# taz.de -- Antiziganismus in Deutschland: Schiefe Blicke und Racial Profiling | |
> Dienstagmittag werden Untersuchungsergebnisse der Kommission | |
> Antiziganismus vorgestellt. Erschreckende Details aus dem Bericht sind | |
> schon bekannt. | |
Bild: Kundgebung der Sinti- und Romainitiativen auf der Romaday-Parade | |
BERLIN taz Da wäre zum Beispiel die Frau, die mit ihrem Ex-Mann und den | |
zwei Kindern an einer Raststätte in eine Polizeikontrolle geriet. Beamte | |
hätten ihren damaligen Mann mit Maschinengewehren aus dem Auto geholt, die | |
Kinder hätten geheult. „Ihr seid Zigeuner“, habe es geheißen. „Wir wurd… | |
behandelt, als wär'n wir richtige Verbrecher.“ Die Bilder hätten ihre | |
inzwischen erwachsenen Kinder heute noch vor Augen, erzählt die Frau. | |
Antiziganismus – spezifischer Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja – ist | |
in Deutschland weit verbreitet. Eine elfköpfige Kommission, besetzt mit | |
Wissenschaftler:innen und Expert:innen, hat im Auftrag der | |
Bundesregierung zwei Jahre lang an einer Bestandsaufnahme des Phänomens | |
gearbeitet. [1][Ihr 501 Seiten umfassender Bericht] liefert teils | |
bedrückende Erkenntnisse. | |
Zum Beispiel belegten Studien, dass Sinti:ze oder Rom:nja bis heute von | |
Racial Profiling betroffen seien, dass sie also von Polizist:innen | |
aufgrund ihres Aussehens häufiger als verdächtig eingeschätzt werden als | |
weiße Personen, heißt es in dem Bericht. Betroffene berichteten von | |
überdurchschnittlich häufigen Kontrollen im öffentlichen Raum – und von | |
völlig überzogenen Polizeieinsätzen. | |
Nicht nur die erwähnte Frau wird zitiert, auch ein Betroffener, der sich | |
beim Roma Büro Freiburg gemeldet hat. Egal, ob man mit dem Fahrrad, dem | |
Roller oder dem Auto unterwegs sei: „Wenn du dunkel bist, also ‚Zigeuner‘, | |
Araber, Schwarzer oder so, wirst du angehalten und oft so total | |
kontrolliert, als ob du gerade geklaut, ne Knarre im Hosenbund, Koks im | |
Socken, Schwarzgeld in der Unterhose und gefälschte Pässe im Arsch | |
hättest.“ Es sei wie ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre. | |
## Herabwürdigungen oder Getuschel | |
Der Bericht zitiert eine Studie, die Rassismuserfahrungen von Sinti:ze | |
oder Rom:nja im Alltag untersucht hat. Ein Großteil der Erfahrungen im | |
öffentlichen Raum nehme nonverbale Kommunikation ein – also etwa Blicke, | |
Herabwürdigungen oder Getuschel. In öffentlichen Verkehrsmitteln würden sie | |
angestarrt, beim Betreten von Restaurants spöttisch betrachtet, in | |
Einkaufsläden stünden sie unter Beobachtung. Aber auch körperliche Gewalt | |
oder Anschläge seien zu beobachten. | |
Eine Betroffene berichtete, dass sie stets die Ärmel hochkrempelt und ihren | |
Einkaufskorb sowie die Artikel sichtbar für alle hält, um Situationen | |
zuvorzukommen, in denen sie des Diebstahls bezichtigt wird. Der Bericht der | |
Kommission macht eindringlich klar, dass Diskriminierungen in allen | |
Lebensbereichen vorkommen – in der Schule, später bei der Wohnungssuche | |
oder in der Arbeitswelt. | |
Auch die Berichterstattung von Medien spiele eine Rolle bei der | |
Reproduktion antiziganistischer Vorurteile, heißt es in dem Bericht weiter. | |
„Antiziganismus ist in deutschen Medien weit verbreitet und nimmt eine | |
Vielzahl an Formen an.“ Wenn etwa über klassische Armutsphänomene wie | |
Betteln oder Kleinkriminalität berichtet werde, würden soziale Verhältnisse | |
ausgeblendet und Phänomene stattdessen ethnisiert und einer als homogen | |
wahrgenommenen Gruppe ‚der Roma‘ zugeschrieben. „Damit wird zugleich ein | |
vermeintlich unüberwindbarer Konflikt zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ | |
heraufbeschworen.“ | |
Ausführlich widmen sich die Autor:innen auch dem deutschen Asyl- und | |
Bleiberecht – und weisen nach, wie sehr dieses von antiziganistischen | |
Vorurteilen geprägt wurde. Beispiele sind [2][die Einordnung von Serbien, | |
Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als so genannte Sichere Herkunftsstaaten | |
im Jahr 2014], oder die von Albanien, Montenegro und dem Kosovo im Jahr | |
2015. | |
## Diskriminierende Asylrechtsverschärfungen | |
Mit den Gesetzesänderungen werde generell vermutet, dass Menschen aus | |
diesen Staaten keiner Verfolgung und keinen Gefahren für Leib und Leben | |
ausgesetzt seien. „Eine solche Vermutung ist aus flüchtlings- und | |
menschenrechtlicher Perspektive nicht nachvollziehbar und überdies nicht | |
haltbar, was umso mehr gilt, wenn man die menschenrechtliche Situation | |
insbesondere von Rom:nja in diesen Staaten in den Blick nimmt.“ | |
Der Bericht ordnet Antiziganismus auch historisch ein, stellt etwa den | |
Kontext zur Nazizeit her, während der Sinti:ze und Romn:ja systematisch | |
verfolgt und ermordet wurden. Und der Bericht belässt es nicht bei der oft | |
deprimierenden Darstellung der Realität. Für jeden Bereich geben die | |
Autor:innen Handlungsempfehlungen, wie sich Diskriminierungen reduzieren | |
lassen. | |
So empfiehlt die Kommission zum Beispiel der Bundesregierung, die | |
Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Geduldete zu | |
erleichtern – und klarzustellen, dass in Deutschland lebende Rom:nja „als | |
eine aus historischen und humanitären Gründen besonders schutzwürdige | |
Gruppe anzuerkennen sind.“ | |
Landesregierungen müssten durch Erlasse sicherstellen, dass die Praxis von | |
Kettenduldungen beendet und unterschiedliche Möglichkeiten zur Erteilung | |
einer Aufenthaltserlaubnis genutzt würden. Abschiebungen von Rom:nja | |
müssten sofort beendet, die Einstufung der erwähnten Länder als Sichere | |
Herkunftsstaaten zurückgenommen werden. | |
Was davon politisch umgesetzt wird, ist eine andere Frage. | |
Aktualisiert am 13.07.2021 d. R. | |
23 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw25-de-antiziganismus-8… | |
[2] /Abstimmung-zu-Asylrechtsverschaerfungen/!5494961 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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