| # taz.de -- Polizeiwache in Berlin-Kreuzberg: Armut wegknüppeln | |
| > Im Herzen von Berlin-Kreuzberg eröffnet eine umstrittene Polizeiwache. | |
| > Soll sie etwa Probleme wie Armut, Wohnungsnot und Heroinsucht lösen? | |
| Bild: Berlin, Kottbusser Tor: Am Mittwoch protestieren 150 Menschen gegen die E… | |
| Nun ist sie also da: Die umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor in | |
| Berlin-Kreuzberg wurde am Mittwoch eröffnet. Über der Adalbertstraße | |
| schwebt die neue Wache, die bereits als Bullen-Balken verspottet wird. | |
| Satte 3,24 Millionen Euro hat dieser Bullenbalken gekostet. Dort sollen | |
| drei Polizisten in Schichten rund um die Uhr Dienst schieben und | |
| Ansprechpartner für Probleme in der Umgebung sein. Noch mehr Polizisten als | |
| bisher sind im Kiez auf Streife. Was soll das bringen? | |
| Das Prestigeprojekt der Innensenatorin Iris Spranger (SPD) soll für mehr | |
| Sicherheit an diesem angeblich „kriminalitätsbelasteten Ort“ sorgen. | |
| [1][Manche Anwohner und Vertreter der Geschäftswelt erhoffen sich | |
| Verbesserungen.] Aber kann Law and Order wirklich die Lösung sein? | |
| Viele im traditionell alternativen Kreuzberg [2][kritisieren die Wache | |
| scharf.] In einem offenen Brief an den Senat sprachen sich verschiedene | |
| Anwohner:inneninitiativen und soziale Träger wie der Quartierrat | |
| Zentrum Kreuzberg, der Mieterrat des Gebäudekomplexes und örtliche | |
| Gewerbetreibende gegen die Wache aus. Und kritisierten eine Mentalität des | |
| Durchregierens. Am Mittwoch demonstrierten etwa 200 Menschen gegen die | |
| verstärkte Polizeipräsenz, die gerade an dem Tag heftig war: 350 Beamte | |
| waren vor Ort, um die Eröffnung zu sichern. | |
| Die Wache wirkt wie reine Symbolpolitik, ohne konkreten Nutzen. Sie | |
| erinnert an die Wache im Leipziger Viertel Connewitz, noch so ein | |
| Stadtteil, den nationale Medien gern zum Problemkiez stilisieren. | |
| [3][Kriminalität gibt’s dort ka]um – aber viele Linke. Um den harten Hund | |
| zu markieren, setzte die Politik dem Viertel eine Wache rein. Eine unnötige | |
| Aktion, allein dazu gedacht, Schlagzeilen zu generieren. | |
| ## Selbst Beamte wollen sie nicht | |
| Auch die Wache am Kotti wird wenig Konkretes verändern – außer dass Iris | |
| Spranger sich den vor Angst schlotternden Außenbezirken als eiserne | |
| Kümmerin präsentieren kann. Das Sicherheitsgefühl stärkt man jedoch nicht, | |
| in dem man ständig von angeblichen Gefahren und überall lauernden | |
| Kriminellen spricht. Selbst innerhalb der Polizei stößt Sprangers Projekt | |
| auf wenig Gegenliebe. | |
| Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei Berlin sagte im rbb am | |
| Mittwoch, er kenne keinen bei der Berliner Polizei, der da eine Wache | |
| wollte. Man fand dementsprechend nur schwer Personal für die Wache. Es hat | |
| sich offenbar nur ein einziger Beamter freiwillig gemeldet, in der Wache zu | |
| arbeiten. Peinlich für ein Prestigeprojekt. | |
| „Damit kriegen wir nicht mehr Polizei auf die Straße, sondern eher weg von | |
| der Straße“, begründet Jendro seine Kritik. Doch ob mehr Beamte auf der | |
| Straße tatsächlich das Mittel gegen die am Kotti sichtbaren sozialen | |
| Verwerfungen sind, sei dahingestellt. | |
| ## Polizei gegen Vermüllung? | |
| „Es gibt hier viele Probleme. Meist sind sie jedoch nicht polizeilicher | |
| Art, sondern soziale Probleme, die durch soziale Organisationen gelöst | |
| werden müssen und nicht durch die Polizei. Davon gibt es jedoch zu wenige“, | |
| [4][sagte der einsichtige Kiez-Polizist Norbert Sommerfeld vergangenen | |
| Sommer in der taz]. Die heiße Frage ist: Lassen sich soziale Probleme wie | |
| Armut durch die Polizei lösen? Die Wache soll sogar gegen „Vermüllung“ | |
| helfen. Wie genau, bleibt unklar. | |
| Droht die Verhaftung, wenn man die Tüte von Burgermeister fallen lässt? | |
