Seniorenwohnheims verfolgen zwei alte türkische
Migranten das Schubsen, das sich unmittelbar vor ihrer Haustür abspielt.
Pappschüsseln mit Nudelresten und Tomatensoße schwimmen in den Pfützen,
Frauen mit Kopftüchern und Kinderwagen hasten durch das Gedränge.
Viel zu lange, sagt Ercan Yasaroglu, hätten die politisch Verantwortlichen
die Probleme ignoriert. Der Senat, vor allem aber die Grünen, die in
Friedrichshain-Kreuzberg schon lange die Bürgermeisterinnen stellen. Das
Kottbusser Tor ist als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort (kbO)
eingestuft. Die Problemlage ist vielfältig. Im Windschatten der Szene
agieren Dealer und kriminelle Banden, Raub und Gewalttaten haben seit Mitte
des vergangenen Jahrzehnts stark zugenommen.
Der 61-jährige Yasaroglu ist Eigentümer des legendären Café Kotti, das sich
im ersten Stock des [1][Neuen Kreuzberger Zentrums] (NKZ) auf einer Galerie
mit Blick auf den Platz befindet. Nicht nur optisch ist der Mann mit den
schulterlangen weißen Haaren eine Erscheinung. Kaum jemand kennt sich am
Kotti so aus wie er, ist so gut vernetzt. Refugees und Illegalisierte
verkehren in dem Café genauso wie die linke Kreuzberger Szene. Auch zu den
Leuten aus dem Kiez, von denen viele so wie er selbst Migranten sind, hat
Yasaroglu einen guten Draht.
## Seit vielen Jahren gibt es Beschwerden
[2][In Briefen an Senat und Bezirk beschweren sich Gewerbetreibende und
Anwohnerschaft schon seit vielen Jahren] über eine hohe
Kriminalitätsbelastung und Verschmutzung der Gegend. Die Reaktion: Eine
vermehrte Polizeipräsenz auch unter Einsatz von Zivilbeamten. „Das war
alles“, sagt Yasaroglu. Verbessert habe sich die Lebenssituation am Kotti
dadurch nicht. Denn die bei einem Runden Tisch im Beisein der früheren
Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) besprochenen Sozialmaßnahmen seien
Makulatur geblieben.
Fast scheint es so, als wiederhole sich die Geschichte um nicht eingelöste
Vorhaben auf Besserung ein weiteres Mal. Am 15. Februar wird am Kotti eine
Polizeiwache eröffnet. Auf der Galerie des NKZ, ausgerechnet Tür an Tür mit
dem Café Kotti.
Wegen seiner Gäste, die mit der Polizei oftmals schlechte Erfahrungen
gemacht haben, war Yasaroglu gegen diesen Standort. [3][So wie die linke
Kreuzberger Szene und Sozialprojekte]. So eine „Leuchtturmwache“ würde den
Raum nachhaltig dominieren und verändern, hieß es. Nicht mehr Polizei,
sondern eine Stärkung der Straßensozialarbeit, Toiletten am Platz, eine
bessere Beleuchtung und ein besseres Verkehrskonzept brauche der Kotti.
Die Polizeiwache ist ein Prestigeprojekt von Innensenatorin Iris Spranger
(SPD) Die Fertigstellung zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht zufällig.
Fachlich hat die Innensenatorin, die zum rechten Flügel der SPD gehört, mit
Blick auf die Wahlen ansonsten wenig vorzuweisen. Ein Besichtigungstermin
zusammen mit der SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey ist dem Vernehmen
nach in den nächsten Tagen geplant.
Der Standort der Wache ist im Kiez inzwischen weitestgehend akzeptiert.
„Wir hatten keine Wahl“, sagt Yasaroglu. Akzeptiert, weil er und andere
damit zum wiederholen Mal die Hoffnung verbinden, dass sich am Kotti nun
auch anderweitig etwas verändert. Dass sich die Bevölkerung insgesamt
wohler fühle. Dass der Kotti vom Berliner Senat „endlich als bürgerlicher
Raum anerkannt wird“, wie Yasaroglu sagt.
