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# taz.de -- Berlins Innensenatorin über den 1. Mai: „Wird für viele ein sch…
> Iris Spranger (SPD) über Gewalt am 1. Mai, warum die Polizeiwache am
> Kotti kommt und warum Verfehlungen von Polizist*innen nur Einzelfälle
> sind.
Bild: „Es ist gut, wenn Menschen in Kreuzberg und Neukölln einfach so auf di…
taz: Frau Spranger, der jährliche Top-Termin der Innensenatorin naht: Der
1. Mai war für alle Ihrer Vorgänger eine Reifeprüfung. Nicht alle habe sie
bestanden. Sind Sie nervös oder aufgeregt vor diesem Tag?
Iris Spranger: Nein, wer mich kennt weiß: Ich bin ganz selten aufgeregt.
Aber das Mai-Wochenende ist ja nicht ohne!
Ich habe schon oft den 1. Mai miterlebt in Berlin und verfolge – als sehr
aktive Abgeordnete seit 1999 – diesen Tag und die Ereignisse bereits viele
Jahre. Ich habe mich immer an den DGB-Veranstaltungen beteiligt. Dadurch
bin ich vertraut mit dem Geschehen.
Nach der Senatssitzung am Dienstag haben Sie gesagt, Sie gehen davon aus,
[1][dass es Krawalle geben wird]. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Die wichtigste Botschaft ist: Die bei weitem überragende Mehrheit der
Menschen wird am 1. Mai einen friedlichen Tag verbringen. Ich habe
inzwischen als Innensenatorin auch schon einige Demonstrationen erlebt und
habe mir von der Polizei die Lage in den vergangenen Jahren schildern
lassen, auch vor Corona. Und daraus wird deutlich: Der 1. Mai ist eben
leider auch eine Plattform für radikale bis extremistische Proteste.
Werden Sie doch mal konkret.
Wir wissen doch, dass der 18-Uhr-Aufzug von Neukölln nach Kreuzberg meist
problematisch war. Aber wichtiger ist doch, dass die allermeisten friedlich
feiern werden und für ihre Meinungen und Positionen eintreten. Und im
Übrigen finde ich es gut, wenn Menschen in Kreuzberg und Neukölln einfach
so auf die Straße gehen, zusammenkommen, und so eine friedliche Stimmung
schaffen. Das Wetter soll gut werden, das wird für Viele ein schöner Tag.
Wie viele Veranstaltungen sind angemeldet?
Bisher 15. Aber es kann ja bis zur letzten Minute noch Anmeldungen geben.
Der 1. Mai ist ein zentraler Tag der Demonstrationen, ein Tag der
Meinungsvielfalt; das ist auch richtig und gut so. Es geht um gute Arbeit,
Mieten, Klimaschutz – viele wichtige Themen.
Am 1. Mai sollen rund 5.000 Polizist*innen im Einsatz sein – das sind
deutlich weniger als zu Hochzeiten des 1. Mai in Berlin. Steckt dahinter
eine geänderte Strategie, dass auch die Polizei abrüstet, weil der Tag eben
längst nicht mehr so gewalttätig ist wie früher?
Nein. Ich bin froh, wenn es weniger Gewalttaten gibt. Aber die Polizei wird
auf die Situation reagieren, wie es notwendig ist. Wenn es die Lage
erfordert, werden selbstverständlich viel mehr Einsatzkräfte vor Ort sein.
Es gibt noch eine andere Konfrontation, zumindest im Vorfeld. Der
[2][Bezirk Neukölln hat mehrere Straßenfeste angemeldet], die auf der Route
der 18-Uhr-Demonstration liegen. Sie haben erklärt, beide Anmeldungen – die
des Bezirks und die der Demoveranstalter*innen – seien ordnungsgemäß
und korrekt verlaufen. Und wer gewinnt nun?
Das kann ich nicht einschätzen und das habe ich auch nicht einzuschätzen.
Das macht alleine die Versammlungsbehörde der Polizei. Die Polizei führt
Kooperationsgespräche mit den Anmeldenden. Und dann wird man die Situation
einschätzen. Notfalls wird das vor Gericht geklärt – das kommt ja immer
wieder vor.
