# taz.de -- „Exotische Abende“ im Zoo Leipzig: Das schwere Erbe des Kolonia… | |
> Im Zoo Leipzig wurden einst Schwarze in „Völkerschauen“ ausgestellt. | |
> Initiativen kritisieren, der Zoo halte an rassistischen Praktiken fest. | |
Bild: Der Zoo Leipzig ist beliebt – stellt er sich auch seiner kolonialistisc… | |
LEIPZIG taz | Es sind rund 150 Personen, die sich Ende Februar vor dem | |
Leipziger Zoo versammeln. Es ist kalt, Regen prasselt auf die | |
Protestierenden und ihre Banner, hinter ihnen ragen die vergitterten Tore | |
des Zoos empor. „Dafür solltet ihr euch schämen“, ruft eine Sprecherin der | |
Kundgebung, die anlässlich des Black History Month stattfindet. Gemeint ist | |
die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Zoos. | |
„Es ist grotesk, dass sich der Zoo Leipzig noch immer kolonialer Sprache | |
und Stereotypen bedient und seine Verbindung zum Kolonialismus immer noch | |
verneint“, schallt es aus den Boxen, die neben dem Ernst-Pinkert-Haus | |
aufgestellt wurden. Eine kleine Plakette erinnert an den Gründer des Zoos, | |
der dort mit seiner Familie wohnte. Dass Ernst Pinkert im Zoo auch Menschen | |
zur Schau stellte, steht da nicht. | |
In den Jahren 1876 bis 1931 fanden im Leipziger Zoo 42 sogenannte | |
Völkerschauen statt, bei denen mehr als 750 Schwarze Menschen und Menschen | |
of Color (BIPoC) zur Schau gestellt und ausgebeutet wurden. | |
Der [1][Zoo] weist den Vorwurf der fehlenden Aufarbeitung von sich. Auf | |
Anfrage teilt er mit, dass Menschenschauen aus heutiger Sicht ohne Frage | |
abzulehnen seien, kulturelle Einrichtungen aber „im Spiegel ihrer Zeit“ | |
stünden: Damals seien die Bewertungsmaßstäbe andere gewesen. | |
Lamin Touré hat da Zweifel. Der Musiker und Musikpädagoge aus Guinea, der | |
eigentlich anders heißt, beteiligte sich im Februar ebenfalls an der | |
Kundgebung vor dem Zoo. Als er vor drei Jahren nach Leipzig kam, | |
vermittelte ihm ein Freund einen Auftritt im Zoo. | |
Touré spielt bei der Abendveranstaltung „Hakuna Matata“, die der Zoo auf | |
seiner Webseite als „exotischen Streifzug durch die Savanne Afrikas“ | |
bezeichnet. Das Publikum erlebe dort, oder beim „Grillabenteuer im | |
Urwalddorf“, eine „Dschungelatmosphäre“. Das Essen, pauschal als | |
„afrikanische Küche“, bezeichnet, liefert der Konzern Marché Mövenpick. | |
Die ausschließlich Schwarzen Künstler*innen stehen an diesen Abenden | |
einem weißen Publikum gegenüber, das über 100 Euro für eine Karte zahlt. | |
Lamin Touré musste sich vor der Show im Keller umziehen und dort essen. | |
„Das ist respektlos und diskriminierend“, sagt der Musiker, seine Stimme | |
bebt. | |
Und immer wieder muss Touré auf seine Gage warten, bekam mal 50 Euro, mal | |
80 Euro für drei bis fünf Stunden Arbeit, die er bei einem Manager der | |
Musiker*innen in dessen Wohnung abholen musste. Wer für die | |
unregelmäßige Bezahlung verantwortlich ist – Zoo oder Manager – ist unkla… | |
Der Manager will Fragen der taz dazu nicht beantworten. Der Zoo gibt an, | |
die Künstler*innen würden vertraglich engagiert und nach diesen | |
Verträgen bezahlt. | |
## Profit auf dem Rücken schwarzer Menschen | |
Lamin Touré jedenfalls arbeitet mittlerweile nicht mehr für den Zoo. Für | |
ihn sind die „exotischen Abendveranstaltungen“ ein neues Gesicht des | |
