Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Clara Herrmann über Law and Order: „Das passt nicht zusammen“
> Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann,
> sieht Schwarz-Rot als Absage an bürgerrechtlich orientierte Politik.
Bild: Den Anwohner:innen geht es hier auch um Verkehrssicherheit: Clara Herrman…
taz: Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht im Bereich innere
Sicherheit zahlreiche Verschärfungen vor. Was bedeutet das für
Friedrichshain-Kreuzberg, in dem sich mit dem Kottbusser Tor, dem Görlitzer
Park, der Warschauer Brücke und der Rigaer Straße vier von sieben der
sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte befinden?
Clara Herrmann: Das werden wir am Ende in der Praxis sehen müssen. Aber
das, was man im Koalitionsvertrag liest, ist natürlich schon eine klare
Absage an die progressiv ausgerichtete, bürgerrechtlich orientierte Politik
der Vorgängerregierung.
Woran würden Sie das konkret festmachen?
Das kann man an vielen Punkten festmachen und einer ist, an
kriminalitätsbelasteten Orten Videoüberwachung zu machen. Das ist hier am
Kotti im Zusammenhang mit der Polizeiwache immer eine große Sorge gewesen,
weil viele Leute erstens nicht überwacht werden wollen und zweitens nicht
erwarten, dass das die Sicherheit verbessert. Ich rechne damit, dass hier
am Kottbusser Tor eine der ersten Videoüberwachungsmaßnahmen dieser
Koalition stattfinden wird.
Wie sinnvoll sind denn Maßnahmen wie mehr Videoüberwachung, [1][mehr
Polizei] oder Messerverbotszonen an solchen sogenannten
kriminalitätsbelasteten Orten (KbO) wie dem Kotti?
Wir haben als Bezirk eine Studie in Auftrag gegeben zum Thema Sicherheit,
und da ging es auch um die Frage, wie sicher fühlen sich hier am Kotti die
Menschen, die hier unterwegs sind, und vor allem die Anwohnerinnen und
Anwohner. Videoüberwachung führt nicht dazu, dass sich die Menschen
sicherer fühlen. Aus dieser Studie wird deutlich, dass die Befragten gegen
Kriminalität eine stärkere Polizeipräsenz befürworten, aber auch, dass zum
Beispiel das Thema Verkehrssicherheit hier ein sehr zentrales Thema ist.
Im Koalitionsvertrag wird [2][Racial Profiling] nicht mehr explizit
erwähnt. Müssen PoC nun Angst haben, vermehrt kontrolliert zu werden?
Viele Menschen hier im Bezirk erfahren Rassismus an unterschiedlichen
Stellen. Etwa bei der Wohnungssuche, in der Schule, im ÖPNV und leider auch
im Umgang mit der Polizei. Im Vertrag steht zwar viel zum Thema Vielfalt,
aber auf der anderen Seite gibt es da diesen Satz, der die Interpretation
zulässt, dass es gerechtfertigt sei, sich bei Kontrollen Leute
herausrauszupicken. Das passt nicht zusammen.
Sie meinen, den Satz aus dem [3][Koalitionsvertrag]: „Verhaltensbezogene
Kontrollen aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte
bleiben unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote
zulässig“?
So ein Satz ist für PoC und Menschen, die Rassismuserfahrungenmachen
müssen, wirklich schlimm. Es kann nicht sein, dass Menschen aufgrund ihres
Aussehens oder ihrer Sprache hier in eine Schublade gesteckt werden. Die
Innensenatorin muss gewährleisten, dass das nicht passiert.
Was würde stattdessen helfen, damit sich alle wohl und sicher fühlen?
Sinnvoller wäre es, die Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell,
anders einzusetzen. Beim Bereich innere Sicherheit wären das zum Beispiel
Kontaktbereichsbeamte, die vor Ort unterwegs sind, ansprechbar sind und
schnell reagieren. Wir müssen den öffentlichen Raum anders gestalten und
dabei die akuten Problemlagen im Blick haben. Fahrraddiebstahl ist zum
Beispiel ein großes Problem in Berlin. Eine Antwort darauf wären
beleuchtete und bewachte Fahrradparkhäuser. Generell geht es darum, wer im
öffentlichen Raum wieviel Platz bekommt, dass es keine Orte gibt, an denen
Menschen sich unwohl oder unsicher fühlen oder gar gefährdet sind.
