# taz.de -- Hauskomplex in Kreuzberg: Unschöner wohnen | |
> Ein Hochhausblock der Gewobag nahe dem Kottbusser Tor verkommt seit | |
> Jahren. Die Mieter*innen sind stinksauer auf das landeseigene | |
> Unternehmen. | |
Bild: Eine benutzte Spritze liegt auf dem Gehweg | |
BERLIN taz | Obdachlose und Junkies im Hausflur, Müll, Spritzen und Ratten | |
im Hof: Was Lydia Sarges über die Zustände in ihrem Hauskomplex in der | |
Bergfriedstraße in Kreuzberg berichtet, klingt dramatisch. Und das gehe | |
schon seit Jahren so in dem „Haus, in dem das Junkie-Elend lebt“, wie eine | |
Boulevardzeitung bereits 2018 titelte. Doch seitdem vor einem Jahr, in der | |
Nacht zum 6. April 2023, an drei Stellen im Keller Feuer gelegt wurde, hat | |
sich die Situation noch einmal verschlimmert. Die rund 400 Mieter*innen | |
mussten evakuiert werden, wochenlang war das Haus unbewohnbar. | |
Den Bewohner*innen Lydia Sarges und Burhan U. sind Verzweiflung und | |
Zorn anzumerken. Zusammen mit einem Nachbarn führen sie gut ein Jahr nach | |
dem Brand durch den Komplex. Im Treppenhaus stinkt es penetrant nach Urin. | |
Süßigkeitenverpackungen, ein unidentifizierbares weißes Pulver und ein Hut | |
liegen verstreut herum. | |
U. erzählt, dass seine Tochter vor einigen Wochen auf dem Weg zur Schule im | |
Treppenhaus ausgerutscht und in eine Urinpfütze gefallen sei. „Es war wie | |
das Stereotyp einer Platte, die sehr verwahrlost ist“, schreibt eine | |
Bekannte, die sich hier eine Wohnung angeschaut hatte. Und: „Mein Eindruck | |
war, dass da zu wohnen einfach unheimlich trist sein muss.“ | |
Der Komplex aus den 1970er Jahren mit 190 Wohnungen gehört dem | |
landeseigenen Wohnungsunternehmen Gewobag. Auch wenn sich die Gewobag in | |
ihrem Mieter*innen-Magazin für ihre Krisenbewältigung nach dem Brand selbst | |
lobt: Ein ganzes Jahr leben die Bewohner*innen des Hochhauses unweit | |
des Kottbusser Tors ohne funktionierende Klingelanlage, ohne | |
verschließbare Haustür, ohne Gasanschluss zum Kochen. Monatelang gibt es | |
keinen Festnetz- und Internetanschluss. | |
## Offene Haustür | |
Dass die Haustür offen ist, spricht sich schnell herum. Die | |
Bewohner*innen berichten von [1][Junkies, Obdachlosen und | |
Jugendlichen], die sich im Hausflur aufhalten, dort Drogen konsumieren oder | |
vor den Wohnungstüren übernachten. Die Mieter*innen fühlen sich bedroht, | |
die Angst vor einem erneuten Brand oder einem Übergriff ist groß. | |
Darüber hinaus gibt es zu wenig Mülltonnen, die Müllabwurfanlage ist auch | |
verstopft, was wiederum Ratten und Kakerlaken anlockt. An vielen Stellen im | |
Hausflur hatten sich mit einem asbesthaltigen Kleber verklebte | |
Laminatfliesen gelöst, die Klebefläche mit dem Asbest lag frei. Inzwischen | |
wurden die Fliesen zwar entfernt, dafür läuft man nun über Betonboden, in | |
den dann der Urin einsickert. Dazu kommen offene Kabel und ungesicherte | |
Fenster im Treppenhaus. | |
Ein Hauptkritikpunkt betrifft die Kommunikation seitens der Gewobag. Die | |
Mieter*innen schreiben Beschwerdemails, auf die nicht reagiert wird. Bei | |
Anrufen landen sie in der Warteschleife der Service-Hotline. Sie schicken | |
Beweisfotos, drohen mit Klagen. „Wir erleben den Umgang der Gewobag mit uns | |
als respektlos und verachtend. Trotz vieler Meldungen, Unterschriftenlisten | |
usw. an die Gewobag hat sich der Zustand nicht verändert“, schreiben sie | |
im September 2023 an die Bauaufsicht und den Friedrichshain-Kreuzberger | |
Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne). | |
## Ausgelagerte Dienstleistungen | |
Und dann ist das noch der [2][Problemdienstleister Fletwerk]. 2011 hat die | |
Gewobag sämtliche Dienstleistungen wie Reinigung und Reparaturen an den | |
privaten Immobilienservice ausgelagert. Die Folge: „Niedrigere Löhne, | |
schlechtere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, miserabler Service | |
für die Mieter“, bilanzierte der Mieterverein bereits 2021. Der Hausmeister | |