Das Demonstrationsrecht ist als kein höheres Gut?
Nein. Wenn man am Tag der Arbeit ein Straßenfest macht, dann ist das auch
eine Meinungsäußerung. Versammlungsfreiheit heißt nicht nur
Demonstrationen.
Nicht so klar sind die Regeln, was das Tragen von Mund-Nase-Schutz angeht:
Während Corona war das vorgeschrieben, inzwischen gilt es nicht mehr.
[3][Manche sehen darin jetzt eine Vermummung]. Befürworten Sie ein Verbot
dieser Masken, etwa auf der 18-Uhr-Demonstration?
Die Polizei hat dazu klar Stellung bezogen. Es gibt kein Verbot von
FFP2-Masken.
Werden Sie sich am 1. Mai von der Lage vor Ort selbst ein Bild machen?
Klar. Das fängt ja schon in der Walpurgisnacht an. Und am 1. Mai werde ich
den ganzen Tag auf verschiedensten Veranstaltungen sein, angefangen vom DGB
– das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, nicht nur als
Innensenatorin, sondern weil ich die Gewerkschaft unterstütze. Ich werde in
Neukölln sein, in Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist wichtig; ich muss die
Lage am Ende des Tages einschätzen können.
Sie waren in der vergangenen Legislatur die mietenpolitische Sprecherin der
SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Was unterscheidet die beiden
Themengebiete Wohnungspolitik und Innenpolitik?
(lacht) Der Unterschied ist: Vorher war ich Sprecherin meiner Fraktion für
dieses Thema, jetzt bin ich Senatorin. Und manche Themen überschneiden sich
ja auch.
Etwa bei der [4][Debatte um die Polizeiwache am Kottbusser Tor], die Sie
durchsetzen wollen.
Als mietenpolitische Sprecherin habe ich mir den Kotti sehr genau
angeschaut und mit den Wohnungsbaugesellschaften die Situation vor Ort
diskutiert. Ich kenne mich da also bestens aus. Und als Innensenatorin
werde ich die Polizeiwache dort jetzt einrichten. Der Standort steht. Die
Wache kommt.
Aber warum muss die Wache ins Neue Kreuzberger Zentrum?
Das kann ich Ihnen sagen: Wir haben jetzt sieben Jahre lang diskutiert –
angefangen vom damaligen CDU-Innensenator Frank Henkel –, wie eine Wache
aussehen muss und wo sie stehen sollte. Aber weder Henkel noch sein
Nachfolger Andreas Geisel (SPD) haben einen passenden Standort gefunden.
Warum nicht?
Es wurde viel geprüft, welche Anforderungen eine solche Wache erfüllen
muss: Wie groß muss sie sein, wie weit darf sie von der nächsten Direktion
entfernt sein? Welche Gewerbeobjekte gibt es, die dafür geeignet sind? Geht
es auch in Containern? Ich habe mir all die Ergebnisse dieser Diskussionen
vorlegen lassen.
Und?
Es gibt keine Möglichkeit, die Wache irgendwo anders einzurichten. Weder
unten im U-Bahnhof noch in anderen Gewerberäumen. Es sind nämlich keine
passenden frei – wir brauchen 200 bis 300 Quadratmeter – und für mich ist
ausgeschlossen, einen Mieter zu verdrängen.
Was soll die Wache kosten? Inzwischen ist ja schon von 2,5 Millionen Euro
die Rede, zehnmal mehr als ursprünglich geplant.
Wir wollen dort eine Wache hinstellen, die offen, hell und für das Publikum
transparent ist; eine Wache, die ein bundesweites Vorbild ist. Aktuell sind
wir noch in Gesprächen mit der BIM und der Wohnungsbaugesellschaft. Erst
wenn ich die genauen Zahlen weiß, werde ich mich dazu entsprechend äußern.
Aber dass sie teurer wird, als es im Haushalt ursprünglich veranschlagt
ist, habe ich schon wiederholt gesagt. Wie Sie wissen, steigen die
Baupreise gerade grundsätzlich an.
Die Wache ist das erste, was Sie anpacken; Sie wollen sie gegen alle
Kritik, selbst aus der Polizei, durchdrücken. Ist das Ihr zentrales Projekt
als Innensenatorin?
