# taz.de -- Debatte um Polizeiwache in Kreuzberg: Scharfe Kritik von der Basis | |
> Innensenatorin Spranger will die Polizeiwache am Kotti unbedingt. | |
> Sinnvoll sei das nicht, sagt Norbert Sommerfeld, für den Kiez zuständiger | |
> Polizist. | |
Bild: Hier soll ihr Denkmal in Form einer Polizeiwache entstehen: Innensenatori… | |
Berlin taz | Norbert Sommerfeld sitzt in einem Café [1][am Kottbusser Tor | |
im Herzen von Kreuzberg] und blickt zufrieden auf den Trubel um sich herum. | |
„Heute ist es relativ ruhig“, sagt er. Als erfahrener Polizist weiß er | |
jedoch: Das kann sich jederzeit ändern. Der 60-Jährige ist einer von zwei | |
Kontaktbereichsbeamten, die für die Gegend um den Kotti zuständig sind. | |
Seit 15 Jahren ist er Ansprechpartner für Anwohner*innen und | |
Gewerbetreibende. | |
„Meist geht es weniger um Strafverfolgung als um Vorbeugung, dass es gar | |
nicht erst zu Straftaten kommt“, sagt der große, stämmige Mann. Das | |
Wichtigste sei, mit den Leuten zu reden und Vertrauen zu schaffen. „Nach so | |
langer Zeit kennt man jeden hier und die Leute kennen einen. Man ist Teil | |
des Kotti.“ | |
Die Herausforderungen an dem sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort kennt | |
Sommerfeld nach so vielen Jahren ebenfalls sehr gut: Müll, Lärm, | |
Partytourismus, Drogen, Obdachlosigkeit, Armut, Verkehr. „Es gibt hier | |
viele Probleme. Meist sind sie jedoch nicht polizeilicher Art, sondern | |
soziale Probleme, die durch soziale Organisationen gelöst werden müssen und | |
nicht durch die Polizei. Davon gibt es jedoch zu wenige“, findet | |
Sommerfeld. | |
Stattdessen würden soziale Probleme zunehmend auf die Polizei abgeladen: | |
„Obdachlose oder Junkies zu vertreiben, ist nicht unsere Aufgabe. Sind das | |
alles Kriminelle? Ich glaube nicht.“ | |
## Kosten für die Wache: 3,5 Millionen Euro. Mindestens | |
Die nur wenige Meter weiter auf der Galerie des Neuen Kreuzberger Zentrums | |
(NKZ) [2][geplante Polizeiwache] sieht Sommerfeld daher kritisch. „So eine | |
Wache macht die Situation hier draußen nicht besser“, glaubt er. 3,5 | |
Millionen Euro kostet das Prestigeobjekt von Innensenatorin Iris Spranger | |
(SPD) nach aktuellen Planungen. Drei Beamt*innen pro Schicht sollen in | |
dem rund 200 Quadratmeter großen Raum über der Adalbertstraße ab 2023 | |
Anzeigen aufnehmen, Schreibarbeiten erledigen und Vernehmungen durchführen. | |
„Die Wache wird bei der Größe im Prinzip nur mit sich selbst beschäftigt | |
sein. Die Polizisten werden nicht rausgehen können“, glaubt Sommerfeld. | |
Dabei bräuchte es in seinen Augen genau das: mehr Kontaktbereichsbeamte, | |
die in Brennpunktbereichen das Verhältnis zwischen Bürger*innen und | |
Polizei verbessern und auf den Straßen für Ordnung sorgen. „Wir brauchen | |
Polizisten mit Namen, keine anonymen Kampfmaschinen. Sonst erreicht man auf | |
sozialer Ebene wenig.“ Eine Anlaufstelle der Polizei für die Menschen am | |
Kotti findet Sommerfeld im Prinzip zwar richtig; dazu würden jedoch | |
geeignete Räumlichkeiten benötigt und ein fester Personalstamm, der Ahnung | |
von dem Kiez habe. „Wer neu hierherkommt und niemanden kennt, kontrolliert | |
