| # taz.de -- Rassismus bei der Fußball-EM: Im Wartezimmer vor der Notaufnahme | |
| > Das Ankommen in Berlin nach der Europawahl ist ein bisschen seltsam. Die | |
| > Stimmung ist scheiße. Was sollen bloß die Euro-Gäste von uns denken? | |
| Bild: Ist es Helmut Kohl? | |
| Zurück in Berlin nach fast zwei Monaten an der Adria (Ost), ist einer der | |
| ersten Sätze, die ich höre: „Deutschland ist tot.“ Es ist Dienstag | |
| vergangener Woche, der zweite Tag nach den [1][Europawahlen], und der | |
| altlinke Alki, der die finale Diagnose stellt, sitzt vor einem Kreuzberger | |
| Kiosk, um ihn herum wuseln Expats, Touristen, Obdachlose, Dealer, | |
| Drogenkranke und Anwohner. „Guck dich doch um. Nur noch Drogen und Müll, | |
| und keinen interessiert’s“, lautet sein Befund. | |
| In meinem nahe gelegenen Treppenhaus begegne ich am gleichen Tag einem | |
| Handwerker, der in einer Wohnung den Fußboden neu verlegt, und frage ihn, | |
| wie die Arbeit vorangehe, schließlich stehe die knapp 70-Quadratmeter große | |
| Wohnung ja nun auch schon anderthalb Jahre leer. „Wenn ich mir die Namen | |
| auf den Klingelschildern hier so angucke, ist meine Arbeit doch eh | |
| verlorene Liebesmüh“, antwortet er. – „Wie meinen?“, frage ich. – �… | |
| kein Rechter, hab nichts gegen Ausländer, aber wie die die Buden | |
| runterwohnen, das ist schon nicht mehr feierlich“, erwidert er. | |
| „Die Wohnung, die sie da gerade renovieren, haben 30 Jahre lang Leute | |
| ‚runtergewohnt‘, die Müller, Meier, Altheinrich hießen“, kläre ich ihn… | |
| – „Ich will auch nicht sagen, dass die Deutschen alle super sind“, gibt d… | |
| Handwerker mit Oberlippenbart schnell zu verstehen. – „Ich bin übrigens | |
| auch Ausländerin, sehe bloß nicht so aus“, geb ich ihm bekannt. – „Ist … | |
| gut“, sagt er. „Und finden Sie das in Ordnung, wie Ihr Treppenhaus und Ihre | |
| Haustür aussehen?“ | |
| „Sie meinen, dass hier der Putz von der Wand fällt, Schimmelpilze in den | |
| Ecken wachsen und die Haustür kein ordentliches Schloss hat, weswegen sie | |
| immer wieder aufgebrochen wird und dann biodeutsche Junkies ins Treppenhaus | |
| kotzen? Fragen Sie mal den Vermieter, warum er nichts tut“. – „Würde ich | |
| auch nicht, hat ja eh keinen Sinn“, antwortet der kurz geschorene | |
| Handwerker. | |
| Ich fordere ihn noch ein letztes Mal: „Wir können gern tauschen: Sie wohnen | |
| mal ein, zwei Monate meine Wohnung runter, und dann sprechen wir noch mal | |
| drüber, wer hier für was verantwortlich ist. Deal?“ Dankend lehnte der | |
| rassistische Handwerker ab. | |
| Ein paar Meter weiter wanken zwei Drogenkranke auf zwei weitere zu, lallen | |
| unkontrolliert, versperren mir und einem Vater mit seinem kleinen Sohn den | |
| Weg, weil sie uns nicht bemerken. Nachdem wir passieren können, kaufe ich | |
| mir einen Kaffee. „Bald ist das hier vorbei“, kommentiert der Wirt die | |
| Szene. – „Wieso? Kommt der Zaun?“, frage ich ihn. – „Ach was. Die AfD | |
| kommt“, antwortet er. „Die werden damit aufräumen.“ – „Na ja, aber zu | |
| denen, die dann abgeräumt werden, gehören dann vielleicht auch Leute wie | |
| Sie und ich.“ – „Ich bin Türke, ja. Aber ich halte mich hier an die | |
| Gesetze, ich bringe meinen Teil ein, ich hab mir diesen Laden aufgebaut. | |
| Diese Leute da draußen machen nur alles kaputt, auch mein Geschäft.“ | |
| Eine Stimme, die keine allzu seltene Seltenheit mehr ist in diesem Land. | |
| Die ehemaligen Gastarbeiter aus Europa, ihre Kinder und Enkel schauen mit | |
| großer Skepsis, aber auch mit Rassismus und Abscheu auf Migranten aus | |
| Afrika und Asien. | |
| Deutschland ist für viele Deutsche offenkundig ein Fall für die | |
| Notaufnahme. Eines aber ist bei meinem Ankommen seltsam abwesend: die | |
| Deutschlandfahne. An keinem Kiosk hängt, aus keinem Fenster weht eine. | |
| Erst am Freitag sehe ich eine klitzekleine an einem Autorückspiegel. | |
| Ich bin sehr gespannt, was für ein Bild von diesem Land die europäischen | |
| Gäste haben werden, die dieser Tage in Deutschland ankommen und durch | |
| Springbrunnen, Grünanlagen und Kneipen wanken, pinkeln und winken werden. | |
| Werden sie Deutschland als freundlichen Gastgeber empfinden oder als | |
| Wartezimmer vor der Notaufnahme? | |
| 15 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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