# taz.de -- Zaunpläne für den Görlitzer Park: Umzäunt den Görli | |
> Als langjährige Anwohnerin bin ich dafür, es mit einem Zaun um den | |
> Görlitzer Park zu probieren. Aber nur, wenn auch den Elenden geholfen | |
> wird. | |
Bild: Ein Zaun schützt vor Elend nicht. Ein Banner am Zaun im Görlitzer Park … | |
Seit 20 Jahren lebe ich direkt am Görlitzer Park, im Wrangelkiez. Ich habe | |
Reisebusse mit fotografierenden Rentnern und Partytouristen überlebt, | |
Diagonalpoller, die 1. McDonald’s-Filiale, die Bebauung der letzten Brache | |
und einen nicht laufenden Möbelladen, der Rasiersalon, Tattooshop und | |
Co-Working-Space wurde. | |
Jetzt will ich zum ersten Mal weg. | |
Nicht, weil ich Dealer und hin und wieder mal einen [1][Junkie, eine | |
Leiche] oder einen Obdachlosen vor der Haustür oder am U-Bahnhof nicht | |
ertrage. Das gehört zur Großstadt. Sondern weil die Verhältnisse, die sich | |
in den vergangenen Jahren schleichend verschlimmerten, im vergangenen Jahr | |
explosionsartig durchgeknallt sind: Aus einer latent angespannten Stimmung | |
wurde eine aggressive, morbide, apokalyptische Szenerie. So krass, dass ich | |
vergangenen Sommer einige Zeit aus meiner Wohnung floh. Aus Angst, einer | |
der Junkies, die in unserem Treppenhaus schliefen und konsumierten, könnte | |
in einem Moment der Verzweiflung oder des Kontrollverlusts mir ein Messer | |
ans Ohr halten oder in meine Wohnung einbrechen. | |
Paranoia? Sicher. Aber nur weil du denkst, dass du paranoid bist, heißt das | |
nicht, dass nicht auch dir passieren könnte, was etlichen Nachbarn in | |
diesem Viertel im vergangenen Jahr passiert ist. | |
Seit einigen Wochen hat sich die Lage etwas beruhigt. Ich werde morgens | |
nicht mehr vom Husten eines obdachlosen Crack-Junkies vor meiner | |
Wohnungstür geweckt. Ich schlafe nicht ein, während draußen jemand | |
verzweifelt flucht, klagt, weint, brüllt. Ich traue mich, wieder nach | |
Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Und draußen kreisen meine | |
Gedanken nicht durchgängig darum, wie es wohl nachher sein wird im | |
Treppenhaus. Sondern nur noch etwa ein Mal die Stunde. | |
Für Berlintouristen aber ist der Besuch des Görli Standardprogramm mit | |
Thrill-Faktor. Er ist die Real-Life-Version vom Heidepark Soltau: statt | |
Achterbahn Toxic Garden zu fahren, laufen Sie Schlangenlinien durchs | |
Spalier der Dealergruppen; statt über kostümierte Live-Erschrecker beim | |
Zombie-Escape zu lachen, begegnen Sie echten Untoten mit offenen Wunden. | |
Die „Wiese“ ist inzwischen mit einer Dichtmasse aus Kronkorken, | |
Zigarettenfiltern, Kondomen, Spritzbestecken, Plastiktüten, Hundekacke und | |
Menschenkotze versiegelt und undurchlässiger, als es die Berliner Mauer es | |
je war. | |
Die Durchgänge der Mauer, mit der der Görli umgeben ist, will Bürgermeister | |
Kai Wegner (CDU) nun mit Zaunanlagen versehen, die nachts verschlossen | |
werden sollen. Unter den Anwohnern gibt es dazu zwei Haltungen: Die einen | |
glauben, dass das nichts bringt, weil dann die Dealer und Junkies sich noch | |
mehr in die Wohnviertel und Treppenhäuser zurückziehen. Die anderen sind | |
der Meinung, dass bisher zwar nichts irgendwas gebracht hat, nicht die | |
täglichen Razzien, nicht die 329 Mülleimer, nicht die Parkläufer und nicht | |
das Nichtstun („Die Dealer gehören dazu“, Ex-Bezirksbürgermeisterin | |
Herrmann von den Grünen) – dass aber noch niemand versucht hat, ob es was | |
bringt, den Park nachts abzuschließen. | |
Der Regierende Bürgermeister sagt, der Zaun kommt auf jeden Fall, erst mal | |
als Test, begleitet von Ideen der grünen Bezirksbürgermeisterin wie | |
aufsuchende Sozialarbeit und Drogenkonsumangebote. Die grüne | |
Bezirksregierung will den Zaun auf keinen Fall. Sie lässt sich lieber mit | |
[2][Aktivisten] fotografieren, die Schilder „Gegen Gentrifizierung“ | |
hochhalten. Sie sagen: Würden Zäune gegen Crack-Abhängigkeit helfen, wären | |
die USA voll davon. Ich sage: Würden Schilder „Gegen Gentrifizierung“ was | |
helfen, hätten wir in Berlin kein Wohnungs- und kein | |
Mietenexplosionsproblem. | |
Ich bin für den Zauntest. Unter der Bedingung, dass alle verfügbaren | |
Maßnahmen zur [3][Eindämmung von Drogenabhängigkeit] umgesetzt werden. Ich | |
glaube allerdings, dass dazu zwingend das Prinzip „Housing first“ gehört: | |
allen, die auf der Straße sind, Wohnräume verschaffen. Davon aber reden | |
weder die Grünen noch der Regierende Bürgermeister. Dazu ist Berlin nicht | |
bereit. Meine Testidee: leer stehende Berliner Büroräume in betreute | |
Wohnanlagen für Obdachlose und Drogenkranke umwandeln. | |
2 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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