Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lehrer über Rassismuserfahrungen: „Mit gezogener Waffe“
> Der Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner wurde für einen Einbrecher in
> seiner Schule gehalten. Rassismus durch die Polizei erlebt er öfter.
Bild: Hat selbst als Straßenkind in Kenia gelebt: Philip Oprong Spenner
taz: Herr Spenner, Sie standen in der Schule, in der Sie unterrichten,
plötzlich Polizist:innen mit gezogener Waffe gegenüber. Was haben Sie
da gedacht?
Philip Oprong Spenner: Es war Sonntag, außer mir war niemand im Gebäude.
Plötzlich habe ich mindestens acht Polizisten im hektischen Lauftempo
draußen gesehen. Ich habe das Fenster aufgemacht, bin ruhig geblieben und
habe freundlich meine Hilfe angeboten. Ich wusste ja nicht, dass ich das
Ziel ihrer Suche war. Mindestens drei von ihnen sind mit gezogener Waffe
reingesprungen.
Eine 14-Jährige hatte einen „schwarz maskierten Mann“ im Schulgebäude
gemeldet, erklärte die Polizei den Einsatz.
Mir wurde gesagt, ein schwarzer Mann wäre in die Schule eingebrochen. Auch
wenn es jetzt heißt, dass ein schwarz maskierter Mann gemeldet wurde, macht
es das nicht besser. Ich hatte keine Maske auf. Das suggeriert mir, dass
meine Hautfarbe als Maske und als Gefahr betrachtet wird. Ich habe erklärt,
dass ich einen Schlüssel habe und Lehrer bin. Ich hatte Glück, dass ich in
diesem Fall ruhig bleiben konnte.
Wie sind die Polizist:innen mit Ihnen umgegangen?
Sie haben mir viele Fragen in einem harschen Ton gestellt. Zum Beispiel,
wie der Hausmeister oder die Schulleitung heißt. Ich wurde auch gefragt,
wie lange ich schon hier in Deutschland bin und woher ich komme. Im
Polizeibericht stand hinterher, der Polizist hätte selbst
Migrationshintergrund gehabt und mich nur aus Interesse gefragt. Das ist
lächerlich. Auch sonst wurden Tatsachen verdreht und verharmlost.
Sind die Polizist:innen gegangen, nachdem Sie sich ausweisen konnten?
Es hat lange gedauert, mehr als 30 Minuten. Bis zum letzten Moment haben
sie geglaubt, ich würde sie veräppeln. Auch danach standen sie um das
Gebäude rum. Ich hatte das Gefühl, meine Bewegungen werden genau
beobachtet. Ich bin meiner Arbeit einfach weiter nachgegangen. Als ich 15
Minuten später rausgegangen bin, stand immer noch ein Polizist am Eingang.
Im Polizeibericht steht, es sei aus Höflichkeit gewesen: Um mir die Tür
aufzumachen. Diese Verharmlosung finde ich schwierig.
Hatten Sie in dem Moment das Gefühl, rassistisch diskriminiert zu werden?
Nicht mal 30 Minuten vor mir war eine Kollegin in der Schule. Da hat
niemand angerufen. Ich wusste, dass dieser Einsatz nicht so stattgefunden
hätte, wenn ich weiß wäre. In dem Moment, wo meine Haut als Maske
betrachtet wird und Grund für einen Notruf ist, ist es Rassismus.
Sie haben sich im Nachhinein bei der Antidiskriminierungsstelle der Polizei
beschwert. Welche Reaktion haben Sie erhalten?
Zunächst keine. Erst als ich den Vorfall öffentlich gemacht habe, bekam ich
plötzlich viele Anrufe. Sie waren sehr um Schadensbegrenzung bemüht. Sie
haben sich entschuldigt und wir sind weiterhin im positiven Gespräch. Aber
wenn ich sehe, wie verharmlosend dieser Polizeibericht geschrieben wurde,
dann wurde daraus nicht gelernt.
