# taz.de -- Drogenpolitik in Berlin: Keine Macht dem Tabu | |
> Die meisten Rauschmittel sind verboten – aber trotzdem verbreitet, | |
> besonders in Berlin. Dabei würde es viele Probleme lösen, wären Drogen | |
> erlaubt. | |
Bild: Ist da nur der richtige Stoff drin? Drug-Checking in Berlin findet es her… | |
BERLIN taz | Ballern im Berghain, Kiffen vor der Cassiopeia und wilde | |
Nächte in der Renate – für sicherere Partys eröffnete Berlin im Juni | |
erstmals seit den 90er Jahren wieder das Drug-Checking-Projekt: In den | |
Beratungseinrichtungen des Trägervereins Vista sowie des Fixpunkts und der | |
Schwulenberatung Berlin können Drogen auf ihre Qualität und Reinheit | |
getestet werden. Und die Nachfrage ist auch nach rund fünf Monaten so hoch, | |
dass Mitarbeitende der Drogen- und Suchtberatung Vista viele | |
[1][Konsumierende wieder nach Hause schicken müssen]. | |
Außer dem Drug-Checking-Projekt gibt es weitere Anlaufstellen in Berlin, | |
etwa Drogenberatungsstellen oder Konsumräume. Für Heroin bekommen sie so | |
saubere Nadeln. Zudem kann Diamorphin dabei helfen, sich von Heroin zu | |
entwöhnen. Insgesamt sinkt so nachweislich das Risiko, an HIV und Hepatitis | |
zu erkranken. Allerdings nicht immer ohne Hürde: Die Betroffenen müssen | |
teilweise dreimal am Tag nüchtern erscheinen. Für viele Alkoholabhängige | |
ist das eine Herausforderung. So bekommen auch hier nicht alle | |
Unterstützung. | |
Keine Kontrollen und keine sauberen Nadeln bedeuten für Konsument*innen | |
mehr Risiko für die Gesundheit. Es ist zum Beispiel wahrscheinlicher, dass | |
sie verunreinigte Drogen konsumieren, was zu unerwünschten Nebenwirkungen | |
führen kann. Doch das hält die Menschen nicht davon ab, trotzdem Drogen zu | |
nehmen. | |
Verglichen mit dem Bundesschnitt weist Berlin kontinuierlich die höchste | |
12-Monats-Konsumprävalenz von Cannabis auf. Bei den im Abwasser | |
analysierten Kokain- und MDMA-Rückständen ist Berlin ebenfalls Nummer eins | |
der untersuchten deutschen Städte. Der Trend weist nach oben und die | |
Konsument*innen werden dabei immer jünger. Das durchschnittliche Alter | |
beim ersten Zug am Joint in [2][Berlin liegt aktuell bei 14,4 Jahren – 2 | |
Jahre] unter dem Durchschnitt. | |
## Legalisieren für den Jugendschutz | |
So paradox das klingen mag: Die Legalisierung von Drogen könnte den | |
Jugendschutz verbessern. Aktuell zeigt eine Drogenaffinitätsstudie von | |
2019, dass etwa jede*r zehnte 12- bis 17-jährige Jugendliche schon einmal | |
eine illegale Droge konsumiert hat. Dabei dominiert vor allem Cannabis. | |
In einer Reportage [3][des Youtube-Formats „klarkommen]“ erzählen | |
Jugendliche und junge Erwachsene aus Berlin, wie sie Drogen nehmen. | |
„Während der Corona-Zeit habe ich gelernt, dass mir Gras in verschiedenen | |
Situationen viele Vorteile bringen kann. Mittlerweile konsumiere ich | |
täglich“, erzählt Jas, 18 Jahre alt. Sie hat gerade Abi gemacht, trägt | |
bunte Sneaker, einen blau-grauen Hoodie und heißt eigentlich anders. | |
Nicht selten folgt auf Cannabis der Konsum von härteren Drogen: Unter | |
Jugendlichen haben sich im [4][Vergleich zu 2011 die 12-Monats-Prävalenzen] | |
