| # taz.de -- Neuer Drogenkonsumraum in Berlin: Endlich Hilfe für den Kotti | |
| > Am Kottbusser Tor gibt es seit Montag erstmals einen Drogenkonsumraum. | |
| > Seit Jahrzehnten klagen Anwohner*innen über Konsum in Treppenhäusern. | |
| Bild: Der neue Drogenkonsumladen am Kotti, vorne links an der Ecke | |
| Berlin taz | Neben einem Seiteneingang des U-Bahnhofs Kottbusser Tor in | |
| Kreuzberg steht eine Menschentraube in der Sonne. Zumeist sind es Männern | |
| mittleren Alters, ein internationales Stimmengewirr liegt in der Luft, | |
| viele haben Bierflaschen in der Hand, sind ärmlich gekleidet, die Zähne | |
| sind kaputt. | |
| Seit Jahrzehnten trifft sich hier im östlichen Teil der Reichenberger | |
| Straße die Drogenszene. Kleinere Mengen Drogen, Tabletten und | |
| Substitutionsstoff werden dort vertickt, man trifft sich aber einfach auch | |
| so. Dass an diesen Montagmittag an dieser Ecke im Neuen Kreuzberger Zentrum | |
| ein Drogenkonsumraum eröffnet, hat sich längst herumgesprochen. Von „voll | |
| geil“ bis „werde ich nutzen“ ist die Meinung einhellig positiv. | |
| Astrid Leicht, Geschäftsführerin der Suchthilfeeinrichtung Fixpunkt, Träger | |
| des Konsumraums, spricht am Montag gegenüber der taz von einem | |
| „Meilenstein“: 30 Jahre lang haben Präventions- und Suchthilfevereine wie | |
| Fixpunkt um so eine Einrichtung in unmittelbarer Nähe des Szenetreffpunkts | |
| gekämpft. | |
| Das Land Berlin und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg seien lange | |
| gegen einen Druckraum am Kotti gewesen, sagt Leicht. Es habe mal einen in | |
| der Dresdner Straße gegeben, der aber [1][2009 aufgrund von | |
| Anwohnerprotesten geschlossen] worden sei. Damals sei behauptet worden, | |
| dass die Drogenszene am Kotti verschwinde, wenn der Laden weg sei. Das sei | |
| aber ein Irrtum gewesen. 2016 habe beim Land und Bezirk endlich ein | |
| Umdenken begonnen. | |
| ## Eine Art „Kotti to go“ | |
| Bisher gab es am Kotti nur eine mobile Einrichtung. Bis zum Dezember stand | |
| der Drogenkonsumbus von Fixpunkt auf der Mittelinsel unter der Hochbahn. | |
| Eine zweite Anlaufstelle befindet sich im westlichen Teil der Reichenberger | |
| Straße auf dem Gelände der früheren Gerhard-Hauptmann-Schule. Auch diese | |
| Suchthilfeeinrichtung, die ein umfassenderes Beratungs- und Hilfsangebot | |
| hat, bleibt Leicht zufolge bestehen. Vielen Drogenkonsumenten seien die 800 | |
| Meter vom Szenetreffpunkt dorthin aber zu weit. Der neue Laden, so Leicht, | |
| sei eine Art „Kotti to go“. | |
| Eigentlich sollte dort schon am Montagvormittag Eröffnung sein. Weil noch | |
| kleinere Arbeiten zu erledigen sind, verzögert sich die aber um ein paar | |
| Stunden. Eine Glasfront, die den zweistöckigen Laden umgibt, gibt von | |
| draußen einen Blick auf eine Art Theke mit Teebeuteln und Thermoskannen | |
| frei. Eine Treppe führt in den zweiten Stock, auf insgesamt 120 | |
| Quadratmetern sind ein Aufenthaltsraum, eine ärztliche Akutversorgung und | |
| zwei Druckräume mit jeweils vier Plätzen untergebracht. In dem einem könne | |
| inhaliert, im anderen injiziert werden, sagt Leicht. | |
| Ferner gibt es eine Frauen- und eine Männertoilette. Speziell für | |
| Drogenabhängige, die sich den ganzen Tag draußen aufhielten, sei der | |
| Gesundheitsladen gedacht. In Ruhe Drogen konsumieren und auf die Toilette | |
| gehen – für die Gegend rund um das Kottbusser Tor sei das auch | |
| „klimaförderlich“, hofft Leicht. Drogenkonsum und Toilettengänge finden | |
| nicht selten in Hausfluren und Durchfahrten statt. | |
| Das Kottbusser Tor ist als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort (kbO) | |
| eingestuft. Die Problemlage ist vielfältig. Teile der Gewerbetreibenden und | |
| Anwohnerschaft klagen schon lange über eine hohe Kriminalitätsbelastung und | |
| Verschmutzung der Gegend. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) will wie | |
| berichtet eine [2][Polizeiwache am Kottbusser Tor] einrichten. In | |
| Anwohnerkreisen und bei Gewerbetreibenden gibt es Befürworter, aber [3][die | |
| Ablehnung] ist nicht minder groß. | |
| ## Ohne Angst den Stoff aufkochen | |
| „Voll cool“, sagt ein Drogenabhängiger am Szenetreffpunkt zu dem neuen | |
| Laden. „Dann musste nicht mehr von A nach B.“ An der Glasfront der | |
| Einrichtung lehnt ein hagerer 54-Jähriger mit stecknadelkleinen Pupillen, | |
| die schütteren Haare hat er zu einem Zopf gebunden. Seit seinem 16. | |
| Lebensjahr, erzählt er, sei er drauf, mit sieben Jahren Cleanzeit | |
| dazwischen. Er habe eine Wohnung, sei aber trotzdem jeden Tag am Kotti: | |
| „Besser als alleine zu Hause hocken.“ Was er von dem Laden erwartet? Die | |
| Antwort kommt prompt: „Dass man in Ruhe den Stoff aufkochen kann. Ohne | |
| Angst, dass einen jemand im Hausflur wegtritt und das Zeug klaut.“ | |
| Auf der Freifläche vor dem Neuen Kreuzberger Zentrum steht der Besitzer des | |
| türkischen Burgerimbisses. Er zuckt mit den Achseln, als er von dem | |
| Druckraum in seiner Nachbarschaft hört. Was solle er noch sagen, winkt der | |
| Mann ab und zeigt auf in dicker Folie eingepackten und somit unbenutzbar | |
| gemachten Automatenfahrzeuge für Kinder vor seinem Imbiss. Regelmäßig | |
| würden das Auto und das Motorrad von Junkies geknackt, obwohl bekannt sei, | |
| dass er da nachts kein Geld drin lasse. | |
| Senat und Bezirk begrüßten die „Kontaktstelle Kotti“, wie sie den Laden | |
| einstweilen nennen, heißt es am Montag in einer gemeinsamen | |
| Presseerklärung. Ülker Radziwill (SPD), Staatssekretärin für Mieterschutz | |
| und Quartiersentwicklung, hob die ressortübergreifende Zusammenarbeit | |
| unterschiedlicher Akteure hervor. Sie verbinde damit die Hoffnung, dass der | |
| öffentliche Drogenkonsum am Kottbusser Tor unter Kontrolle gebracht werden | |
| könne. | |
| Der Bezirk betonte, so werde die Situation vor allem für Nachbarn, Familien | |
| mit Kindern und Ladeninhaber verbessert. | |
| 28 Mar 2022 | |
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| [1] /Interview-mit-Drogenhelferin/!5166546 | |
| [2] /Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5833142 | |
| [3] /Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5838674 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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