# taz.de -- Buchhändlerin über Instagram: „Wie ein Schaufenster nach drauß… | |
> Seit Jahren heißt es: Der Buchhandel stirbt. Maria-Christina Piwowarski | |
> erklärt, warum sie nicht daran glaubt und welche Rolle | |
> Influencer*innen-Kampagnen spielen. | |
Bild: Maria Christina Piwowasrski im Buchladen Ocelot in Berlin | |
taz: Frau Piwowarski, meine Vorstellung von der Arbeit einer | |
[1][Buchhändlerin] ist eine sehr romantische. Sie sitzt hinter der Theke, | |
vertieft in einen Roman. Ein Kunde kommt und unterbricht sie mit einer | |
kurzen Frage, woraus sich eine lebhafte Diskussion entspannt und er den | |
Laden mit fünf statt wie geplant mit einem Buch verlässt. Wie viel ist dran | |
an dieser Vorstellung? | |
Maria-Christina Piwowarski: Es kommt häufig vor, dass sich ein Gespräch | |
über die Theke entspannt, in dem man vom Hundertsten ins Tausendste kommt, | |
und der oder die Kund*in tatsächlich mit einem Stapel Bücher den Laden | |
verlässt. Aber ansonsten ist Buchhandel weniger romantisch und mehr putzen, | |
aufräumen und geraderücken. Es ist eben klassischer Einzelhandel. | |
Für das Lesen bleibt da keine Zeit? | |
Im Ocelot (Name der Buchhandlung; Anmerkung d. Red.) auf keinen Fall, auch | |
wegen des Cafés ist immer wahnsinnig viel zu tun. Um unseren Job gut zu | |
machen, müssen wir aber sehr viel lesen, aber das muss außerhalb der | |
Arbeitszeit stattfinden. Der Job erfordert ein großes Commitment, nur gerne | |
zu lesen reicht nicht aus, um die perfekte Buchhändler*in zu werden. | |
Was zeichnet denn eine perfekte Buchhändler*in aus? | |
Es ist wichtig, sich breit auszukennen. Es kommen Menschen in den Laden, | |
die haben Erfahrungen und Erwartungen, Kummer und Sehnsüchte. Und aus all | |
dem muss man als Buchhändler*in herauskristallisieren, was genau für ein | |
Buch dieser Mensch gerade braucht. Und das muss man dann so souverän | |
erklären, dass kein Zweifel daran besteht, dass man genau weiß, was man | |
tut. | |
Klingt herausfordernd. | |
Auf jeden Fall, aber es ist das Geilste auf der Welt. Wenn du erfolgreich | |
warst, gehen die Kund*innen mit drei Büchern nach Hause, die du empfohlen | |
hast, und kommen nach zwei Wochen strahlend wieder. Zehn Zentimeter größer, | |
selbstsicherer und lesebereiter. Das ist dann der Lohn für all die Mühen. | |
Hier in Berlin-Mitte sind viele Tourist*innen unterwegs. Kommen die | |
überhaupt zurück und geben Feedback? | |
Wir haben zum Glück eine große Community über Instagram. Einerseits heißt | |
das, dass viele wegen der App überhaupt zu uns kommen und unsere | |
empfohlenen Lieblingsbücher kaufen. Aber auch, dass sie hinterher Feedback | |
geben. Doch nicht nur Touristen, auch Stammkunden schicken Fotos und | |
Kurzkommentare zu den Büchern, die sie hier gekauft haben. | |
Braucht man heute als Buchhandlung Instagram, um zu überleben? | |
Die Frage ist für mich nicht, ob man Instagram braucht, sondern warum man | |
etwas nicht nutzen sollte, was so gut funktioniert. Es hält eine Community | |
zusammen, die literarisch interessiert ist. Wenn man es schafft, seinen | |
eigenen Ton und einen Wiedererkennungswert zu schaffen, dann ist ein | |
Instagram-Account wie ein Schaufenster nach draußen. Warum sollte man das | |
nicht nutzen? Klar muss man sich überlegen, wie viel Persönliches man | |
teilen möchte. Aber alle, die ich überzeugt habe, sich dort anzumelden, | |
sind begeistert. Denn die Buch-Community ist wahnsinnig sympathisch und es | |
macht einfach Spaß sich mit den superbibliophilen Menschen auszutauschen. | |
Instagram kostet aber auch viel Zeit. Bei mir ist es jeden Abend ein | |
kleiner Wettkampf: Gewinnt das Handy oder das Buch? | |
Wenn man viel lesen möchte, braucht es Disziplin. Und das heißt: Man geht | |
erst zu Instagram, wenn das Lesepensum erreicht ist. Und da darf dann auch | |
nichts dazwischenkommen. Mein Tipp ist: Das Lesen an den Anfang der | |
Freizeitbeschäftigung setzen. | |
Wann haben Sie Ihr Lesepensum erreicht? | |
Mein Minimum sind 50 Seiten pro Tag. Mehr kann es natürlich immer sein. Das | |
klingt jetzt hart, aber ein Buch kommt nicht einfach angeflogen, setzt sich | |
in deinen Schoß, entblättert sich und sagt: Hier ist meine Geschichte. | |
Lesen musst du aktiv wollen, du musst dir Zeit nehmen und alle anderen | |