Kolonialismus. Er lacht bitter: „Hakuna Matata heißt: Nicht so viel | |
nachdenken! Das finde ich ironisch, weil die sich offenbar nicht viel dabei | |
gedacht haben.“ | |
Das netzaktivistische Kollektiv „Wir müssten mal reden“ kritisiert, dass | |
sich der Zoo auch abseits der Veranstaltungen kolonialrassistischer | |
Stereotype bedient. So stünden neben Tiergehegen Informationstafeln über | |
BIPoC, die Begriffe wie „Indianer“ oder „Pygmäen“ enthalten. Kolumbus … | |
als Entdecker romantisiert. Auch die Initiative Leipzig Postkolonial | |
resümiert, der Zoo mache „auf dem Rücken von Schwarzen Menschen Profit“. | |
Die Gruppe will das koloniale Erbe Leipzigs sowie postkoloniale | |
Perspektiven durch Bildungsarbeit sichtbar machen. | |
Der Zoo weist die Vorwürfe zurück. „In den vergangenen zwanzig Jahren haben | |
wir unsere Geschichte sehr intensiv aufgearbeitet und veröffentlicht“, | |
sagte Zoodirektor Jörg Junhold in einem Interview der Leipziger | |
Volkszeitung. „Der Historiker Mustafa Haikal hat in unserem Auftrag die | |
Völkerschauen und die Person Ernst Pinkert intensiv und quellenkritisch | |
ausgeleuchtet und eingeordnet.“ Die Ergebnisse finden sich auf der | |
Internetseite des Zoos. | |
Der Zoo stimmt den Aktivist*innen allerdings zu, dass noch „eine | |
öffentliche Diskussion und eine nachhaltige Wissensvermittlung stattfinden“ | |
sollte. | |
## „Exotische Abende“ gibt es auch in anderen Zoos | |
Doch wie soll diese gestaltet werden? Der Migrantenbeirat der Stadt Leipzig | |
hatte Zoodirektor Junhold schon im September 2020 zum Gespräch geladen. | |
„Leider war aber ein sachliches Gespräch nicht möglich“, beklagt der | |
Vorsitzende des Migrantenbeirats, Kanwal Sethi. | |
Auch er sieht die bisherige Aufarbeitung des Zoos als regelrechte | |
Verweigerung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die | |
Theaterregisseurin und Kulturwissenschaftlerin Simone Dede Ayivi | |
kommentiert die Argumentation des Zoos mit: „Zurück auf die Schulbank.“ | |
Der Zoo Leipzig ist jedoch keine Ausnahme. Vor der Pandemie bot auch der | |
Zoopark Erfurt solche Abendveranstaltungen an, wie die Initiative | |
Decolonize Erfurt kritisiert. Ein Sprecher der Stadt Erfurt bewertet die | |
„Tropennächte“ mit „orientalischen“ Tänzen als „spielerischen Umgan… | |
Klischees, mehr nicht“. | |
In Augsburg wurde noch im Jahr 2005 ein „African Village“ aufgebaut, in dem | |
Schwarze Menschen etwa als „Korbflechter“ „afrikanische Kultur“ vermitt… | |
sollten. Und Mövenpick verkauft in sechs deutschen Zoos „exotisches“ Essen, | |
im Restaurant Amazonica oder der Africambo Lodge. | |
## Berlin ist einen Schritt weiter | |
Historisch waren die Zoos in Hamburg, Berlin, Augsburg, Frankfurt, Hannover | |
und das Oktoberfest in München Schauplätze von Menschenschauen. Die meisten | |
Zoos machen diese Geschichte nicht oder nur dürftig transparent. | |
In Berlin ist man bei der Aufarbeitung einen Schritt weiter. Das Museum | |
Treptow initiierte in Zusammenarbeit mit der Initiative Schwarze Menschen | |
in Deutschland (ISD) und berlin postkolonial e. V. 2017 die erste | |
Dauerausstellung zur Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Widerstand | |
in Deutschland. Die Ausstellung „ZurückGESCHAUT“ [2][widmet sich der | |
