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# taz.de -- Interview mit Drogenhelferin: "Die Stimmung ist aufgeheizt wie nie"
> Die Abhängigen am Kottbusser Tor brauchen einen Aufenthaltsraum, meint
> Astrid Leicht von der Drogenhilfe Fixpunkt. Doch die Debatte werde
> künstlich hochgekocht.
taz: Frau Leicht, über die Drogenszene am Kottbuser Tor ist ein heftiger
Streit entbrannt. Welche Abhängigen treffen sich dort?
Astrid Leicht: Die klassische Kotti-Klientel besteht aus rund 300 Leuten.
Aber die sind nie alle auf einmal da. Das Stammpublikum wird von rund 100
Leuten gebildet. Es handelt sich um schwerst opiatabhängige Menschen. Der
Kotti ist ihr Treffpunkt. Es ist der einzige soziale Treffpunkt für
Heroinabhängige, der in Berlin noch existiert.
Was ist aus den anderen geworden?
Vor zehn, zwanzig Jahren gab es noch Treffpunkte wie die Potsdamer Straße,
den Bahnhof Zoo oder die Turmstraße. Aber das waren Mischungen aus sozialem
Treffpunkt und Handelstreffpunkt. Mit der Verbreitung des Mobilfunks hat
sich der Handel weitgehend in die U-Bahn verlagert. Dadurch haben sich die
Treffpunkte mehr oder weniger aufgelöst.
Was unterscheidet die Drogenabhängigen am Kotti von anderen
Heroinabhängigen?
Berlin hat rund 8.000 Heroinabhängige, zirka 3.500 werden mit Methadon
substituiert. Die Substitution hat seit Mitte der 90er-Jahre stark
zugenommen. Methadon wird oral verabreicht. Bei vielen Abhängigen ist das
Suchtverlangen dadurch gestillt. Bei der klassischen Kotti-Klientel ist das
anders: Viele Leute dort haben eine zunehmende Alkoholproblematik
entwickelt. Dazu werden Tabletten und Drogen aller Art konsumiert. Sie sind
schwer mehrfach abhängig.
In was für einem Zustand sind diese Menschen?
Durch die Methadonsubstitution sind Drogenabhängige heutzutage
gesundheitlich besser beieinander als früher. Deshalb werden sie auch älter
als noch vor einiger Zeit. In der Kotti-Szene gehen viele auf die 50 zu.
Dass sie ihr Leben lang Drogen genommen haben, sieht man ihnen natürlich
trotzdem an. Das ist kein schönes Bild.
Wie ist das Verhältnis von Männern zu Frauen, von Migranten zu gebürtigen
Deutschen?
80 Prozent sind Männer. Der Migrantenanteil beträgt 30 Prozent. Die
Drogenabhängigen nichtdeutscher Herkunft kommen überwiegend aus dem
türkisch-arabischen Raum, auch russischsprachige Abhängige sind zunehmend
vertreten, punktuell auch polnische.
Werden die Anwohner von den Junkies körperlich bedroht und belästigt?
Es gibt Einzelfälle. Aber nach unserer Beobachtung geht von den Konsumenten
ein relativ geringes Aggressionspotenzial aus. Das deckt sich mit dem, was
wir von der Polizei hören. Auch von anderer Seite ist zu hören, dass die
Aggressivität eher von den jungen Männern aus dem Kiez ausgeht, die
Anabolika nehmen, als von den Heroinabhängigen.
Wie lange existiert der Szene-Treffpunkt schon am Kotti?
Er ist in den 80er-Jahren im Zuge der Hausbesetzerzeit entstanden.
Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, haben ihn etabliert. Zuerst
haben sich die Punker auf dem Platz getroffen. Dann kam die Drogenszene
hinzu. Es gibt dort auch eine Trinkerszene, die sich teilweise mit der
Drogenszene mischt. Es ist der Toleranz der Kreuzberger Bevölkerung hoch
anzurechnen, dass diese Menschen dort nicht vertrieben worden sind.
Aber nun ist es offenbar mit der Toleranz vorbei.
Ich bin seit 15 Jahren am Kottbusser Tor tätig und habe viele Debatten um
die Drogenszene erlebt, aber so aufgeheizt wie jetzt war die Stimmung noch
nie. Die Situation für die Anwohner hat sich zweifelsohne zugespitzt, seit
das Parkhaus im Neuen Kreuzberger Zentrum im vergangenen Sommer geschlossen
wurde. Aber sie ist längst nicht so schlimm wie Mitte der 90er.
Im Parkhaus ist viel gedrückt worden. Seit es geschlossen wurde, gehen die
Junkies wieder vermehrt in die Hinterhöfe und auf Spielplätze.
Das ist eine große Belastung für die Umgebung, keine Frage. Aber was die
Faktenlage betrifft, wird das Ganze einfach hochgekocht. Man könnte die
Probleme, die die Drogenabhängigen verursachen, mit ganz praktischen,
transparenten Mitteln lösen.
