# taz.de -- Linke Buchtage in Berlin: Für Liebe unter Linken und zum Buch | |
> Am Wochenende finden wieder die linken Buchtage in Präsenz statt. Für | |
> Diskussionsstoff auf Lesungen und Podien sorgt vor allem der | |
> Ukrainekrieg. | |
Bild: Er hat’s verbrochen: Jörg Sundermeier (r.) ist einer der Initiatoren d… | |
BERLIN taz | Sie kommen in diesem Jahr gerade zur rechten Zeit, findet | |
Verleger Jörg Sundermeier vom Kreuzberger Verbrecher Verlag: die Linken | |
Buchtage Berlin. „Die Linke hat gerade ein Problem mit theoretischer | |
Selbstvergewisserung“, befindet Sundermeier und ergänzt: „Feindschaften | |
werden stärker gepflegt als begriffliche Genauigkeit. Das sorgt dafür, dass | |
Menschen, die sich viel zu sagen hätten, nicht mehr miteinander reden. Da | |
bräuchte es mehr theoretische und geschichtliche Grundierung.“ | |
Zu diesem „Mehr an Grundierung“ sollen die Linken Buchtage beitragen: Da | |
gibt es etwa eine Podiumsdiksussion zum Verhältnis der West-Linken zum | |
Krieg in der Ukraine – und natürlich viele Lesungen, unter anderem zu | |
feministischen und antirassistischen Themen, zu Antisemitismus und eben | |
auch zu linker Kritikunfähigkeit. | |
Dabei dürfen Besucher*innen durchaus Perspektivenvielfalt erwarten. | |
Tine Pfeiffer, Teil des ehrenamtlichen Orga-Teams, sagt dazu: „Gerade | |
queere Positionen sind jetzt mehr ausdiffenziert als noch vor zehn Jahren. | |
Und auch Betroffenenperspektiven sind jetzt viel sichtbarer als Sachbücher | |
von weißen Männern.“ Solche Sachbücher aus diesem Autorenspektrum seien | |
allerdings nicht per se schlecht, findet Pfeiffer, sondern sie „ergänzen | |
die Betroffenenperspektiven gut“. | |
Insgesamt finden nun von Freitag bis Sonntag in 5 verschiedenen Locations | |
auf 3 Stockwerken (barrierearm zugänglich) im gesamten Mehringhof 30 | |
Veranstaltungen statt. Darunter auch eine Comic-Austellung und das | |
Sommerfest der Monatszeitschrift Lateinamerika Nachrichten. | |
Für Kinder gibt es am Samstag und Sonntag eine eigene Leseecke. | |
Publikumsstarke Highlights dürften wohl die Lesung mit der Rapperin Sokee | |
am Freitag um 18 Uhr im Clash in der Gneisenaustraße und die am Sonntag mit | |
Aktivist*innen von Ende Gelände um 16 Uhr, ebenfalls im Clash-Club, | |
werden. Um ein so vielseitiges Programm auf die Beine zu stellen, trifft | |
sich das Orga-Team bereits seit vergangenem Oktober [1][im Mehringhof – und | |
alle, ob die kollektivistisch-anarchistische Buchhandlung Schwarze Risse, | |
eine Schule für Erwachsenenbildung] oder der Fahrradladen ziehen an einem | |
Strang. | |
## „Denen geht’s vor allem um gute Bücher“ | |
Aber die Linken Buchtage sind nicht nur für die Besucher*innen und für | |
die politische Debatte gedacht, sondern auch für die linken | |
Verleger*innen. Ihre Resonanz sei in diesem Jahr besonders groß, | |
berichtet Organisatorin Pfeiffer: „Weil die großen Buchmessen in Leipzig | |
und Frankfurt in den letzten Jahren größtenteils nicht stattgefunden haben, | |
freuen sich die Verlage besonders über Möglichkeiten, sich und ihre | |
Programme vorzustellen.“ | |
Bei den Buchtagen stellen in diesem Jahr etwa 30 kleinere, linke Verlage an | |
Marktständen aus – darunter Edtition Nautilus, Assoziation A, der Ventil | |
Verlag und viele mehr. Für Pfeiffer brauchen gerade sie „den Raum, um die | |
spannenden Sachen, die sie machen, zu präsentieren. Denen geht’s vor allem | |
um gute Bücher und weniger ums Geschäft.“ Daher das Engagement für die | |
Buchtage – „und aus Liebe“, sagt sie. | |
Auch Sundermeier, der die Buchtage vor 19 Jahren mitbegründet hat, sieht | |
das so und ergänzt: „Ein Ziel der Buchtage war es von Anfang an, [2][für | |
kleinere Verlagsprogramme Sichtbarkeit herzustellen].“ Von den vielen | |
zehntausend Büchern, die jährlich gedruckt werden, würden „nur | |
verhältnismäßig wenige öffentlich diskutiert und sichtbar“. Gerade für | |
Themen wie „Intersektionalität, innerlinke Kritik oder jüdische | |
Selbstwahrnehmung gibt es im Buchhandel nur eingeschränkte Sichtbarkeit“, | |
hat Sundermeier beobachtet. | |
2020 wurden die Linken Buchtage noch pandemiebedingt von den | |
Organisator*innen abgesagt. Im letzten Jahr gab es einige | |
Onlineveranstaltungen. Am kommenden Wochenende finden sie nun endlich | |
wieder in Präsenz statt. Ob die Publikumsresonanz so groß ist wie vor der | |
Pandemie, ist ungewiss. 2019 wurden die Linken Buchtage, über das gesamte | |
Wochenende verteilt, von mehr als 1.800 Menschen besucht. Auch ungewiss | |
ist, wie stark die Buchtage und die auf ihnen verkauften und verlesenen | |
Bücher tatsächlich in der Lage sein werden, innerlinke Grabenkämpfe | |
zumindest ein Stück weit zu schlichten oder zu entschärfen. | |
Den Versuch ist es natürlich wert, und immerhin: In früheren Jahren seien | |
die Buchtage ein Ort gewesen, an dem ein „Blumenstrauß“ linker Strömungen | |
zusammenkam, sagt Pfeiffer. „Viele, die auf der Straße miteinander in | |
Konflikt waren, standen hier nebeneinander auf dem Hof und haben Bier | |
getrunken.“ Das sei schon immer eine „Stärke der Buchtage gewesen“. Und … | |
sagt sie, „soll es auch in diesem Jahr sein“. | |
13 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Bachmann | |
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