Ablenkungen ausschalten. | |
Vor ein paar Monaten sind Sie zum ersten Mal mit dem Aufbau-Verlag eine | |
Kooperation eingegangen, um die Kopenhagen-Trilogie der dänischen Autorin | |
Tove Ditlevsen in Deutschland auf Instagram zu vermarkten. Wie kam es dazu? | |
In den 1980ern sind schon einmal Bücher von Ditlevsen in deutscher | |
Übersetzung erschienen, die waren allerdings ein Flop. Im Zuge der | |
Wiederentdeckung der dänischen Autorin in anderen europäischen Ländern | |
wollte die Lektorin Friederike Schilbach es auch in Deutschland noch einmal | |
probieren und konnte dafür die Übersetzerin Ursel Allenstein gewinnen. Ein | |
match made in heaven. Friederike und ich kennen uns schon länger aus dem | |
Berliner Literaturbetrieb. Weil ich schon einen privaten Instagramkanal mit | |
einer gewissen Reichweite hatte, hat sie mich gefragt, ob ich mir | |
vorstellen könnte, die Veröffentlichung der Tove-Bücher auf Instagram zu | |
begleiten. | |
Hatten Sie Bedenken, sich als Buchhändlerin dafür bezahlen zu lassen, | |
Bücher zu bewerben? | |
Für mich geht es nicht um die Bewerbung einer Sache, sondern darum, | |
Hintergründe und Inhalte zu liefern – also eine Community durch die | |
Trilogie zu führen. Tove Ditlevsen ist seit Jahrzehnten tot. Sie kann nicht | |
mehr für sich selbst sprechen oder auf Lesereise gehen, das muss der Verlag | |
übernehmen. In der Mode- oder Beautybranche ist es total verbreitet, dass | |
Menschen mit ihrem Gesicht, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Reichweite für | |
Dinge stehen. Im Buchmarkt ist das noch relativ unverbreitet, doch das | |
ändert sich gerade. Die Aktion #ToveLesen ist da ein Wendepunkt. Ich habe | |
mich gefragt, ob ich Teil dieses Wendepunktes sein will, und mich dann ganz | |
deutlich dafür entschieden. Für diese Autorin, die ein so großartiges Werk | |
hinterlassen hat, das die Literaturkritik verkannt hat. Aber auch für die | |
Übersetzerin und die Lektorin, die etwas riskiert haben für diesen Text. | |
War die Aktion ein Erfolg? | |
Ich weiß nicht, wie viele Bücher verkauft wurden, das kann nur der Verlag | |
sagen. Für mich ist es ein Erfolg zu sehen, was sich da alles unter dem | |
Hashtag #ToveLesen versammelt hat. Wie viele Menschen Ditlevsen gelesen | |
haben, nachhaltig bewegt sind durch ihre Literatur und sie nun als | |
Lieblingsautorin bezeichnen. Das ist das, woran sich für mich Erfolg misst. | |
Es geht mir nicht darum, irgendwelche Bücher auf Instagram zu feiern und | |
dann im nächsten Monat das nächste Buch. So eine Riesenaktion, das kannst | |
du nur machen, wenn du wirklich verliebt bist in einen Text. | |
Nach einem Lese-Hype in der Coronazeit erlebt die Buchbranche gerade einen | |
Einbruch. Kommt das auch beim Ocelot an? | |
Ich bin ganz vorsichtig mit dem Wort Einbruch. Seit Jahrzehnten schon wird | |
gesagt, dass der Buchhandel stirbt. Doch aktuell bricht nichts ein. Alle | |
Buchhandlungen haben in den letzten Jahren wahnsinnig Umsatz gemacht, weil | |
das Lesen wiederentdeckt wurde. Die Umsätze waren jenseits von allen | |
Hoffnungen. Die Umsätze sind nun im Schnitt um 15 Prozent gesunken und auf | |
ein normales Level zurückgekommen. Ich mache mir also keine Sorgen. | |
Wir sind nun mitten in der Vorweihnachtszeit, die wohl geschäftigste Zeit | |
für den Buchhandel. Ist es die schönste oder schlimmste Zeit des Jahres? | |
Es ist die intensivste und die schönste. Wir bereiten uns gut darauf vor | |
und dann kannst du alles rauslassen, was du das ganze Jahr über gelesen | |
hast. Jedes Buch anbringen, selbst was du im Januar gelesen hast, ist im | |
Dezember noch komplett da. Die Menschen kommen halbverzweifelt in den Laden | |
und du hast eine gute Idee, überzeugst sie und packst es am Ende noch | |
wunderschön ein und die Kunden sind völlig baff. Das sind einfach herrliche | |
Momente. | |
Gibt es ein Buch, das Sie diese Saison besonders häufig empfehlen werden? | |
Neulich kam eine Frau in den Laden und meinte, sie hätte gerne das beste | |
Buch in diesem Jahr. Darauf gibt es für mich nur eine Antwort: „Rot | |
(Hunger)“ von Senthuran Varatharajah. Ansonsten empfehle ich gerade gerne | |
„Die Arbeit der Vögel“ von Marica Bodrožić. | |
13 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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