| # taz.de -- Struktureller Rassismus im Alltag: Was läuft falsch in Deutschland? | |
| > Der Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner wurde in seiner Schule für | |
| > einen Einbrecher gehalten und verhaftet. Ein Gastbeitrag zum Thema | |
| > Rassismus. | |
| Bild: Keine Lust auf weiße Überheblichkeit: Demonstration gegen Rassismus im … | |
| Mein Name ist Philip Oprong Spenner. Bis zu meinem 20. Lebensjahr lebte ich | |
| in Ostafrika, unter anderem als Straßenkind. Heute bin ich Familienvater | |
| dreier Kinder und Lehrer an einer Schule in Hamburg. Ich bin zudem | |
| Buchautor sowie Gründer und Vorsitzender eines Vereins, der benachteiligten | |
| Kindern in Kenia kostenlose Bildung ermöglicht. | |
| Am 22. November 2020 wurde ich als Lehrer an meinem Arbeitsplatz von | |
| mindestens zehn Polizisten, teils mit gezogener Waffe, quasi überfallen. | |
| Die Beamten waren angerufen worden: Eine „schwarz maskierte Person“ bewege | |
| sich verdächtig im Schulgebäude. Dass die Polizei, im Ansatz rassistisch | |
| motiviert, so reagiert hat, lenkt meiner Meinung nach ab von dem | |
| eigentlichen strukturellen Problem. Für mich bleibt diese größere Frage: | |
| Hätte der Polizeieinsatz überhaupt stattgefunden, wenn meine Haut weiß | |
| wäre? | |
| Noch heute ist im Polizeibericht die Rede von einer „schwarz maskierten | |
| Person“. Ich habe an jenem Abend aber keine Form von Maske getragen. Es | |
| scheint also, als wäre meine schwarze Hautfarbe wahrgenommen worden wie die | |
| Maske eines typischen Einbrechers. | |
| Rassismus bleibt Rassismus, ob mit oder ohne Absicht. Aber was läuft derart | |
| falsch in unserer Gesellschaft, dass solche Anrufe und andere | |
| Ungerechtigkeiten – nicht nur in meinem Fall – immer wieder stattfinden? | |
| Mir geht es weniger um den Anruf an sich. Ohne Frage wollte die junge | |
| Anruferin Zivilcourage zeigen. Es geht mir um die Reaktion auf eine | |
| Beobachtung, die zu diesem Anruf geführt hat; und darum, was diese Reaktion | |
| verursacht hat. | |
| ## Eurozentristische Überheblichkeit | |
| Das Strukturelle daran ist die eurozentrische Überheblichkeit, auf der die | |
| meisten Begegnungen mit anderen Kulturen basieren und das seit Jahrzehnten. | |
| Also eine Form der Voreingenommenheit, wonach die eigene Kultur und das | |
| „Weiß-Sein“ anderen Kulturen oder Gesellschaften überlegen seien; und die | |
| Überzeugung, dass diese eigene, weiße Kultur unschuldig sei. Nicht nur die | |
| historische Sklaverei, auch der Kolonialismus bis ins 20. Jahrhundert und | |
| der heutige Neokolonialismus basieren auf dieser Sicht. Unsere Medien, | |
| unsere Literatur, auch unsere Schulbücher tragen das Ihre dazu bei. | |
| Ich bin bis zu meinem 20. Lebensjahr unter schwierigen Bedingungen in | |
| Afrika aufgewachsen. Man muss nur zurückblicken in die Vergangenheit dieses | |
| wunderbaren Kontinents: Die Befreiungs- und Unabhängigkeitskämpfe nach | |
| jahrelanger Unterdrückung durch die Kolonialherren waren nur möglich durch | |
| die vorherige einmalige Begegnung auf Augenhöhe. Eine Begegnung, wie wir | |
| sie heute mehr denn je brauchen, um die zerstörerische eurozentrische | |
| Überheblichkeit zu überwinden. | |
| Denn nachdem die Kolonialherren die sogenannte Rassentrennung untermauert | |
| hatten, stand ihnen plötzlich ein Weltkrieg bevor, in dem alle Kräfte nötig | |
| waren, um gegen den jeweiligen Feind anzutreten – beispielsweise Briten in | |
| Kenia gegen Deutsche in Tansania. Hier nun kämpften Weiß und Schwarz, | |
| Kolonialherr und Unterdrückte plötzlich Seite an Seite. Die lange | |
| bestehende Hierarchie spielte keine – oder keine so große – Rolle mehr. | |
| Zurück in den Kolonien war dann den Unterdrückten ein Licht aufgegangen: | |
| Die Mythen um die Überlegenheit und Unverwundbarkeit ihrer Kolonialherren | |
| stimmten nicht. Im Krieg starben und litten die Unterdrücker genauso wie | |
| die Unterdrückten. Sie waren nicht besser, wenn es darum ging Tapferkeit zu | |
| zeigen. Und das Blut unter ihrer weißen Haut war genauso rot. Wir wissen | |
| heute, dass diese Aufklärung der Unterdrückten eine sehr wichtige Rolle bei | |
| den späteren Unabhängigkeitskämpfen gespielt hat. | |
| Wie ist das übertragbar hier und heute? Wenn mir ein weißer Kamerad im | |