Sie sagten, [4][Verkehrssicherheit] ist für die Menschen ein großes Thema.
Was wollen Sie hier unternehmen?
Die übergeordnete große Vision ist es, den motorisierten Individualverkehr
an der Hochbahn entlang auf eine Straßenseite zu verlegen und die andere
Straßenseite für Fußgänger:innen, Radverkehr und Belieferung auszuweisen.
Diese Verkehrsführung würde nicht nur in Kreuzberg eine ganze Menge
verändern würde.
Kann das mit einer CDU-geführten Verkehrssenatsverwaltung klappen?
Wir werden sehen, wie pragmatisch und wie ambitioniert die neue
Verkehrsverwaltung agiert. Im Koalitionsvertrag steht „mehr miteinander im
Straßenverkehr“, das darf keine Chiffre dafür sein, dass sich am Ende immer
mehr Autos miteinander durch unsere Straßen stauen.
Was ist in Ihren Augen die größte Herausforderung, die mit der neuen
Koalition auf den Bezirk zukommt?
Im Koalitionsvertrag ist viel die Rede davon, die Stadt zusammenzuführen.
Gleichzeitig wird der Wille der Berliner*innen an vielen Stellen aus
ideologischen Gründen ignoriert. Ein Volksentscheid nach dem anderen wird
abgeräumt, Tempelhof soll bebaut werden. Auch das Mobilitätsgesetz wird
abgeräumt, zurück zur autofreundlichen Stadt. Das ist für mich kein
Zusammenführen der Stadtgesellschaft. Für uns ist es katastrophal, dass es
keine Absage an den Weiterbau der Stadtautobahn gibt, das macht
Friedrichshain kaputt und sabotiert unsere Bemühungen für eine
klimafreundliche Stadt für alle.
Immerhin soll es ein Sondervermögen mit fünf Milliarden Euro für
Klimaschutz geben.
Zum Thema Klimaschutz lese ich im Vertrag leider sehr wenig konkretes. Im
Gegenteil höre ich, dass Auflagen wie Solarpflicht oder grüne Fassaden
aufgeweicht werden sollen – das ist kein Klimaschutz. Eine neue Regierung
muss sich den Realitäten in der Stadt stellen, auch den politischen. Der
Klimavolksentscheid hat jetzt zwar nicht die Hürde genommen, aber die
Mehrheit hat dafür gestimmt.
Was muss da jetzt passieren?
Beim Klimaschutz reden wir vor allem über den Gebäudebereich und den
ÖPNV-Ausbau. Grundsätzlich kann man sich ja gerne mit dem U-Bahn-Ausbau
unter Einbeziehung einer Klimabilanz beschäftigen. Die Realisierung dauert
aber mehrere Jahrzehnte. Gleichzeitig werden aber konkret geplante
Straßenbahn-Ausbau-Projekte wieder infrage gestellt. Die gehen schnell und
kostengünstiger. Da wünsche ich mir mehr Pragmatismus. Damit diese Stadt
nicht zur Asphaltwüste wird, müssen wir mehr Flächen entsiegeln um Wasser
versickern zu lassen und grüne Oasen schaffen. Wir brauchen Parks statt
Parkplätze.
Ein zentrales Vorhaben von Schwarz-Rot ist die Reform der Verwaltung. Ich
warte jetzt seit mehr als vier Monaten auf einen Termin im Bürgeramt, geht
das bald schneller oder bremsen hier die grün regierten Bezirke?
Wir sind uns alle einig, dass die Verwaltung für die Bürger*innen da
sein muss, dass sie zuverlässig sein muss, dass es schnell geht und dass
sie digital wird. Da gibt es an vielen Stellen Verbesserungsbedarf.
