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# taz.de -- Zaunpläne im Görlitzer Park: „Der Park gehört allen“
> Die Probleme des Parks lassen sich nicht durch eine Umzäunung lösen, sagt
> der Kriminologe Thomas Feltes. Man müsse lernen mit Angsträumen zu leben.
Bild: Demonstration des Bündnisses „Görli Zaunfrei“
taz: Herr Feltes, zur Kriminalitätsbekämpfung will der schwarz-rote Senat
den [1][Görlitzer Park einzäunen] und nachts abschließen lassen. Was halten
Sie davon?
Thomas Feltes: Der Görlitzer Park ist sicherlich nachts kein angenehmer
Ort. Er ist aber ein wichtiger Treffpunkt von Menschen – aus ganz
unterschiedlichen Gründen. Und tagsüber wird er von Menschen durchquert,
weil er auf ihrem Weg liegt. Generell haben Menschen nachts dort Angst, wo
es dunkel ist und wo sie auf fremde Menschen treffen. Dieses Grundproblem
löst man nicht durch eine Schließung des Parks.
Warum nicht?
Das verlagert die Probleme bekanntlich nur räumlich, und in den meisten
Fällen werden sie dadurch eher noch schlimmer. Und: Der Park ist ein
öffentlicher Raum, er gehört allen. „Gated Communities“, also abgeschosse…
gesellschaftliche Bereiche, kennen wir seit Jahrzehnten aus den USA. Sie
haben auch dort keine Probleme gelöst, sondern nur neue geschaffen.
Ausgrenzung nützt mittelfristig niemandem, nicht den Ausgrenzenden und
schon gar nicht den Ausgegrenzten, die Bestandteil unserer Gesellschaft
bleiben, es sei denn, man geht mit der AfD deren Remigrationsweg und weitet
ihn auf diese Gruppen aus. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ funktioniert
nicht, sondern vermittelt eine Illusion.
Welche Alternativen zu einem Zaun sehen Sie?
Solange das Grundproblem – Drogenabhängigkeit – nicht gelöst ist, kann man
auch nicht die daraus entstehenden Probleme – Kauf und Konsum – lösen.
Letztlich müssen wir lernen, mit solchen Angsträumen in unseren Städten zu
leben. Und die allermeisten Bürger*innen wissen auch, wie sie sich
verhalten müssen. Wer glaubt, ein Problem dadurch lösen zu können, indem er
nur seine negativen Folgen und nicht die Ursachen bekämpft, der irrt nicht
nur, sondern der täuscht auch Bürger*innen und profiliert sich zulasten
von sozial Benachteiligten. Das ist schlicht schäbig.
Seit Jahren gibt es bereits im und um den Görlitzer Park eine [2][hohe
Polizeipräsenz]. Zudem wurden Park und der angrenzende Wrangelkiez als
kriminalitätsbelasteter Ort (kbO) eingestuft, wodurch die Polizei besondere
Befugnisse erhält. Was hat das gebracht?
Generell gibt die Einstufung als „kriminalitätsbelasteter Ort“ der Polizei
mehr Kontroll- und Eingriffsbefugnisse, ohne dass dadurch nur ein einziges
Problem wirklich gelöst wird. Im Gegenteil: Durch – auch rassistische –
Kontrollen wird das Vertrauen in die rechtsstaatliche Tätigkeit der Polizei
gefährdet. Und: Mehr Polizei bedeutet erst einmal mehr registrierte
Kriminalität, weil das im Bereich der Drogenkriminalität besonders große
Dunkelfeld dadurch aufgehellt wird. Das ist eine kriminologische
Grunderkenntnis. Dadurch wird aber kein Problem gelöst, sondern es werden
nur neue geschaffen.
Im ersten Halbjahr 2022 hat die Polizei im [3][kbO Görlitzer
Park/Wrangelkiez 3.243 Delikte registriert]. Über ein Drittel davon machen
Drogendelikte und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht aus. Wäre eine
Entkriminalisierung dieser Deliktgruppen also eine Lösung?
Auch eine Entkriminalisierung löst nicht alle Probleme, denn Kriminalität
hat immer soziale Ursachen, und das gilt besonders für diese Formen von
Straßenkriminalität. Allerdings würde die stigmatisierende Kriminalisierung
von vielen ohnehin sozial benachteiligten Menschen verringert, was ein
erheblicher Fortschritt wäre. Und die Frustration von Polizeibeamt*innen,
die sich darüber beklagen, dass sie „immer dieselben“ verhaften müssen,
würde gemindert. Aber Entkriminalisierung ohne gleichzeitige Stärkung
sozialer Hilfsangebote ist dysfunktional. Wer dies nicht berücksichtigt,
läuft, politisch gesprochen, in ein offenes Messer, weil sich die Probleme
nicht in Luft auflösen können.