| Gospelchor nach Jahren gemeinsamen Singens berichtet, dass er jetzt weiß, | |
| dass ich eigentlich als Schwarzer gar nicht so gefährlich bin, wie er | |
| dachte, dann hat unsere Begegnung und Zusammenarbeit seine Vorurteile | |
| abgebaut. Wir brauchen mehr solcher Begegnung auf gleicher Ebene – zwischen | |
| den Kulturen, den Gesellschaftsschichten, den Hautfarben, den Generationen, | |
| den Religionen; wir brauchen sie, um unser Unwissen und unsere Vorurteile | |
| über die jeweils anderen abbauen zu können. | |
| Geht es nicht persönlich, dann kann diese Begegnung auch aus der Ferne | |
| stattfinden: durch Literatur, durch vorurteilsfreies Lesen. Unser Urteil | |
| besteht aus der Summe unserer Erfahrung, diese Erfahrung müssen wir | |
| dringend erweitern, um Rassismus effektiv zu bekämpfen. | |
| Was können wir persönlich – und was kann die Politik tun, damit mehr von | |
| diesen für unsere Gesellschaft unabdingbaren Begegnungen stattfinden? Was | |
| kann getan werden für weniger sogenannte Ghettoisierung in privilegierte | |
| und nicht privilegierte Stadtteile und stattdessen mehr Annäherung und | |
| Begegnung auf Augenhöhe? Wir verfangen uns zu oft in der | |
| Opfer-Täter-Perspektive, wenn es um Rassismus geht. Wir bleiben dabei gerne | |
| auf der Empörungsebene. Aber dadurch kommen selten konstruktive und | |
| produktive Lösungen zustande. | |
| ## Leugnung oder Gleichgültigkeit | |
| Wenn ich „den Weißen“ immer nur an dem messe, was seine Vorfahren getan | |
| haben – oder was gesellschaftliche Strukturen hervorrufen –, ohne | |
| Lösungsmöglichkeiten oder zumindest eine Annäherung anzubieten, dann führt | |
| dies bei meinem Gegenüber entweder zu einer rein defensiven und leugnenden | |
| Haltung oder zur emotionalen Narbe der Gleichgültigkeit. (Ganz abgesehen | |
| davon, dass dieser Vorwurf ebenfalls nicht verallgemeinert auf alle | |
| „Weißen“ übertragen werden darf.) Beides – die Leugnung und die | |
| Gleichgültigkeit – aber ist fatal für die Bewältigung des Rassismus | |
| weltweit. | |
| Ja, es ist wichtig, dass wir die schlimme und ungerechte Vergangenheit und | |
| Gegenwart berücksichtigen. Noch wichtiger wird es aber, die richtigen | |
| Lektionen daraus zu ziehen, damit das Schlimme und die Ungerechtigkeit | |
| nicht fortbestehen. | |
| Wir so genannt „schwarze“ Menschen oder Persons of Colour, POCs, wollen | |
| nicht anders behandelt werden sondern gleich, am besten ohne bewusste oder | |
| unbewusste eurozentrische, „weiße“ Überheblichkeit. Äußerliche Merkmale | |
| dürfen nicht bestimmen, wie wir behandelt werden – weder in die eine noch | |
| in die andere Richtung. | |
| 22 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Philip Oprong Spenner | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Hamburg | |
| Eurozentrismus | |
| Kolonialismus | |
| Anti-Rassismus | |
| Schwerpunkt 1. Mai in Berlin | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 1. Mai in Berlin: Gut gedacht ist nicht gut gemacht | |
| Instrumentalisiert der Bezirk Neukölln die Interessen von Muslimen und | |
| Migranten, um eine Demo zu behindern? Ein Wochenkommentar. | |
| „Exotische Abende“ im Zoo Leipzig: Das schwere Erbe des Kolonialismus | |
| Im Zoo Leipzig wurden einst Schwarze in „Völkerschauen“ ausgestellt. | |
| Initiativen kritisieren, der Zoo halte an rassistischen Praktiken fest. | |
| Abituraufgabe zu rassistischem Text: Schlechte Wortwahl | |
| In einer Prüfungsaufgabe des Deutsch-Fachabiturs wurde rassistische Sprache | |
| verwendet. Eine Schwarze Schülerin kritisiert das, die Schule blockt ab. | |
| Natasha A. Kelly über Rassismus: „Uns vereint das Deutschsein“ | |
| Natasha A. Kelly spricht über die vorherrschende Vorstellung, dass Deutsche | |
| weiß sein müssten und die Auseinandersetzung mit Schwarzer Geschichte. | |
| Literatur und Identität: Schreiben braucht Solidarität | |
| Nicht nur die Debatte um die Übersetzung von Amanda Gormans Lyrik verirrt | |
| sich in der Falle des Essenzialismus. Kulturelle Identitäten sind komplex. | |
| Lehrer über Rassismuserfahrungen: „Mit gezogener Waffe“ | |
| Der Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner wurde für einen Einbrecher in | |
| seiner Schule gehalten. Rassismus durch die Polizei erlebt er öfter. |