immer den falschen“, sagt er. Ausbaden müssten das dann die | |
Kontaktbereichsbeamten. | |
Die Anwohner*innen und Gewerbetreibenden, mit denen Sommerfeld redet, | |
seien im Prinzip für die neue Wache, sagt er. Streit gebe es vor allem | |
wegen der exponierten Lage und der fehlenden Einbindung der Nachbarschaft. | |
„Die Leute haben Angst, dass das dann nicht mehr ihr Kotti ist“, glaubt der | |
Polizist. | |
In einem offenen Brief haben sich am Freitag verschiedene | |
Anwohner*inneninitiativen und soziale Träger wie der Mieterrat des | |
NKZ, Mitglieder des Quartierrats Zentrum Kreuzberg sowie Gewerbetreibende | |
wie das Café Kotti an den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus gewandt | |
und sich gegen eine Polizeiwache am geplanten Standort ausgesprochen. Sie | |
beklagen in dem Schreiben vor allem eine fehlende Einbindung und | |
explodierende Kosten. „Die viel beschworene Kultur der Partizipation wird | |
mit einem Habitus des Durchregierens übergangen“, heißt es. Wesentliche | |
Akteure am Kotti würden sich gegen den Standort aussprechen; auch sei die | |
Suche nach alternativen Örtlichkeiten noch nicht abgeschlossen. Dennoch | |
würden die derzeitigen Pläne als alternativlos präsentiert. | |
Statt einer „isolierten Polizeiwache über unseren Köpfen“ mit | |
Videoüberwachung fordern die Unterzeichner*innen des offenen Briefs | |
ein integriertes und nachhaltiges Konzept, das mit allen Akteuren vor Ort | |
entwickelt wird. Das müsste auch andere Bedarfe wie kostenlose öffentliche | |
Toiletten und aufsuchende Sozialarbeit in den Blick nehmen. Es sei nicht | |
nachvollziehbar, warum 3,5 Millionen Euro für eine Vorzeigewache in einem | |
Wohnhaus ausgegeben werden, während soziale Projekte unterfinanziert | |
bleiben. | |
Innensenatorin Spranger will trotz der breiten Kritik das Projekt so | |
schnell wie möglich durchziehen. Spätestens Anfang Juli sollen die | |
Ausbauarbeiten starten, zum Beginn des nächsten Jahres soll die Wache den | |
Betrieb aufnehmen. Für Kritiker*innen ist der plötzliche Zeitdruck | |
unverständlich, immerhin bestehen die Probleme am Kotti seit Langem. | |
Das kann auch Norbert Sommerfeld bestätigen. „Die ganz schlimmen Zeiten | |
sind vorbei“, sagt der Kontaktbereichsbeamte. Trotz aller Probleme sei der | |
Kotti einer der wenigen Orte, wo der kulturelle Austausch wirklich | |
funktioniere. Daher dürfe man ihn nicht nur unter Kriminalitätsaspekten | |
betrachten, sondern auch aus einer stadtentwicklungspolitischen | |
Perspektive. „Es fehlt ein Grundkonzept für das Kottbusser Tor, was daraus | |
in 20, 30 Jahren werden soll.“ | |
Dass die Wache noch verhindert werden kann, glaubt Sommerfeld nicht. „Die | |
Wache wird kommen“, ist er sich sicher. Ob er dann noch auf den Straßen | |
rund um das Kottbusser Tor unterwegs sein wird, ist weniger klar. Ende des | |
Jahres wird Sommerfeld 61 Jahre alt und geht in Pension – falls sein Antrag | |
auf Verlängerung nicht angenommen wird. „Eigentlich fühle ich mich noch | |
nicht bereit, zu gehen“, sagt er. „Der Kotti ist dafür auch nicht bereit�… | |
ergänzt sein Kollege. | |
14 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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