Mein zentrales Projekt ist die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner in
der Stadt. Die Kotti-Wache ist dabei einer der wichtigen Bausteine. Das
Kottbusser Tor ist ein kriminalitätsbelasteter Ort und die nächste
Direktion ist 2,5 Kilometer entfernt. Die Kritik der Gewerkschaft der
Polizei (GdP) ist mir bekannt. Ich habe mit vielen gesprochen, mit
Gewebetreibenden und Anwohnern, die froh sind, wenn die Wache endlich
kommt. Die, die da jetzt dagegen demonstrieren, wohnen meistens gar nicht
da.
Was zeichnet sozialdemokratische Innenpolitik aus?
Es geht zum Beispiel darum, Sicherheit in allen Lebenssituationen und
soziale Gruppen zu gewährleisten: Ob das Senioren sind, die an
kriminalitätsbehafteten Orten leben und Kontaktbereichsbeamte wollen oder
Kinder, die einen sicheren Weg in die Kita etwa mit besserer Beleuchtung
brauchen. Darüber hinaus muss Meinungsvielfalt in Berlin gelebt werden
können, genau dafür steht auch unser Versammlungsrecht.
Grundsätzlich könnte das ein konservativer Innensenator genauso sagen. Wo
sehen Sie Unterschiede zur Law- and Order-Fraktion?
Es gab ja schon vorher mit Andreas Geisel einen sozialdemokratischen
Innensenator. Ich setze die Politik, die er eingeleitet hat, fort.
Es gibt ja einen Bereich, da war die sozialdemokratische Innenpolitik nicht
so erfolgreich – und das ist die rechte Anschlagsserie in Neukölln. Die
Sonderermittler von Andreas Geisel haben nicht die Aufklärung gebracht, die
gewünscht wurde; jetzt [5][muss ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss ran]. Ist das nicht ein Eingeständnis des Versagens
der polizeilichen Strukturen?
Nein. Das ist Ihre Einschätzung.
Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Das kann ich nicht vorwegnehmen, weil ich in die entsprechenden Beratungen
nicht eingebunden bin. Das ist auch richtig so, weil das die ureigenste
Aufgabe des Parlaments ist. Aber selbstverständlich wird die
Innenverwaltung dazu beitragen, dass das umfangreich aufgeklärt wird.
Polizeiskandale gibt es nicht nur im Neukölln-Komplex reichlich. Wie weit
ist die Fehlerkultur innerhalb der Behörde entwickelt?
Alle KollegInnen arbeiten jeden Tag sehr aktiv für die Sicherheit der
BerlinerInnen und setzen sogar ihr Leben ein. Denken Sie an den Kollegen,
der ohne zu überlegen ins eiskalte Wasser gesprungen ist, um einen Mann zu
retten. Das heißt: Was Sie beschreiben, sind Einzelfälle. Ich bin auch
wirklich sauer darüber, dass man etwa wegen des Fehlverhaltens eines
einzigen Auszubildenden alle über einen Kamm schert. Es ärgert mich, wenn
Einzelfälle hochstilisiert werden. Da, wo es wirkliche Verfehlungen gibt,
werden die ganz klar geahndet. Grundsätzlich stehe ich hinter meiner
Polizei.
Aufgrund der Verfehlungen, die es innerhalb der Polizei gibt, hat sich
Rot-Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode dazu entschlossen, [6][einen
Polizeibeauftragten einsetzen]. Wenn man Ihnen zuhört, könnte man meinen,
dass man den gar nicht braucht.
Das ist die Entscheidung des Parlaments. Wenn das Parlament sagt, es will
einen Polizeibeauftragten haben, dann ist das für mich in Ordnung.
29 Apr 2022
## LINKS
[1] /Senat-sieht-sich-gut-vorbereitet/!5851116
[2] /Revolutionaere-1Mai-Demo-in-Berlin/!5847123
[3] /Mund-Nasen-Schutz-auf-Demos/!5845221
[4] /Streit-Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5846752
[5] /Untersuchungsausschuss-Neukoelln-Komplex/!5841800
[6] /Polizeibeauftragter-in-Berlin/!5824453
## AUTOREN
Bert Schulz
Erik Peter
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