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# taz.de -- Kreuzberger Drogenszene: Das Kottbusser Tor unter Druck
> Der Streit über die Junkies am Kotti spitzt sich zu. Im toleranten
> Kreuzberg will niemand einen Druckraum beherbergen. Auch die
> Hausgemeinschaft von Cem Özdemir lehnt ab. Anwohner laden zur Diskussion.
Cem Özdemirs Wohnhaus bleibt clean. In dem Gebäude in der Nähe des
Kottbusser Tors, wo der Bundesvorsitzende der Grünen lebt, wird der Verein
Fixpunkt keinen Druckraum einrichten. Die links-alternative
Hausgemeinschaft lehnt das ab. "Ich habe mit den Mietern und Eigentümern
geredet. Wir sind uns einig: In einem Wohnhaus ist so ein Druckraum fehl am
Platz", erklärt ein Sprecher. "Man kann eine solche Einrichtung nur im
Einvernehmen mit den Anwohnern etablieren", sagt Bezirksbürgermeister Franz
Schulz, ebenfalls ein Grüner. Damit ist der Vorschlag vom Tisch. Und Schulz
muss weitersuchen.
Wohin mit den Junkies? Ende März soll die Fixerstube, in der sich die
Abhängigen unter hygienischen Bedingungen einen Schuss setzen können, aus
der Dresdner Straße ausziehen. Der Vermieter hat gekündigt. "Wir schauen
seit einem Jahr nach einem neuen Ort", berichtet Schulz. Selbst im
toleranten Kreuzberg sind die Berührungsängste groß. Die Suche gestalte
sich als extrem schwierig. "Sobald Vermieter hören, worum es geht, machen
sie dicht."
Seit Jahrzehnten treffen sich Junkies und Dealer am Kottbusser Tor. Mehrere
hundert Drogenkonsumenten kreuzen täglich hier auf, schätzt Astrid Leicht,
Geschäftsführerin von Fixpunkt. Mitte der 90er-Jahre seien es noch mehr
gewesen. Im vergangenen Jahr wurde das Parkhaus an der Skalitzer Straße, in
das sich oft Junkies zurückzogen, verschlossen. Vor einigen Hauseingängen
schieben inzwischen Security-Leute Wache. Beides führt dazu, dass die
Junkies stärker auf die Straße drängen.
Lange arrangierten sich die Menschen am Kotti mit der Szene. Inzwischen
beschweren sie sich lauthals. Ende 2008 schrieben die Gewerbetreibenden
einen offenen Brief an den Bezirksbürgermeister. Anwohner gründeten eine
Bürgerinitiative für ein drogenfreies Kottbusser Tor. "Die Eltern sorgen
sich um ihre Kinder. Sie haben eine große Wut", erzählt der Sozialarbeiter
Ercan Yasaroglu, der die Aktionen von Anfang an begleitete. Er warnt: "Wenn
die Politik nicht bald etwas unternimmt, üben die Anwohner Selbstjustiz."
Blutspritzer
Das quer über die Adalbertstraße gebaute "Neue Kreuzberger Zentrum" ist mit
seinen verwinkelten Gängen wie geschaffen für den Drogenkonsum. Im ersten
Stock hängt beißender Uringeruch in der Luft. Hinter einer Betonsäule
leuchtet ein weißes Taschentuch auf dem Boden. Frische rote Blutspuren sind
darauf. Daneben liegt eine Spritze.
"Einmal habe ich einen Toten gefunden, gleich hier bei unserem Eingang",
erzählt Renée Abul-Ella von der Beratungsstelle für arabische Familien im
ersten Stock. Vor zwei Wochen habe ein Bewusstloser auf der Treppe gelegen.
Die kleine Frau winkt genervt ab. "Die Belastung ist zu groß. Wir ziehen
bald weg."
Vor einem Treppenaufgang stehen breitbeinig zwei junge Migranten, sie reden
halblaut mit einem blonden Mädchen. Einer zückt seinen Geldbeutel. "Dealer,
die sieht man hier ständig", sagt Erdem Yilmaz*. Seit drei Wochen engagiert
er sich in der Bürgerinitiative. Schon jetzt liegen seine Nerven blank.
Wenn er durch das Neue Kreuzberger Zentrum läuft, zieht er die Kapuze tief
in die Stirn. "Letztens habe ich Flugblätter verteilt. Ein Dealer hat mir
gedroht, ich soll das lassen." Dann kochte auch noch die Geschichte mit
seinem Haus hoch. Yilmaz ist ein Nachbar von Cem Özdemir. Beide leben in
dem einst von Einwanderinnen besetzten Gebäude. Im Erdgeschoss ist derzeit
ein Café untergebracht, es gehört zur kurdischsprachigen Moschee im ersten
Stock. Die wird bald ausziehen: Die Hausgemeinschaft hat die Moschee
rausgeklagt, auch wegen der lauten Gebetsrufe.
"Das Haus wäre gut geeignet für den Drogenkonsumraum, es liegt auch nah
genug am Kottbusser Tor", befand Schulz - zum Ärger der Bewohner. So wurde
der Streit über die Junkies zum Streit zwischen Grünen. "Es muss eine
Lösung unter Einbeziehung der Anwohner gesucht werden", entgegnete Özdemir.