## Niemand will die „Szene“ verdrängen
„Die Wache ist durch“, bestätigt Matthias Coers, Bewohner des NKZ und
Mitglied im dortigen Mieterrat. „Aber wenn die Wache kommt, müssen auch die
anderen Probleme am Kotti angegangen werden – im Sinne der Nachbarschaft.“
Niemand wolle „die Szene“ verdrängen, betont Coers.
Aber die Öffnungszeiten des Gesundheitszentrums, in dem Drogen konsumiert
werden können, seien zu kurz, der Eingang zum U-Bahnhof zu eng. Eltern mit
Kindern, die an diesem Engpass täglich durch die Szene laufen müssten,
„brauchen starke Nerven“, sagt Coers. Die Gänge und die Unterführung im
NKZ seien zudem viel zu dunkel. „Wir brauchen mehr Licht.“
Alles schon thematisiert, vermutlich auch nachzulesen in den Protokollen
von unzähligen Gesprächsrunden, die es zum Kotti in der Vergangenheit gab.
Woher kommt die Hoffnung, dass sich dieses Mal etwas tut?
In dem Konzept der Senatsverwaltung für Inneres zum Aufbau der neuen Wache
gibt es einen Unterpunkt: Bürgerbeteiligung. Als Ergebnis davon hatte am 7.
Oktober und 9. Dezember 2022 ein Runder Tisch getagt, an dem neben Bezirk
und den Senatsverwaltung für Inneres, Soziales, Gesundheit und
Stadtentwicklung auch Anwohner, Gewerbetreibende, Akteure von
Sozialprojekten vor Ort, Wohnungsbaugesellschaften und auch die
Stadtreinigung teilgenommen haben. Ziel dieser Runden, so heißt es, sei die
Entwicklung einer gemeinsamen Strategie, die von allen Beteiligten
mitgetragen werde.
Beteiligt war auch das Drogenprojekt Fixpunkt, das den Gesundheits- und
Druckladen im NKZ neben dem U-Bahn-Eingang betreibt. Da, wo sich die Szene
ballt. „Die Wache aufzumachen, war ein Weckruf“, sagt Astrid Leicht,
Leiterin von Fixpunkt. „Dadurch ist auch in den Bezirk Bewegung gekommen.“
Die grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann macht keinen Hehl daraus,
dass sich die Situation am Kotti in letzter Zeit nochmals verschärft hat.
Die zunehmende Verarmung und die Wohnungskrise mache sich bemerkbar.
„Junkys und Obdachlose werden präsenter“, so Herrmann zur taz. „Auch der
Druck nach drinnen in die Hausflure wird stärker.“ Soll heißen: In den
Fluren wird gejunkt, geschlafen und auch die Notdurft verrichtet.
## Nur eine öffentliche Toilette am Platz
Die einzige öffentliche Toilette am Kottbusser Tor ist ein Eco-Klo auf der
Mittelinsel. Das Häuschen, eine Kombination aus Pissoir und Toilette, sieht
von weitem wie ein Geräteschuppen aus. Eröffnet wurde sie nach einem
fünfjährigen Prozess im vergangenen Dezember. Nach den Gründen gefragt sagt
Herrmann, die Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit sei schwierig
gewesen, auch habe es vielfältige technische Probleme gegeben.
Der Bezirk sei in den vergangenen Jahren keineswegs untätig gewesen,
erweist sich Herrmann – die ihre Namensvetterin Monika Herrmann 2021
abgelöst hat – geschickt darin, die Schuld für das Versagen am Kotti nicht
beim Bezirksamt zu suchen. Der Bezirk habe einen „sozialraumorientierten
Maßnahmeplan“ auch auf Grundlage einer Studie der Humboldt-Universität
entwickelt. Ein beim Strategietag „Kottbusser Tor“ im September 2022
ausgearbeitetes Gesamtkonzept sehe „kurz- und mittelfristige Maßnahmen im
Hinblick auf akute Bedarfe“ vor.