| Wird man niedergeknüppelt, wenn man seine Cola-Dose in die Ecke wirft? Es | |
| scheint, als hoffe der Senat, dass sich Passanten vom Bullen-Balken so | |
| bedroht fühlen, dass sie sich besser verhalten. Sollte Innensenatorin | |
| Spranger Foucaults Gleichnis vom Panoptikon gelesen haben, hat sie es wohl | |
| als Bedienungsanleitung missverstanden. | |
| Am Kotti kristallisieren sich Probleme der ganzen Stadt: Wohnungsnot, | |
| Armut, Verkehr, Dreck. Doch der Senat scheitert überall daran, diese | |
| Probleme zu lösen, nicht nur in Kreuzberg. Er weigert sich bisher, eine | |
| wirkungsvolle und demokratisch abgesicherte Maßnahme anzugehen, Mieten in | |
| der Stadt zu senken – nämlich große Wohnungskonzerne zu enteignen. | |
| Auch beim Neubau kommt er nicht zu Potte. Die Unterbringung von Obdachlosen | |
| macht zwar Fortschritte, aber da geht noch deutlich mehr, wie Helsinki | |
| zeigt, wo Obdachlosigkeit komplett verschwunden ist, seit man Betroffenen | |
| unkompliziert und ohne Bedingungen einen Wohnort verschafft. | |
| ## Putzen würde auch helfen | |
| Das Geld für die teure Wache wäre sinnvoller für kleine Maßnahmen | |
| eingesetzt, die mehr bringen, aber dafür nicht den spektakulären | |
| Robocop-Charme einer neuen Wache versprühen. | |
| Der Senat könnte mehr und größere Mülleimer aufstellen, öffentliche | |
| Toiletten einrichten und die Straßenreinigung mehrmals am Tag kommen lassen | |
| – wie das in anderen Metropolen an viel frequentieren Orten erfolgreich | |
| praktiziert wird. Gegen Vermüllung hilft nicht mehr Repression, sondern – | |
| Überraschung – putzen. Saubere Orte werden auch weniger zugemüllt, als dort | |
| wo eh schon alles vor Schmutz starrt. Das alles wissen andere Städte schon | |
| lange. | |
| Doch der Berliner Senat scheint wenig von erprobten Mitteln anderer Städte | |
| lernen zu wollen, wie man den Alltag in einer Großstadt besser gestalten | |
| kann. Zürich etwa hat ein ausuferndes Drogenproblem in den Griff bekommen, | |
| indem die Stadt kontrolliert Heroin an Süchtige abgibt, damit sie von der | |
| Straße kommen, nicht mehr betteln oder sich in Beschaffungskriminalität | |
| üben müssen, um sich ihren Stoff zu besorgen. | |
| ## Der Senat hat es verpasst, ein Zeichen zu setzen | |
| Berlin will zwar immer Avantgarde sein, aber auf innovative Ideen, um den | |
| vielen Problemen der Stadt Herr zu werden, kommt man nicht. Nicht mal | |
| bestehende Angebote hat der Senat geschützt: [5][Als 2021 die | |
| Heroin-Ambulanz AID aus ihren Räumlichkeiten an der Kochstraße | |
| rausgentrifiziert wurde], hatte der Senat keine Lösung bereit. Heute ist | |
| AID in einem ehemaligen Krankenhaus in Prenzlauer Berg untergebracht. | |
| Doch die Zwischenlösung gilt nur bis August 2023. Der Senat hat es | |
| verpasst, hier ein Zeichen zu setzen: Wir brauchen mehr Angebote für | |
| Süchtige in dieser Stadt und wir werden alles dafür tun, ihnen zu helfen, | |
| von der Straße zu kommen. Stattdessen ballert der Senat Millionen raus für | |
| eine unnötige Wache. | |
| Für Repression Millionen locker machen, aber Hilfsprogramme verkümmern | |
| lassen, so sieht die Politik der Berliner SPD aus. Polizeiknüppel statt | |
| Sozialarbeiter. Wenn man das Leben in der Stadt schon nicht verbessert, | |
| scheint die Devise, dann sollen die Menschen, die darunter leiden, | |
| wenigstens unsichtbar werden, sodass Partytouristen und Zugezogenen nicht | |
| mehr die Nase rümpfen müssen. | |
| 15 Feb 2023 | |
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| [1] /Drogenszene-am-Kottbusser-Tor/!5907956 | |
| [2] /Polizeiwache-am-Kotti/!5853497 | |
| [3] https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2019/12/Zahlen-der-Polizei-sprechen-… | |
| [4] /Debatte-um-Polizeiwache-in-Kreuzberg/!5857926 | |
| [5] https://www.bz-berlin.de/berlin/friedrichshain-kreuzberg/heroin-ambulanz-in… | |
| ## AUTOREN | |
| Caspar Shaller | |
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