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# taz.de -- Anwalt über innenpolitische Verschärfungen: „Justiz stärken, n…
> Stefan Conen vom Republikanischen Anwält*innenverein RAV kritisiert
> die innenpolitischen Pläne von Schwarz-Rot als rechtsstaatlichen
> Rückschritt.
Bild: Auch der Alex gilt als „kriminalitätsbelasteter Ort“, die Polizeiwac…
taz: Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD im Bereich innere Sicherheit
[1][zahlreiche Verschärfungen] vereinbart. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?
Stefan Conen: Es ist ein rechtspolitisches Programm, das auf jeden Fall
einen Rückschritt bedeutet. Die Polizei wird personell immer weiter
aufgerüstet und die Justiz als Kontrollinstanz der Einhaltung der
Bürgerrechte nicht. Wer Rechtsstaat will, muss die Justiz stärken und nicht
die Polizei.
Die soll ja jetzt, ebenso wie das Ordnungsamt, [2][mit Bodycams]
ausgestattet werden.
Das finde ich gut. Wenn unsere Mandanten von der Polizei verprügelt werden,
raten wir ihnen meist von Strafanzeigen ab, weil sie dann zur
vermeintlichen Legitimation auf jeden Fall mit einer Widerstandsanzeige
belegt werden. Ich glaube, dass Bodycams alle Seiten disziplinieren und
deeskalierend wirken könnten.
Polizeiliches Fehlverhalten zeichnen Bodycams allerdings nur selten auf.
Es muss verpflichtend geregelt sein, dass Bodycams einzuschalten sind und
es nicht mehr dem Polizeibeamten obliegt, den Aus-Knopf zu drücken. Auch
müssen die Aufnahmen unmittelbar jenseits des Beamten gespeichert werden.
Wenn es der Polizei überlassen bleibt, was sie aufnimmt und was nicht und
was sie im Extremfall sogar wieder löscht, dann ist das ein
bürgerrechtlicher Rückschritt – statt einer Chance auf eine Objektivierung
von Geschehnissen.
Der RAV kritisiert die Pläne von Schwarz-Rot als „Abbau von Rechtsstaat und
Demokratie“. Was sind Ihre größten Sorgen?
Was ich rechtlich am kritischsten sehe, sind die Vorhaben im ASOG
(Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz, Anm. d. Red.). Das scheint
mir verfassungsrechtlich gar nicht machbar zu sein. Die Strafverfolgung
wird ausschließlich durch den Bund geregelt. Wie man auf die Idee kommen
kann, die Quellen-TKÜ zur Bekämpfung von Straftaten lokal auszuweiten, ist
mir ein Rätsel. Das geht nicht, da fehlt dem Land Berlin die
Gesetzgebungskompetenz.
Was bedeutet die Ausweitung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung
genau?
Weil bestimmte Messenger-Kommunikation, also über Whatsapp und Ähnlichem,
Ende zu Ende verschlüsselt ist, kommt man da mit normalen
Telefon-Abhörtechniken nicht ran. Deswegen wird ein Trojaner auf das Handy
aufgespielt. Das Handy wird im Prinzip zu einer mobilen Wanze.
Gehen wir die einzelnen Maßnahmen mal durch. Der „finale Rettungsschuss“,
also der gezielte Todesschuss durch Polizist*innen, soll rechtlich geregelt
werden. Wie und warum?
Rechtlich braucht es das nicht. Das ist strafrechtlich über die Notwehr
beziehungsweise Nothilfe geregelt. Es ist nicht strafbar, wenn ein Polizist
etwa einen Geiselnehmer erschießt, um ein Menschenleben zu retten – wenn es
nicht anders geht. Meine große Sorge ist, wenn man so etwas gesetzlich
legitimiert, wenn es im Gesetz als weitere polizeiliche Maßnahme fixiert
ist und an der Polizeiakademie gelehrt wird, dass das die Zurückhaltung
nicht unbedingt fördert und zukünftig zu schnelleren Schüssen führen kann.
Auf der anderen Seite ist es auch nicht fair, einen Polizisten mit der
schwierigsten aller Entscheidungen alleine zu lassen.
Jemanden zu töten.
Ich finde den Begriff finaler Rettungsschuss schrecklich. Man muss hier
klar sagen, wir regeln den finalen Todesschuss. Sonst verniedlicht man das
und kleidet es allein in etwas Positives, und das, was es bewirkt, wird
sprachlich ausgeblendet, nämlich die Tötung eines Menschen.
