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# taz.de -- 1. Mai in Berlin: Gut gedacht ist nicht gut gemacht
> Instrumentalisiert der Bezirk Neukölln die Interessen von Muslimen und
> Migranten, um eine Demo zu behindern? Ein Wochenkommentar.
Bild: Auf einer Black Lives Matter Demo 2016: 6 Jahre sind vergangen, das Rassi…
Gut gedacht ist nicht immer gut gemacht – wer kennt die alte Floskel
nicht?! Bei Christian Berg, Sprecher des Neuköllner Bezirksbürgermeisters
Martin Hikel (SPD), klingt es etwas anders: „Wenn man nichts macht, ist es
falsch, und wenn man etwas macht, ist es auch falsch.“
Berg bezieht sich auf Bestrebungen des Bezirks, etwas für die geflüchteten
Menschen muslimischen Glaubens zu machen, die bereits seit vielen Jahren in
Deutschland leben. Diese fühlten sich laut Berg übersehen, besonders
angesichts all der Solidarität, die den aus der Ukraine flüchtenden
Menschen – zumindest jenen mit ukrainischem Pass – derzeit widerfährt.
Der SPD-regierte Bezirk hatte am 20. April verkündet, neben drei Festen
auch zu einem großen öffentlichen Fastenbrechen am Abend des 1. Mai an der
Ecke Sonnenallee / Pannierstraße einzuladen. Eingeladen werden sollten vor
allem Menschen muslimischen Glaubens aus Neuköllner Sammelunterkünften. So
weit, so nachvollziehbar. Doch am 1. Mai findet bekanntlich noch mehr
statt.
Schnell wurde klar: Die Feste liegen [1][an zentralen Punkten der so
genannten Revolutionären 1.-Mai-Demonstration]. Diese muss nach aktuellem
Stand deshalb ihre Demo-Route verändern. Demo-Veranstalter*innen und lokale
Politiker*innen waren gleichermaßen wütend über die Vorhaben des
Bezirks, von Symbolpolitik war die Rede. [2][Eine Klage beim
Verwaltungsgericht ist noch nicht vom Tisch.]
Die juristische Frage muss an anderer Stelle geklärt werden. Und die Frage,
wie demokratisch oder undemokratisch es ist, Straßenfeste staatlich zu
organisieren und so zu legen, dass etablierte politische Demonstrationen an
politisch bedeutenden Tagen wie dem 1. Mai weichen müssen, beantwortet sich
von selbst.
## Eine antirassistische Lektion
Aber da wäre noch die antirassistische Lektion, die man aus der Woche
lernen kann. Beginnen wir bei der Aussage von Christian Berg: Ganz korrekt
ist die nämlich nicht. Man kann sehr wohl etwas richtig machen, wenn man
nichts macht. Am 1. Mai keine Straßenfeste auf potenzielle Wegpunkte
bedeutsamer Demonstrationen legen, ist so ein „richtiges nichts machen“.
Und es gibt auch ein „richtiges machen“: Wenn man als Bezirk mit
marginalisierten Gruppen über ihre Bedürfnisse spricht und sie nach Mitteln
dabei unterstützt, diese zu befriedigen. Das ist im Fall der Neukönner
Maifeste offenbar beides nicht der Fall. Wie Bezirkssprecher Berg
bestätigt, wurden die geflüchteten Menschen erst kurzfristig eingeladen.
Woher wussten Bezirksbürgermeister Hikel und sein Team, was die Menschen in
den Sammelunterkünften gerade brauchen und dass es ein großes öffentliches
Fastenbrechen auf der Sonnenallee ist? Warum wurden sie nicht in die
Planungen einbezogen?
Wenn ein weißer, privilegierter Bürgermeister mit seinem privilegierten
Team beschließt, ein Fastenbrechen für strukturell benachteiligte
Communities zu veranstalten, ohne sie zu fragen, ob sie darauf Lust haben
oder das wirklich brauchen, dann ist das ganz klar ein „falsch machen“. Und
wenn es bei diesen Menschen um migrantische Communities geht, dann ist
dieses „falsch machen“ nicht einfach so problematisch, weil es bevormundend
und paternalisitisch ist, sondern eben besonders [3][aus antirassistischer
Perspektive problematisch].
Achja, wären die Feste übrigens doch aus der Überlegung heraus entstanden,
die 18-Uhr-Demo zu verhindern, hätte das Bezirksamt tatsächlich einen
muslimischen Feiertag und eine Vielzahl von Menschen für die eigenen
politische Zwecke instrumentalisiert. Das ganze Team um
Bezirksbürgermeister Hikel müsste sich in diesem Fall ernsthaft Gedanken um
seine interkulturelle Kompetenz machen. Besonders in einem migrantisch
geprägten Bezirk wie Neukölln. Und damit auch über seine
Regierungskompetenz.
29 Apr 2022
## LINKS
[1] /Revolutionaere-1Mai-Demo-in-Berlin/!5847123
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[3] /Struktureller-Rassismus-im-Alltag/!5772120
## AUTOREN
Tobias Bachmann
## TAGS
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Antirassismus
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Wochenkommentar
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Innensenatorin Iris Spranger
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Schwerpunkt Rassismus
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