Welchen Umgang wünschen Sie sich?
Mir wurde angeboten, in einem Ethikseminar in der Polizeiausbildung einen
Vortrag zu halten. Das ist gut, denn mir geht es darum, dass wir nicht in
dieser Opfer-Täter-Sicht verharren, sondern das Thema versachlichen.
Rassismus wird zu oft verschwiegen. Mir kann egal sein, ob es eine
PR-Aktion der Polizei ist, solange es dem Ziel dient, dass die Leute, die
alltäglich so was erleben, in Zukunft besser behandelt werden. Der Schutz
von Minderheiten hängt von der Solidarität der Mehrheitsgesellschaft ab.
Und dieser Schutz hängt umso mehr an der Unterstützung von Institutionen,
wie die der Polizei. Schwarze Menschen wollen nicht besonders behandelt
werden, sondern gleich.
Haben Sie vor diesem Tag im November schon negative Erfahrungen mit der
Polizei gemacht?
Ja, schon oft. Man gewöhnt sich fast daran. Mir wurde 2017 die Goldene
Taube für Menschenrechte verliehen. Zur Weitergabe des Preises war ich beim
Bürgermeister eingeladen. Ausgerechnet auf dem Weg dahin wurde ich von
einem Polizisten angehalten. Mein Auto wurde durchsucht, sogar den
Kindersitz musste ich ausbauen. Der Polizist sagte zu mir: „Ich hoffe, Sie
können verstehen, dass bei jemandem, der so aussieht wie Sie, ein hoher
Verdacht besteht.“
Auch als Kind machten Sie schmerzhafte Erfahrungen mit der Polizei –
allerdings in Kenia. Lässt sich das vergleichen?
In der Vergangenheit bin ich in noch schlimmere Situationen gekommen. Als
Straßenkind war ich die Schande der Gesellschaft. Polizisten waren korrupt
und daher verhasst. Sie konnten ihr Image aufpolieren, indem sie uns
Straßenkinder fingen und auf uns einprügelten. Insofern war der Vorfall in
der Schule Peanuts, wenn ich das so sagen darf.
Wie kam es dazu, dass Sie auf der Straße leben mussten?
Ich verlor mit eineinhalb Jahren meine beiden Eltern. Ich lebte bei meiner
Tante und war für sie ein zusätzliches Maul zum Stopfen. Ich war der
einzige Mann im Haushalt und musste arbeiten und für ihre kleineren Kinder
sorgen.
Waren Sie nicht selbst noch ein kleines Kind?
Ja, ich musste schnell erwachsen werden. Meine Tante war sehr hart zu mir.
Sie war sehr arm. Ich habe Glück gehabt, dass ich durch all dies nicht
traumatisiert wurde.
Wie haben Sie das geschafft?
Meine Tante hat mir beigebracht zu lesen. Das erste Buch, was ich las, war
die Bibel. Es war das einzige Buch, was wir hatten. All die Geschichten
darin zeigten Hoffnung in vermeintlich hoffnungslosen Situationen. Das gab
mir Kraft. Außerdem kratzte meine Tante genug Geld zusammen, um mir den
Schulbesuch zu ermöglichen. Die Schule war mein Fluchtort, mein einziger
Lichtblick, aus dem ich Selbstbewusstsein schöpfte.
Als Sie neun Jahre alt waren, setzte Ihre Tante Sie jedoch in Nairobi aus,
weil sie Sie nicht mehr versorgen konnte. Wie überlebten Sie auf der
Straße?
Durch meinen Glauben konnte ich einen inneren moralischen Kompass
entwickeln, sodass ich nicht völlig in Drogen und Alkohol abrutschte – so
wie es viele meiner Freunde taten. Und ich hielt an dem Traum fest, dass
ich irgendwann wieder zurück zur Schule kann. Doch es war sehr hart. Wir
Kinder mussten klauen, schmuggeln, betteln und Kinderarbeit verrichten.