des Konsums anderer illegaler Drogen, wie Ketamin, Kokain, LSD und Ecstasy, | |
erhöht. So auch bei Jas. Im vergangenen Sommer hat sie mit chemischen | |
Drogen wie Ketamin, LSD und MDMA angefangen. | |
„Was damals so viel Spaß war, war dann auch eine Fluchtsituation, weil es | |
meinen Freunden und mir damals nicht so gut ging“, erklärt Jas. Einmal | |
rauchen, dann geht die Laune hoch. Manche nutzen das sogar gezielt gegen | |
gesundheitliche Probleme, wie Crizzy, 16 Jahre alt, weiße Sneaker, | |
schwarzer Hoodie, Schüler. „Ich behandle meinen undiagnostizierten Autismus | |
mit Cannabis“, sagt er. Das steigere sein Empathievermögen. | |
Das macht er jedoch allein. Ohne ärztliche Betreuung kann aber auch eine | |
Selbstmedikation zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. | |
Bisher erhalten Jugendliche, die ärztliche Hilfe für mentale Erkrankungen | |
suchen, in schwerwiegenden Fällen ein Cannabis-Rezept. Eine Überwindung | |
dieser Hürde und ein Therapieangebot mit LSD oder Ketamin könnte | |
Betroffenen Erleichterung bieten. | |
Aber Konsum unter medizinischer Betreuung ist das eine, der freie Verkauf | |
auf dem Markt etwas anderes. In der Schweiz hat [5][der Berner Stadtrat im | |
Juni die Stadtregierung beauftragt], ein wissenschaftliches Pilotprojekt | |
über legalen Kokainverkauf zu prüfen – mit 43 zu 18 Stimmen. | |
Das soll den Schwarzmarkt austrocknen und sicherstellen, dass hochwertiges | |
Kokain angeboten wird. Wäre das auch etwas für Berlin? Sicherer Verkauf mit | |
Mindestalter und umfangreicher Aufklärung, statt auf dem Schwarzmarkt. | |
## Das Stigma schadet | |
Dass aktuell illegalen Drogen das Stigma „gesellschaftsschädigend“ | |
anhaftet, benachteiligt ebenfalls Suchterkrankte. Im neoliberalen Narrativ | |
heißt es, Menschen seien selbst für ihre Handlungen verantwortlich. Durch | |
den Konsum verlieren sie den Anspruch auf Hilfe und Unterstützung bei der | |
Entwöhnung. | |
Bestimmte Gruppen trifft das härter als andere. Wenn zum Beispiel | |
Sexarbeiter*innen in Berlin Unterstützung dabei wollen, die Branche zu | |
verlassen, müssen sie clean sein, um eine Wohnung von der Stadt zu | |
erhalten. Für sie wäre es einfacher, wären Drogen legal. | |
Allerdings bliebe noch zu diskutieren, wie Werbung für Drogen aussehen | |
soll. Ebenso die problematischen Anbau- und Herstellungsverfahren von | |
Drogen. Auf vielen Koksplantagen arbeiten die Menschen unter schlechten | |
Bedingungen: wenig Lohn, hohes Risiko. Jedoch könnte Deutschland über | |
legale Handelsstrukturen Änderungen forcieren. Löst die Legalisierung also | |
Probleme, oder bleibt alles doch nur eine Utopie? | |
26 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Drug-Checking-in-Berlin/!5962670 | |
[2] https://www.berlin-suchtpraevention.de/veroeffentlichung-des-monitorings-zu… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=opYIvjjhHAY | |
[4] https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Drogenaffinitaet_Juge… | |
[5] https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=b3ff34b3287e477299a7a120fd664681 | |
## AUTOREN | |
Ann Toma-Toader | |
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