Apropos sprachliche Verniedlichung: Im Koalitionsvertrag ist viel von
„Videoschutz“ die Rede, gemeint ist damit die Einführung von
Videoüberwachung an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (KbO). Ist
das mit dem Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten vereinbar?
Das kann man vermutlich vereinbar gestalten, aber selbst wenn es nicht
verfassungswidrig ist, heißt das ja nicht, dass das gut ist. Das ist eine
Einschränkung von Bürgerrechten, und wer Foucault gelesen hat, weiß, dass
allein das Bewusstsein, überwacht zu werden, das Verhalten und die Freiheit
einschränkt. Für mich ist das Symbolpolitik, die unverhältnismäßig in die
Bürgerrechte eingreift. Drogenhandel wird nicht unter der Videokamera
stattfinden, die Leute kriegen das ja mit und werden sie meiden. Studien
belegen, dass Videoüberwachung keinen Rückgang der Kriminalität bewirkt,
sondern nur Verlagerung. Was wiederum zu einer weiteren Ausweitung der
Überwachung verleitet, wenn man sagt, dann ist das jetzt der neue KbO, der
auch noch überwacht werden muss und so weiter.
An KbO sollen auch Messerverbotszonen eingeführt werden. Es gibt die
Befürchtung, dass das zu anlasslosen Personenkontrollen und damit zu Racial
Profiling führt. Wie schätzen Sie das ein?
Im Koalitionsvertrag heißt es, dass man „verhaltensabhängige Kontrollen“
durchführt. Dieses Verhalten ist aber nicht definiert, und ich kann
natürlich jedem Menschen Verhalten zuschreiben, das ich verdächtig finde,
was aber letztlich doch auf seine Hautfarbe zurückzuführen ist. Ich glaube,
das wird steigen, weil die Messerverbotszonen ein Vorwand sind zu sagen,
ich verdächtige jemanden, dass er ein Messer dabeihat, und durchsuche ihn.
In den Ländern, in denen anlasslos kontrolliert werden kann, wie teils in
den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien, hat das zu einer
ethnozentrierten Verfolgung geführt. Ich wüsste jetzt nicht, warum das in
Berlin anders sein sollte und warum es das hier bräuchte.
Der Präventivgewahrsam soll von zwei auf fünf Tage ausgeweitet werden. In
Bayern und Nordrhein-Westfalen wurde diese Maßnahme zuletzt vor allem gegen
Klimaaktivist*innen eingesetzt. Ist das noch mit der
Versammlungsfreiheit vereinbar?
Es ist immer problematisch, wenn man jemandem für künftiges Verhalten, was
man bei ihm nur vermutet, die Freiheit nimmt. Auch hier wird sprachlich
verharmlost: Gewahrsam ist nicht zu unterscheiden von Gefängnis. Das ist
eine Haftsituation, die ohne Schuld verhängt wird.
Bringt das denn überhaupt was?
Bei Klimaaktivisten verhindert man damit nichts. Ob das zwei oder fünf Tage
sind, dann klebt er sich halt am sechsten Tag fest. Das ist nicht
Prävention, sondern Abschreckung. Abschreckung ohne festgestellte Schuld.
Wen das vor allem betrifft, sind bislang Fußballfans. Die werden auf der
Anreise eingesammelt und weggesperrt, weil etwas passieren könnte. Meiner
Meinung nach passt das alles nicht ins positive Menschenbild des
Grundgesetzes, das jeden Menschen als Chance und nicht als potenzielle
Gefahr sieht.
Auch das Versammlungsfreiheitsgesetz soll überarbeitet und der Begriff der
„öffentlichen Ordnung“ wieder eingeführt werden. Welche Konsequenzen hat
das?
Öffentliche Ordnung ist ein problematischer Begriff, weil er sich auf
ungeschriebene Regeln jenseits der Gesetze bezieht. Wenn man damit
Versammlungen verbietet, ist das verfassungswidrig. Die
Versammlungsfreiheit schützt auch das Recht von Minderheiten, gegen ein
Anstandsgefühl der Mehrheit zu demonstrieren, solange dabei keine Gesetze
gebrochen werden.
18 Apr 2023
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## AUTOREN
Marie Frank
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Koalitionsvertrag
Innenpolitik
Rechtsstaat
Polizeigesetz
Görlitzer Park
Datenschutz
Ferat Koçak
Polizei Berlin
Repression
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