Schließlich wurde ich von der Polizei festgenommen.
Sie wurden in ein Waisenhaus gesteckt. Wurde Ihre Situation dadurch besser?
Um Gottes Willen, nein. Ich wurde wie ein Spielball durch verschiedene
Waisenhäuser geschickt, weil mich niemand haben wollte. Ich habe Wurzeln in
Uganda und war in Kenia daher nie willkommen. Ich versuchte, mich
anzupassen, verleugnete meine Sprache und meinen Namen. Die anderen Kinder
durften zur Schule gehen, aber ich nicht. Psychisch gesehen war die Zeit in
den Heimen viel schlimmer als auf der Straße.
Wie kam es dazu, dass Sie dann doch in die Schule gehen durften?
Eine irische Studentin machte ihr freiwilliges soziales Jahr in meinem
Kinderheim. Sie setzte sich für mich ein. Ich musste einiges aufholen, aber
ich lernte sehr schnell. Dadurch zeigte sich mein Potenzial.
Dann übernahm ein Hamburger Arzt eine Patenschaft für Sie, um Ihre
Schulbildung weiter zu bezahlen.
Ja, er bezahlte meine weiterführende Schule und mein Jura-Studium, was ich
in Kenia begann. Über die Jahre entwickelte es sich zu einer
Vater-Sohn-Beziehung. Als ich 20 war, konnte er mich schließlich adoptieren
und ich bin nach Hamburg gekommen. Das ging rechtlich erst, als ich
erwachsen war, weil er schwul ist und in einer Lebensgemeinschaft mit einem
Mann lebte.
Sie haben sich bereits in Kenia oft fremd gefühlt. Wie war es dann, als Sie
nach Deutschland kamen?
Die Erfahrung ging weiter. Alles war neu, ich kannte die Sprache nicht. Im
Flieger war ich der einzige Schwarze. Bei der Ankunft wurde ich bis auf die
Unterhose durchsucht. Ich habe es hingenommen, weil ich dachte, dass man so
mit einem Ausländer umgeht. Aber das Schlimmste ist, bis heute chronisch
unterschätzt zu werden. Sich ständig rechtfertigen zu müssen, die Erfahrung
zu machen, dass du anders bist. Zwanzig Jahre später muss ich immer noch
damit kämpfen.
Wie gehen Sie damit um?
Ich betrachte mich nicht in der Opfer-Perspektive, sondern schaue, welche
Werkzeuge und Möglichkeiten ich habe, um mir selbst zu helfen. Zu wissen,
was meine Fähigkeiten sind und Vertrauen darin zu haben.
Mit welchem Ziel haben Sie 2007 den Verein Kanduyi Children e. V.
gegründet?
Anfangs haben wir das Kinderheim unterstützt, in dem ich selbst gelebt
habe. Wir konnten nachhaltig erreichen, dass die Einrichtung nicht mehr auf
uns angewiesen ist. 2013 haben wir direkt in Kenia eine Stiftung gegründet,
mit dem Ziel, weiterführende Schulbildung kostenlos zu ermöglichen. Bis zu
60 Prozent der Schüler in Kenia können sich das nicht leisten. Wir
fördern die Kinder nicht nur finanziell, sondern unterstützen sie auch bei
Sorgen und sind Ansprechpartner für sie.
Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie nach Kenia reisen und die Kinder
treffen?
Für mich ist es ein Glücksmoment. Ich nehme dann erst wahr, wie unglaublich
meine Geschichte ist. Ich gewinne mehr an Glauben und es erdet mich. Es
bringt mich auf den Boden der Tatsachen, weil ich auch eins dieser Kinder
war.
Die Schule hat Sie stark geprägt. Wollten Sie deswegen Lehrer werden?
