# taz.de -- Linke und der Ukrainekrieg: Die Nato-war-schuld-Linken | |
> Einige Linke stecken noch immer in alten Denkmustern fest. Statt zu Putin | |
> auf Abstand zu gehen, beschuldigen sie weiter die USA und die Nato. | |
Bild: Es geht nicht nur um Sahra Wagenknecht: Friedenskundgebung der Linken am … | |
Umdenken ist mühsam, anstrengend, mitunter auch schmerzhaft, weil man von | |
einem Stück der eigenen Vergangenheit Abschied nehmen muss. Wenn | |
Gewissheiten, die einem über Jahre oder Jahrzehnte beim Denken Halt gegeben | |
haben, innerhalb von Tagen zerbröseln, geht das am eigenen Selbstbild nicht | |
spurlos vorbei. Warum hat man die Welt bisher nur so gesehen, wie man sie | |
sehen wollte – nicht so, wie sie ist? Wollte man sich vielleicht täuschen | |
lassen? Und trägt man deshalb eine Mitverantwortung? | |
Diese Fragen beschäftigen nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine | |
viele Menschen, über die verschiedenen politischen Lager hinweg. Schaut man | |
auf die deutsche Debatte, muss man aber feststellen: Der tiefe Einschnitt, | |
den der 24. Februar 2022 darstellt, ist bei einem gar nicht so kleinen Teil | |
der Linken noch nicht richtig angekommen. Gemeint ist jener Teil der | |
Linken, der sich all die Jahre so sicher war, dass Russlands aggressives | |
Verhalten nur als Reaktion auf die [1][Ausdehnung der Nato] erklärt werden | |
kann. Und da geht es nicht nur um Sahra Wagenknecht. | |
Beobachten lassen sich die Widerstände gegen ein Umdenken zurzeit in vielen | |
Texten und Wortmeldungen, die alle einem ähnlichen Aufbau folgen. Zu Beginn | |
verdammen sie Wladimir Putin als Aggressor, meist mit dem Satz: „Dieser | |
Angriffskrieg ist durch nichts zu entschuldigen.“ Dann folgt ein großes | |
Aber – und dieselben Textbausteine, die man schon all die Jahre verwendet | |
hat: der vermeintliche [2][Wortbruch der Nato nach der Wiedervereinigung], | |
das Vordringen des Bündnisses in „russische Einflusssphären“, der | |
Militarismus der USA und die Demütigung des stolzen Russlands. | |
Dass dabei Länder wie die Ukraine oder Georgien zu reinen Pufferzonen | |
degradiert werden, deren eigener Wille als vernachlässigbare Größe gilt und | |
denen man aus Deutschland – oft von oben herab – die Neutralität empfiehlt, | |
wird geflissentlich ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass es sich um | |
eine klassische Täter-Opfer-Umkehr handelt, wenn man die Westorientierung | |
der Ukraine nach dem Euromaidan 2014 für den russischen Überfall | |
mitverantwortlich macht. | |
Wer den Krieg in der Ukraine immer noch mit der [3][Nato-Osterweiterung] | |
erklärt, weigert sich entweder dazuzulernen – oder er hat Putin nicht | |
wirklich zugehört. Ginge es dem Diktator im Kreml tatsächlich um die Nato, | |
bräuchte er nicht die kruden historischen Phantasmagorien, mit denen er in | |
seinen Begründungen für die Invasion immer wieder hantiert: Die Ukraine sei | |
eigentlich keine echte Nation, die Bolschewiki hätten Russland ausgeraubt, | |
als sie große Gebiete der Ukraine zuschlugen, Lenin hätte vor 100 Jahren | |
einen fatalen Fehler gemacht und so weiter. | |
Für seine neo-imperialen Visionen ruft Putin die Nato noch als Gegner auf – | |
als Begründung, warum er das Nachbarland seinem Reich einverleiben will, | |
braucht er sie aber nicht. Wer kann da wirklich noch glauben, er hätte sich | |
mit einer neutralen Ukraine zufriedengegeben? | |
Hinter der Erzählung von der Nato-Osterweiterung als geopolitischer Ursünde | |
verbirgt sich sehr oft ein linker Antiamerikanismus, dem es wichtiger ist, | |
sich an die eigenen Glaubenssätze zu klammern, als die Wirklichkeit | |
angemessen zu beschreiben. Die Kurzfassung der Erzählung lautet ja: Der Ami | |
ist schuld. | |
Welche Folgen das hat, konnte man auch im Umgang mit Syrien beobachten. Auf | |
der Linken wurde ausführlich über die Rolle der USA bei der Entstehung des | |
Krieges diskutiert. Und über die Frage, wie verheerend Barack Obamas | |
Entscheidung war, beim Giftgaseinsatz erst eine rote Linie zu ziehen, das | |
Überschreiten dieser dann aber nicht zu ahnden. Als Russland 2015 aber | |
seine Bomber für Assad losschickte, herrschte in der deutschen Debatte | |
weitgehend Schweigen. | |
Zurück zur Ukraine. Mit dem Beharren auf die Nato-Osterweiterung als | |
Auslöser lässt sich ein Teil der Linken auch jetzt noch vom Kreml die | |
Talking Points vorgeben und blickt ständig zurück. Es geht aber nicht nur | |
um einen Streit darüber, wer im Nachhinein recht gehabt hat. Eine Linke, | |
die sich an überkommene Denkmuster klammert, kann zur Debatte um die | |
außenpolitischen Folgen der aktuellen Krise nichts Sinnvolles beitragen. | |
## Putins Neo-Imperialismus | |
Denn die Erklärung mit der Nato-Osterweiterung verstellt den Blick auf das | |
heutige Russland. Die Erzählung ist ja auch deshalb so bequem, weil der | |
Westen sich dann nur mit sich selbst beschäftigen muss. | |
Auch darum hat man in den vergangenen Jahren nicht genauer hingeschaut, wie | |
der Kreml die stockende wirtschaftliche Modernisierung des Landes mit einer | |
extremen Militarisierung konterte. Wie Zivilgesellschaft und unabhängigem | |
Journalismus seit dem nationalistischen Rausch der Krim-Annexion die Luft | |
abgedrückt wurde, wie Putin das staatliche Fernsehen zu einer Hassmaschine | |
umbaute und sich für seinen Neo-Imperialismus die Stichworte von dem | |
rechtsextremen Denker Alexander Dugin lieh. | |
Ein Festhalten an der Nato-ist-schuld-Erzählung behindert zum anderen aber | |
auch eine ehrliche Debatte auf der Linken über den 24. Februar – und was | |
daraus folgt. Wladimir Putin führt in der Ukraine jeden Tag vor, wie er mit | |
einem Land umgeht, das militärisch schwächer ist. Eine Linke, der daraufhin | |
nur einfällt: „Aber die Nato …“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“, | |
schließt sich selber aus dem Diskurs aus. | |
Verdammt viele Menschen in diesem Land sind gerade sehr froh, dass es die | |
Nato gibt. Weitere Länder werden jetzt in das Verteidigungsbündnis drängen. | |
Und die deutsche Aufrüstung wird kommen. Das sind Fakten, mit denen man in | |
den nächsten Jahren umgehen muss. | |
Linke Politik wird da nur einen konstruktiven Einfluss haben können – auch | |
im Sinne, dass das Militärische nicht überhandnimmt –, wenn sie sich von | |
überkommenen Denkmustern verabschiedet und sich nüchtern dieser neuen Welt | |
stellt. | |
8 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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