[4][Mit dem Fingerzeig auf den Senat sagt Herrmann: Es dürfe nicht bei den
Millionen für die Polizeiwache bleiben]. Mehr finanzielle Mittel für
Sozialarbeit, Sauberkeit und Suchthilfe sowie für die Sanierung von
Spielplätzen müssten her. Zeitnah etabliert werden müsse zum Beispiel eine
aufsuchende Sozialarbeit rund um das Gesundheitszentrum, auch
Notschlafplätze für Obdachlose gelte es zu schaffen. Klingt gut.
Auf Nachfrage, wo die Notschlafplätze hin sollen, ist die
Bezirksbürgermeisterin nicht um eine Antwort verlegen. Im
Gesundheitszentrum. „Leider nur“ stünden die finanziellen Mittel dafür
nicht zur Verfügung. Die Finanzierung, so Herrmann, müsse über die
Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales erfolgen. Die Frage, wo
das Personal für die Verstärkung der Sozialarbeit am Platz herkommen solle,
beantwortet Herrmann nicht.
Massive Personalknappheit
[5][Das Gesundheitszentrum, das im März 2022 aufgemacht hat, ist ein
wichtiger Akteur am Platz]. Erstmals gibt es damit einen Druckraum am
Treffpunkt der Junky-Szene. Allerdings hat das Projekt wie überall im
Sozial- und Gesundheitsbereich mit massiver Personalknappheit zu kämpfen:
Statt wie einmal geplant bis zu zehn Stunden täglich aufzumachen sind es
seit dem Sommer 2022 nur sechs Stunden, zurückgeführt wird das auch auf
durch Wasserrohrbrüche bedingte Baumaßnahmen.
Pläne, im Gesundheitszentrum künftig auch Notschlafplätze für Obdachlose
einzurichten, erteilt Leiterin Astrid Leicht im Gespräch mit der taz eine
klare Absage. Das sei zwar ursprünglich geplant gewesen, aber nicht
realisierbar, auch weil es eine Überfrachtung der Aufgaben bedeuten würde.
Vielleicht, so Leicht, fänden sich anderswo am Kotti leerstehende Räume, um
das Projekt umzusetzen.
Noch sind die Fenster der Polizeiwache, obwohl aus Panzerglas, mit gelben
Holzbohlen verrammelt. Unter den Augen von zwei Securitys legen Maler
drinnen letzte Hand an. Mit drei Polizeikräften soll die Wache künftig rund
um die Uhr besetzt sein. [6][Man brauche am Kotti keine Wache, wo die
Kräfte nur drinnen sitzen, hatte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) das
Vorhaben im Frühjahr kritisiert.] Dabei bleibe es, sagte deren Sprecher
Bejamin Jendro jetzt zur taz. Dann könne man sich die Wache auch sparen und
vor Ort weiterhin mit mobilen Wachen arbeiten.
Auch ein Arbeitsplatz für das Bezirksamt ist in der Wache vorgesehen – um
die Zusammenarbeit „unmittelbar vor Ort“ zu gewährleisten, wie
Innensenatssprecher Thilo Cablitz erklärt. Bezirksbürgermeisterin Herrmann
sagt dagegen, die Einbeziehung des Ordnungsamtes sei noch nicht
abschließend abgestimmt. Auch „aus Kapazitätsgründen“ werde dieser
Arbeitsplatz zunächst nur gelegentlich mit wechselndem Personal besetzt
werden können.
Die Polizeiwache neben seinem Café hat noch nicht aufgemacht, da hat Ercan
Yasaroglu schon Post bekommen. Wegen drohender Brandgefahr forderte ihn
Hauseigentümer Gewobag auf Anweisung des Bezirksamtes am 17. Januar auf,
die Schirme von der Terrasse zu räumen. Wegen der Fluchtwegesituation
müssten „leider“ die Pflanzkübel beseitigt werden, so die Gewobag.
Niemanden habe das zuvor interessiert, sagt Yasaroglu.
26 Jan 2023
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Zentrum_Kreuzberg
[2] /Drogenszene-am-Kottbusser-Tor/!5166174
[3] /!s=kotti+wache&Autor=Plarre/
[4] /Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5878589
[5] /Neuer-Drogenkonsumraum-in-Berlin/!5841571
[6] /Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5843620
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
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Innensenatorin Iris Spranger
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