Woran hapert es denn?
Wir brauchen mehr Personal und wir müssen die Prozesse digitalisieren. Im
Amt ist das noch nicht angekommen. Beim Wohngeld zum Beispiel kann zwar der
Antrag online ausgefüllt werden, im Amt wird der dann aber ausgedruckt und
kommt in die Papierakte. Wir brauchen dringend eine E-Akte. Die Pandemie
hat zwar einen Digitalisierungsschub ausgelöst, etwa was das Home Office
betrifft, aber das reicht noch nicht.
Also ziehen alle an einem Strang?
Beim Ziel sind wir uns einig, die Frage ist, wie wir zügig dahin kommen.
Ich hoffe, dass wir hier im Zusammenspiel miteinander besser vorankommen.
In einer Metropole mit zwölf Großstädten etwas von oben durchzudrücken wird
aber nicht funktionieren.
Seit zwei Monaten gibt es jetzt die umstrittene Kotti-Wache. Wie ist denn
da die Bilanz bislang?
Für eine ernsthafte Bilanz ist es noch zu früh. Aber wenn wir über
Sicherheit im öffentlichen Raum reden, reden wir doch ganz oft über soziale
Fragestellungen. Über das Thema Obdachlosigkeit, über Abhängigkeit und
Suchthilfe. Nicht nur hier am Kotti, auch in vielen anderen Ecken in der
Stadt kennt man das Problem. Das löse ich nicht mit Law and Order oder
Videoüberwachung und auch nicht, indem ich permanent Razzien in Parks
mache. Das führt im Zweifelsfall nur dazu, dass ich das Problem von A nach
B verschiebe. Für soziale Problemstellungen braucht man auch
sozialpolitische Lösungen, die müssen mitgedacht werden.
Was denn zum Beispiel?
Wir haben hier letztes Jahr das Gesundheitszentrum mit einem
Drogenkonsumraum eröffnet, da müssen wir die Öffnungszeiten dringend
ausweiten. Wir brauchen hier vor Ort auch dringend Nacht- und
Schlafangebote für obdachlose Menschen. Der nächste Runde Tisch zum
Kottbusser Tor findet Anfang Mai statt. Die Verantwortlichen der neuen
Landesregierung sind herzlich eingeladen.
18 Apr 2023
## LINKS
[1] /Polizeipraesenz-in-Berlin/!5912773
[2] /Amnesty-International-ruegt-Deutschland/!5921738
[3] /Koalitionsvertrag-fuer-Berlin/!5924852
[4] /Bedrohte-Verkehrswende-in-Berlin/!5925852
## AUTOREN
Marie Frank
## TAGS
Polizei Berlin
Grüne Berlin
Friedrichshain-Kreuzberg
Clara Herrmann
Kotti und Co
Schwerpunkt Überwachung
Polizei Berlin
Kottbusser Tor
Renaturierung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anwalt über innenpolitische Verschärfungen: „Justiz stärken, nicht die Pol…
Stefan Conen vom Republikanischen Anwält*innenverein RAV kritisiert
die innenpolitischen Pläne von Schwarz-Rot als rechtsstaatlichen
Rückschritt.
Polizeiwache in Berlin-Kreuzberg: Armut wegknüppeln
Im Herzen von Berlin-Kreuzberg eröffnet eine umstrittene Polizeiwache. Soll
sie etwa Probleme wie Armut, Wohnungsnot und Heroinsucht lösen?
Polizeipräsenz in Berlin: Wache mit Aussicht
Die Polizei hat am Mittwoch ihre Räume oberhalb des Kottbusser Tors
eröffnet. Ihre Präsenz ist in dem problembelasteten Kiez weiter heftig
umstritten.
Volkspark Friedrichshain umgestaltet: Ein bisschen mehr Natur
Der Volkspark Friedrichshain wird „naturnah“ umgestaltet. Am Großen
Bunkerberg sind die Maßnahmen abgeschlossen. Jetzt kommt der Kleine an die
Reihe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.