„Ersten deutschen Kolonialausstellung“], die 1896 im Treptower Park | |
stattfand. | |
In Leipzig bewegt sich zumindest die Stadt. Im November 2020 beschloss der | |
Stadtrat auf Initiative der Linkspartei den Antrag „Leipziger | |
Kolonialgeschichte in die Erinnerungskultur aufnehmen“. Bis zum dritten | |
Quartal 2021 soll die Stadtverwaltung erarbeiten, wie die | |
„Kolonialgeschichte in Leipzig erforscht und eine kritische | |
Erinnerungskultur geschaffen werden kann“. | |
Rahel Yohannes, eine der Organisator*innen der Kundgebung vor dem | |
Zoo, findet den Beschluss dennoch befremdlich. Denn dort wird die ISD als | |
Kooperationspartner genannt, der Stadtrat habe aber bisher noch kein | |
Gespräch mit der Gruppe gesucht. „Es werden Erwartungen an uns gestellt, | |
ohne überhaupt zu wissen, wer wir sind und was unsere Wünsche und Anliegen | |
sind“, so Yohannes. | |
Die Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, die auch Aufsichtsratsvorsitzende | |
des Zoos ist, will für das Projekt Geld in die Hand nehmen: Eine Förderung | |
von 20.000 Euro sei möglich, schreibt das Kulturdezernat auf Nachfrage. So | |
initiierte die Stadt etwa bereits ein Projekt zur kritischen Erinnerung der | |
Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA), wo | |
ebenfalls Völkerschauen stattfanden. | |
Zum Vergleich allerdings: Der Zoo Leipzig bekommt als Tochterunternehmen | |
der Stadt bis 2022 jährlich 2,8 Millionen Euro für sein Konzept „Zoo der | |
Zukunft“ zur Verfügung gestellt. | |
Die Stadt bemühe sich sehr, sagt Kanwal Sethi. Es werde viel über Menschen | |
mit Migrationsgeschichte gesprochen, aber leider kaum mit ihnen. In einem | |
Antrag zu den „exotischen Abenden“ im Zoo fordert auch er, diese | |
Veranstaltungen bleiben zu lassen. Alle Leipziger*innen sollten sich | |
gegen Unterhaltungsformate stellen, die rassistische Stereotype bedienen | |
und Menschen damit diskriminieren, ergänzt er in einem offenen Brief. | |
Für Sethi wird in den Veranstaltungen die gesamte afrikanische Kultur auf | |
Klischeebilder reduziert. Es würden Verallgemeinerungen von afrikanischen | |
Gesellschaften bedient, die ihren Ursprung im Kolonialismus haben. Schwarze | |
Menschen würden dadurch zu „Anderen“ gemacht. | |
Zumindest auf der Kundgebung im Februar wird auch Widerstand gegen die | |
Forderungen sichtbar. Drei Männer brüllen Beleidigungen von der anderen | |
Straßenseite. Einer von ihnen zeigt den Hitlergruß, die Polizei verweist | |
ihn des Platzes. Eine Stunde später hebt er erneut den rechten Arm. | |
Erst nach der Kundgebung und dem Antrag des Migrantenbeirats äußert der Zoo | |
Handlungsbedarf: Kommunikation und Veranstaltungen wolle man sich „noch mal | |
kritisch anschauen“. Das Kollektiv „Wir müssten mal reden“ hat hierfür | |
einige Ideen. Es schlägt vor, Weiterbildung zur kolonialen Vergangenheit im | |
Zoo anzubieten, oder ein von BIPoC angebotenes Schulprogramm. | |
Musiker Lamin Touré fragt sich, warum an den Abendveranstaltungen im Zoo | |
nicht auch über Rassismus gesprochen wird. Denn: „Afrika ist viel mehr, es | |
ist nicht nur Musik und schöne Kleider. Es ist Austausch und | |
Zusammenkommen.“ | |
29 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Ketterer | |
Marie Zinkann | |
Ann-Kathrin Leclère | |
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