Wie denn?
Wenn man möchte, dass die Drogenabhängigen nicht mehr auf der Straße
herumstehen und sich Anwohner und Passanten von ihnen belästigt fühlen,
braucht man Räumlichkeiten, wo sich die Menschen treffen und auch ihr Bier
trinken können, natürlich unter Beachtung bestimmter Regeln, auch
Sicherheitsregeln. Wir benötigen in Kreuzberg auch Räume für den
Drogenkonsumraum. Der jetzige Raum "Ska" in der Dresdner Straße ist
Fixpunkt ja zu Ende März gekündigt worden. Der Laden war aber ohnehin zu
klein und hatte zu kurze Öffnungszeiten.
Und warum wird das Problem nicht gelöst?
Es gibt eine Vielzahl von Akteuren, die aber gänzlich unterschiedliche
Ziele verfolgen. Man hat den Eindruck, dass auf dem Rücken der
Drogenabhängigen ganz andere Interessen ausgetragen werden.
Welche Interessen denn?
Was ich so alles zu hören bekomme, welche Person oder Gruppierung warum die
eine oder andere Position vertritt, übersteigt mein Fassungsvermögen. In
Berlin gab es eigentlich immer den Konsens, dass Drogenpolitik nicht zu
parteipolitischen Zwecken missbraucht wird - aber diesen Eindruck hat man
jetzt. Auch viele Kreuzberger sind entsetzt. Wir kriegen ganz viele Anrufe
und Mitteilungen. Das, was in Kreuzberg passiert, ist für den Bezirk
einmalig. Es ist allerhöchste Zeit, die Diskussion zu versachlichen.
Der Stadtrat für Gesundheit hat im Zuge der Diskussion gesagt, man könnte
zurzeit mit einem Sack Gold durch Kreuzberg laufen, aber einen Laden werde
man nicht finden.
Daran sieht man, wie aufgeheizt die Stimmung ist. Der Laden wird nicht als
Teil einer Lösung empfunden, sondern als Teil des Problems. Dabei geht es
uns gerade darum, die Drogenabhängigen mit Alternativangeboten zu
motivieren, das Szeneleben zu verlassen.
In Frankfurt und Hamburg bekommen Schwerstabhängige im Rahmen eines
Modellprojekts kontrolliert Heroin verabreicht.
Berlin hat sich an dem Projekt in der Vergangenheit aus Kostengründen nicht
beteiligt. Ich gehe davon aus, dass sich das ändern wird, wenn die
entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen auf Bundesebene geschaffen
sind. Wir hoffen, dass der Gruppenantrag von SPD, Grüne, FDP und
Linkspartei noch vor der Bundestagswahl verabschiedet wird. Für die
Personen am Kottbusser Tor wäre eine Substitution mit Diamorphin - so wird
Heroin ideologiefrei medizinisch bezeichnet - eine realistische Chance zum
Ausstieg aus dem Szeneleben.
Was würde das verändern?
Das Besondere an der Kotti-Klientel ist doch, dass das Methadon bei vielen
nicht in der gewünschten Form anspricht. Das Heroin würde bei den schwer
mehrfach Abhängigen das Suchtverlagen aber stillen. Dadurch würden sie
wieder ansprechbar für die Angebote der Drogenhilfe. Das würde auch den
öffentlichen Raum entlasten. Es wäre auf alle Fälle einen Versuch wert.
Welche Position vertritt das Quartiersmanagement Kottbusser Tor in dem
Konflikt?
Das Quartiersmanagement war bei allen Treffen dabei, die wir wegen unseres
Drogenkonsumraums mit Bezirk, Senat und Polizei hatten. Aber es ist bislang
nicht mit aktiven Vorschlägen in Erscheinung getreten.
Wie kommt das?
Das müssen Sie das Quartiersmanagement fragen. Ich habe dazu keine
Begründung gehört.
Zurzeit sieht man am Kottbusser Tor auffällig viele Polizeiuniformen.
Die Bürger wollen das so. Das ist auch so ein Paradox: Bislang war die
Polizei in Kreuzberg nie gewollt. Nun schiebt sie in zehnfacher Präsenz
Streife. Das Problem ist: Dadurch, dass die Beamten sichtbar in Grün
auftreten, können sie überhaupt nicht mehr effektiv arbeiten, weil die
Dealer da alle wegrennen.
Astrid Leicht, 44, ist Leiterin von [1][Fixpunkt]. Sie arbeitet seit 15
Jahren für den Freien Träger der Drogenhilfe. Mit 25 Mitarbeitern gehört
das Projekt eher zu den kleinen der Zunft, hat aber im niedrigschwelligen
Bereich die meisten Angebote. Fixpunkt betreibt fünf Fix-Mobile, ein
Beschäftigungsprojekt und zwei Kontaktläden: "Druckausgleich" in Neukölln
und den Drogenkonsumraum "Ska" in Kreuzberg
10 Mar 2009
## LINKS
[1] http://www.fixpunkt.org/
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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