Das Lehrer-Sein ist fast wie eine Berufung für mich. Es ging mir darum, das
weiterzugeben, was ich erlebt habe. Zu zeigen, was man durch Bildung
erreichen kann. Für mich ist Bildung die nachhaltigste Form der Hilfe zur
Selbsthilfe.
Als Sie 2009 Lehrer wurden, gab es das Gerücht, dass Sie der erste Schwarze
Lehrer in ganz Norddeutschland seien.
Ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt, aber auch heute gibt es kaum
Schwarze Lehrer und wenige mit Migrationshintergrund. Aber an den Schulen
kommen teilweise bis zu 80 Prozent der Schüler aus Einwandererfamilien. Ich
glaube, dass man mehr Lehrer braucht, die sich in die Lebenswelt ihrer
Schüler besser hineinversetzen können. Dadurch entwickeln Schüler mehr
Vertrauen, weil sie das Gefühl haben, verstanden zu werden. Und ich kann
auch als Vorbild dienen. Es gibt nicht nur Putzkräfte oder Türsteher, die
so aussehen wie sie. Das gibt Mut, dass auch sie es schaffen können.
Welche Reaktionen haben Sie von Seiten Ihrer Kolleg:innen und
Schüler:innen zu dem Einsatz der Polizei erhalten?
Von der Schülerschaft gab es viel Solidarität und Anteilnahme. Von engen
Kollegen auch, aber der eine oder andere vermeidet es lieber, etwas zu
sagen, aus Angst davor, dass es womöglich nicht das Richtige ist. Und das
ist die breite Mehrheit, die sich solidarisieren könnte, sich aber zu wenig
äußert. Das Glück aller, die in diesem Land leben, hängt von der
Anerkennung ab, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Das ist
unser Wohlstand. Wenn alle gleich berücksichtigt werden, können wir alle
profitieren – egal ob weiß oder Schwarz.
22 Feb 2021
## AUTOREN
Sarah Zaheer
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Polizeigewalt
Polizei Hamburg
Hamburg
Bildung
Kenia
Straßenkinder
IG
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Polizei Hamburg
Schwerpunkt Coronavirus
Diversität
Polizei Berlin
Skateboard
## ARTIKEL ZUM THEMA
Solidarität mit Polizeiopfer: Rechtsstaatlichkeit kostet
Die taz berichtete über einen Fall von Polizeigewalt gegen einen Schwarzen
Altenpfleger. Daraufhin gab es viel Solidarität und Geld für einen Anwalt.
Struktureller Rassismus im Alltag: Was läuft falsch in Deutschland?
Der Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner wurde in seiner Schule für einen
Einbrecher gehalten und verhaftet. Ein Gastbeitrag zum Thema Rassismus.
Hamburger Polizei verfolgt Jugendlichen: Wie im Actionfilm
Die Polizei reagiert immer dünnhäutiger auf Verstöße gegen die
Maskenpflicht. Sie rast einem Jugendlichen hinterher und setzt Hubschrauber
ein.
Schulöffnungen in der Pandemie: Wettlauf gegen die dritte Welle
Fast überall in Deutschland sind seit dieser Woche Kitas und Grundschulen
offen. Kann das gut gehen?
Bildungsaktivistin über Diversität: „Ich möchte meinen Teil beitragen“
Gloria Boateng wünscht sich eine Gesellschaft, an der alle partizipieren.
Für ihre Arbeit beim Verein SchlauFox ist sie mehrfach ausgezeichnet
worden.
Berlins Polizeisprecher über Rassimus: „Wir nehmen keine Hautfarbe fest“
Thilo Cablitz weiß, dass es auch bei der Polizei Rassismus gibt. Aber das
sei keinesfalls die Regel, sagt der Chef der Pressestelle der Polizei
Berlin.
Kamerafrau über Migration: „Mein Vater wäre sehr stolz“
Kamerafrau Zamarin Wahdat hat für ihren Film einen Oscar bekommen. Ein
Gespräch über die Rückkehr nach Afghanistan, Skaten und Rassismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.