"Wie kann Herr Schulz unsere Adresse öffentlich machen?", regt sich Yilmaz
auf. Er sorgt sich um die Sicherheit seiner Familie. Jemand habe die
Scheibe an der Eingangstür eingeschlagen.
Schulz hatte schon im Dezember zum runden Tisch geladen. Am 4. März will er
sich wieder mit Gewerbetreibenden, Anwohnern und anderen treffen. Geht es
nach ihm, soll der Druckraum vergrößert werden und längere Öffnungszeiten
bekommen. Zurzeit können die Junkies zwischen 13 und 17 Uhr konsumieren.
"Es wäre auch sinnvoll, einen Treff für die Trinkerszene anzubieten, um den
öffentlichen Raum zu entlasten", sagt Schulz.
Er glaubt zudem, dass man mit den Junkies Regeln verabreden kann. "Sie
sollen ihre Spritzen nicht irgendwohin werfen und die U-Bahn-Zugänge
zustellen." Den Vorschlag des Quartiersrats, Container für die Fixer auf
der Verkehrsinsel aufzustellen, weist Schulz zurück.
Könnte der Bezirksbürgermeister seine Ideen umsetzen, würde das die Lage
möglicherweise entspannen. Doch noch gibt es keinen Ort für einen neuen
Trinkertreff - geschweige denn für den Druckraum. Muss die Fixerstube
schließen, halten sich bald noch mehr Junkies auf der Straße auf.
"Wenn der Laden hier dichtmacht, muss ich in die City-Toilette ausweichen",
sagt ein junger Mann mit ordentlich zurückgegeltem Haar. Er hat gerade den
Druckraum verlassen. Fast täglich komme er aus Ahrensfelde an den Kotti, um
Opiate oder Kokain zu nehmen. "Der Druckraum ist für mich ein Schutz. Falls
ich mal umkippe, ist jemand da." Er verstehe, dass die Anwohner genervt
seien. "Aber dass die uns als Abschaum darstellen, finde ich nicht in
Ordnung. Die sind doch selbst sozial ganz unten, zu 80 Prozent
Alkoholiker." Er ist überzeugt: "Die Szene am Kotti werden sie nicht kaputt
machen können."
Die Bürgerinitiative würde den Druckraum am liebsten an den Ostbahnhof oder
an das Gleisdreieck verlegen. "Da leben nicht so viele Kinder und
Jugendliche", erklärt Yilmaz. Viele Anwohner kritisieren, dass die
Fixerstube Junkies erst anziehe. Astrid Leicht vom Fixpunkt sieht das
anders. "Die Konsumenten sind mehrheitlich aus Kreuzberg und Neukölln. Die
wollen im Kiez bleiben." Leicht hat Sorge, dass die Situation eskaliert.
"Ich hoffe, dass die Initiative nicht von Kräften überrollt wird, die uns
hier nur weghaben wollen."
Bereits jetzt schlagen die Wogen hoch. Etwa beim Treffen der
Bürgerinitiative am Dienstag im Neuen Kreuzberger Zentrum. Als mehrere
Männer bemerken, dass auch zwei Vertreter von Fixpunkt erschienen sind,
verlassen sie aufgeregt den Raum.
Junkies und Yuppies
Eine unübersichtliche Gemengelage, doch das Treffen wird fortgesetzt. Ercan
Yasaroglu und seine Mitstreiter wollen sich an diesem Abend mit linken
Aktivisten verständigen. Einige hatten bei einer Demonstration der
Initiative am vergangenen Samstag gegen deren Forderungen protestiert. Sie
befürchten eine Verdrängung der Ärmeren aus dem Kiez. "Junkies bleiben,
Yuppies vertreiben", so ein Slogan.
Ein Mädchen mit blonden Rastahaaren und ein Bärtiger in schwarzer Latzhose
sitzen mit am Tisch. Der Mann sagt, er spreche nicht für die linken
Aktivisten. Eine Botschaft hat er aber doch: "Es gibt eine breite
Solidarität mit den Drogenkonsumenten am Kottbusser Tor. Wenn ein paar
Hitzköpfe die vertreiben wollen, wird hier was passieren."
Er schlägt vor, das Kottbusser Tor autofrei zu machen. "Es werden
schließlich mehr Kinder von Autos angefahren als von Spritzen verletzt",
polemisiert er. Einen kleinen Migranten mit Glatzenansatz hält es kaum auf
dem Stuhl. "Müssen sich erst Kinder verletzen?" Ercan Yasaroglu hebt
beschwichtigend die Hände. "Wir wollen uns nicht anschreien."
An diesem Abend wird keine Lösung gefunden. Aber man hört sich zu,
immerhin. Später treten sie hinaus auf den dunklen Gang. Vor der Tür liegt
in einem Blumenbeet ohne Blumen wie hindrapiert eine frische Spritze.
*Name geändert
27 Feb 2009
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Kottbusser Tor
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