tue nichts, sei nie anwesend, heißt es auch von den Bewohner*innen. | |
„Auch kleine Leute verdienen menschenwürdige Wohnverhältnisse“, sagt Lydia | |
Sarges, die seit 2017 in dem Wohnblock lebt. Sie sitzt mit Burhan U. und | |
Marcel E. in ihrer gemütlichen Wohnung im 14. Stock. „Das war nicht der | |
Deal, Tür an Tür mit Obdachlosen zu schlafen.“ Ausführlich berichtet sie | |
von der Atmosphäre der Angst und der Unsicherheit. Man habe immer die | |
Fragen im Kopf: Wer ist im Treppenhaus, wer liegt da wieder herum? | |
„Wir sind verzweifelt“, sagt Burhan U. Er würde mit seiner kleinen Familie | |
gern umziehen, aber: „Wir finden keine Wohnung. Wir möchten einfach nur | |
Miete zahlen und leben.“ Sarges ergänzt, ihr sei bewusst, dass es | |
Mieter*innen gibt, „denen alles egal ist“. Das merkt man nicht nur an | |
den überquellenden Mülltonnen. So war die Haustür zwischendurch repariert, | |
die Klingelanlage aber nicht, woraufhin jemand das Türschloss kurzerhand | |
wieder aufgeflext hat. | |
Dennoch müsse die Gewobag dafür sorgen, dass die Tür geschlossen werden | |
kann. „Die Gewobag spart an unserer Sicherheit und will sich der | |
Verantwortung entziehen“, sagt Sarges. Mit Blick darauf, was sie und andere | |
Mieter*innen schon alles versucht hätten, sei sie mit ihrem Latein am | |
Ende. Das einzig verbliebene Mittel sei, öffentlichkeitswirksam Druck zu | |
machen. | |
Die Gewobag werde auch ihren vertraglichen Pflichten nicht gerecht, | |
wichtige Reparaturen zeitnah durchzuführen, so Sarges. Erst im März meldete | |
sich eine Mitarbeiterin der Gewobag bei Sarges. Als Mieterin sollte Sarges | |
doch zu den Herausforderungen des Kiezes um den Kotti „umfassend (…) | |
aufgeklärt sein“, wurde ihr beschieden. | |
Das landeseigene Unternehmen teilt auf taz-Nachfrage mit, „dass sowohl das | |
Schloss als auch die Eingangstür aufgrund von Manipulation und gewaltsamen | |
Öffnen zwischenzeitlich mehrfach repariert wurden“. Mittelfristig seien für | |
das Haus Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten vorgesehen. Schäden | |
wie offene Kabel und ungesicherte Fenster „werden zeitnah durch unseren | |
Dienstleister instand gesetzt“, Auflagen im Zusammenhang mit Vandalismus | |
„sukzessive abgearbeitet“, so eine Sprecherin. Die Mitarbeiter*innen | |
würden so schnell wie möglich reagieren, schreibt sie und verweist auf | |
geänderte Servicezeiten. Der Forderung nach einem Sicherheitsdienst erteilt | |
sie eine Absage. | |
## Hoffen auf die Politik | |
Freitag vor einer Woche, Termin im Bürgerbüro von Sevim Aydin. Geduldig | |
hört sich die Kreuzberger SPD-Abgeordnete die Nöte der kleinen Delegation | |
aus der Bergfriedstraße an. Die Sprecherin für Wohnen und Mieten der | |
SPD-Abgeordnetenhausfraktion ist selbst Mieterin der Gewobag und sagt, sie | |
wisse, dass es viele Beschwerden über das Unternehmen gibt, auch aus | |
anderen Häusern. | |
Die Gewobag stehe wirtschaftlich nicht gut da, aber das Problem sei | |
gesamtgesellschaftlich. Aydin verspricht, ein Treffen mit dem zuständigen | |
Staatssekretär Stephan Machulik, einem Parteifreund von ihr, zu | |
arrangieren. Machulik sitzt im Aufsichtsrat der Gewobag. Ein Treffen mit | |
dem Staatssekretär sei immerhin besser als nichts, findet Sarges. | |
Immerhin hat sich in den vergangenen Tagen etwas getan. Es gibt neue | |
Mülltonnen, Rattenköder wurden ausgelegt. Wegen des Brandes ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft gegen einen wohnungslosen 44-Jährigen. Vermutlich durch | |
die Klage einer Bewohnerin ist Anfang April, über ein Jahr nach dem Brand, | |
dann auch endlich die Klingelanlage repariert worden, kurz darauf auch das | |
Schloss der Eingangstür. Zum ersten Mal seit einem Jahr funktionieren somit | |
wieder Klingelanlage und Haustür – nur für wie lange, weiß niemand. | |
26 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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