Während die eigentlichen Hintermänner des Drogenhandels unbekannt sind,
scheinen die kleinen Straßenverkäufer im und um den Park hauptsächlich aus
Nord- und Westafrika zu kommen. Damit sind Schwarze im Görli ständigen
Kontrollen ausgesetzt, sogar der Kultursenator musste sich dort kürzlich
bei einem Besuch ausweisen. Ist das noch Polizeiroutine oder schon
[4][Racial Profiling]?
Wer als Schwarzer Mensch durch den Park geht, muss damit rechnen,
kontrolliert zu werden. Das sind ganz klar rassistische Kontrollen, weil
sie dazu führen, dass Schwarze Menschen diesen Bereich meiden müssen, wenn
sie keinen Polizeikontakt wollen. Während Angehörige der Mittel- oder
Oberschicht ihr Drogentaxi bestellen, müssen sozial Benachteiligte ihren
Stoff auf der Straße kaufen – und laufen damit Gefahr, kontrolliert und
verhaftet zu werden.
Die CDU hat die vergangenen Wahlen auch mit ihrem teilweise
diskriminierenden Sicherheitsdiskurs gewonnen. Stichwort Silvester- und
Freibadkrawalle. Sorgen Zäune und mehr Polizei für mehr Sicherheit oder ist
das Symbolpolitik?
Mehr vom selben hat noch nie geholfen, wie schon der Psychoanalytiker Paul
Watzlawick wusste. Und mehr Polizei hilft zumindest in diesem Bereich auch
nicht – man sollte das Geld lieber in die Bekämpfung der Finanz- und
Wirtschaftskriminalität stecken. Leider leben wir in, objektiv wie
subjektiv, unsicheren Zeiten, und in solchen Zeiten haben Demagogie,
Populismus und Symbolpolitik Hochkonjunktur. Wenn diese Unsicherheit weiter
um sich greift – und es spricht vieles dafür, dass dies passiert –, dann
gefährden solche Unsicherheitsdiskurse den demokratischen Zusammenhalt in
der Gesellschaft. Wer glaubt, mit Vornamen Politik machen zu können, hat
als Politiker versagt. Letztlich geht es darum, in welcher Gesellschaft wir
leben wollen: In einer begrenzten mit Zäunen und Mauern oder in einer
offenen, bunten, diskursiven. Wie konfliktfähig eine Gesellschaft ist,
zeigt sich an ihrem Umgang mit Ausgrenzung. Mehr Zäune bedeuten mehr
Ausgrenzung, mehr Ausgrenzung bedeutet mehr Konflikte.
Für den Senat ist der Zaun Teil einer „gesamtstädtischen Strategie zur
Stärkung der Sicherheit und Sauberkeit in Parks sowie an öffentlichen Orten
und zur Verhinderung von Sucht und Obdachlosigkeit“. Was wären für Sie die
wichtigsten Punkte einer solchen Strategie?
Sucht und Obdachlosigkeit bekämpfe ich nicht dadurch, dass ich Sucht- und
Drogenbeschaffungsräume schließe. Obdachlosigkeit bekämpfe ich – wie
Modelle erfolgreich zeigen – durch Projekte wie „Housing First“, und daf�…
muss ich in intensive sozialpädagogische Hilfen und entsprechende
Infrastruktur investieren. Das ist politisch im Moment schwer zu verkaufen,
daher setzt man – wie immer in solchen Situationen – auf im wahrsten Sinn
des Wortes „billige“ Lösungen. Das ist besonders problematisch in Zeiten,
in denen es immer weniger Menschen gibt, die für diejenigen eintreten und
ihnen eine Stimme geben, die keine haben.
Für viele Anwohner*innen ist weniger der Drogenhandel das Problem,
sondern der gestiegene Konsum harter Drogen und die damit einhergehende
soziale Verelendung. Was bräuchte es hier?
Das Problem ist ja nun nicht neu, und die Alternativen liegen auf dem
Tisch. Es ist eine Frage des politischen und moralischen Willens, sich
gegen soziale Verelendung, für die es verschiedene Ursachen gibt, zu
stellen. In diesen Zeiten, in denen das Geld angeblich knapp ist, gibt es
keine Lobby für sozial benachteiligte Menschen. Zumal die gesellschaftliche
Aufmerksamkeit derzeit auf andere Probleme fokussiert ist, Krieg,
Klimakrise und anderes. Wir müssen aufpassen, dass wir unseren
gesellschaftlichen und moralischen Kompass nicht verlieren, der uns zeigt,
was gut, was böse ist und welche Verantwortung wir in einer demokratischen
Gesellschaft für Schwache und Benachteiligte haben. Bei einigen Politikern
hat man leider das Gefühl, dass sie diesen Kompass schon weggeworfen haben.
Sie legen damit die Axt an die Grundfesten unserer Demokratie.
25 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Darius Ossami
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