# taz.de -- Berlin Görlitzer Park: Ein Zaun braucht keine Opfer | |
> Weil die zentrale Zeugin nicht kommt, platzt der Prozess um eine | |
> mutmaßliche Gruppenvergewaltigung. Der Park soll trotzdem eingezäunt | |
> werden. | |
Bild: Polizei im Görlitzer Park | |
BERLIN taz | Der Görli-Prozess ist vorerst geplatzt. Und damit wird es so | |
bald keine Antwort geben auf die Frage, die der Stadt [1][monatelange | |
Debatten um Sicherheit, eingezäunte Grünflächen und die Drogenszene im | |
Wrangelkiez] beschert hat. Die Frage nämlich, ob das, was im vergangenen | |
Sommer in einer Juninacht im Görlitzer Park passiert ist, eine | |
Gruppenvergewaltigung war – oder nicht. | |
Der Vorsitzende Richter verkündete am Donnerstag nach kurzer Beratungspause | |
im Strafgericht Moabit, dass die Kammer das Verfahren aussetzt. Der Grund | |
dafür ist, dass das vermeintliche Opfer, die sowohl Zeugin als auch | |
[2][Nebenklägerin ist, bisher nicht erschienen ist und in absehbarer Zeit | |
wohl nicht in Berlin vor Gericht aussagen] wird. Die Haftbefehle gegen die | |
drei Tatverdächtigen hat die Kammer nun aufgehoben. | |
„Ohne die Zeugin kann nicht verhandelt werden“, sagte der Vorsitzende | |
Richter Thilo Bartl. Gleichzeitig habe die Zeugin aber „klipp und klar“ | |
erklärt, dass sie bereit sei, sich in Georgien per Video vernehmen zu | |
lassen. Sie ist Georgierin und war im September in ihr Herkunftsland | |
zurückgekehrt. Die Frau habe auch geäußert, dass sie weiter „an einer | |
Strafverfolgung interessiert“ sei. | |
Weil die Zeugin dies so deutlich gesagt hat, ist die Kammer rechtlich | |
verpflichtet, alles zu versuchen, um den Fall abschließend zu verhandeln. | |
Doch bisher hatte das Gericht nach eigenen Angaben weder von der Zeugin | |
noch von ihrem Ehemann die Adresse. Der Richter machte klar, dass d[3][as | |
Gericht die Aussage der Zeugin braucht, um offene Fragen in diesem Prozess | |
zu klären]. | |
## Video ist echt | |
Im Januar war zu Beginn der Verhandlungen [4][ein Video als neues | |
Beweismittel] aufgetaucht. Das Gericht sieht es als gesichert an, dass das | |
Video „echt“ ist, dass es also zum Tatzeitpunkt im Görlitzer Park | |
aufgenommen wurde und dass es die Zeugin zeigt – nackt, und bei sexuellen | |
Handlungen mit einem Schwarzen Mann. Und dass [5][diese Handlungen | |
mutmaßlich einvernehmlich] sind. „Die Angeklagte hat ein Geschehen wie auf | |
dem Video nicht erwähnt“, sagt der Richter. Hier hätte die Kammer demnach | |
einige Nachfragen. | |
Die drei Angeklagten kamen damit am Donnerstag frei. Sie saßen seit Monaten | |
in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen besonders schwere | |
Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schweren Raub | |
vorgeworfen. Die Ermittler*innen hatten per DNA-Test Spermaspuren von | |
ihnen im Intimbereich der Zeugin nachgewiesen. | |
Doch es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, erklärte Richter Bartl. | |
„Insbesondere der Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung kann nicht | |
aufrecht erhalten werden.“ Dazu hätte sich die Zeugin in den Ermittlungen | |
zu widersprüchlich geäußert. „Ohne weitere Angaben kann die Kammer nicht | |
ausschließen, dass die DNA-Spuren von freiwilligen sexuellen Kontakten | |
herrühren“, sagte der Richter. | |
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) drängt derweil unbeirrt | |
weiterhin darauf, den Görlitzer Park einzuzäunen und nachts abzuschließen. | |
Daran würden auch die [6][Erkenntnisse aus dem Prozess nichts ändern], | |
hatte er im Januar bekräftigt. Der Bezirk hingegen ist dagegen, ein Zaun | |
werde die sozialen Probleme im Kiez nicht lösen, heißt es dort. Die Debatte | |
hat sich längst abgekoppelt von der Frage, ob hier tatsächlich eine Frau | |
vergewaltigt wurde. | |
## Einvernehmlicher Sex? | |
Zwei der Angeklagten haben zu den Vorwürfen bisher geschwiegen. Ein dritter | |
hatte über seinen Anwalt erklären lassen, dass [7][die Zeugin und ihr | |
Ehemann ihn in der Tatnacht angesprochen und zu einvernehmlichem Sex | |
überredet hätten]. Er sei ihrer Bitte erst nach mehrmaligem Nachfragen | |
nachgekommen und auch nur, weil er sehr betrunken gewesen sei. Er soll auch | |
das Video aufgenommen haben, das die Frau mit einem weiteren Mann zeigt. | |
Der Prozess muss nun komplett neu aufgerollt werden. Wann das passiert, ist | |
völlig offen. Denn dazu muss das Gericht erstmal klären, wann und ob es die | |
Zeugin vernehmen kann. Dafür muss die Kammer sie offiziell vorladen, und | |
zwar in die deutsche Botschaft in Georgien. Eine gerichtliche Vorladung ist | |
aber ein hoheitlicher Akt. Das bedeutet: Die deutschen Gerichte können den | |
Brief nicht selbst an die Zeugin schicken, sondern müssen die georgischen | |
Behörden um Amtshilfe bitten. | |
Der Erfahrung nach dauert das mindestens sechs Monate, bestätigte der | |
Staatsanwalt am Donnerstag. Denkbar ist allerdings auch, dass Georgien den | |
Antrag aus Deutschland ablehnt. Entsprechend vorsichtig äußerte sich der | |
Richter: „Es besteht die Möglichkeit, dass das Gesuch erfolgreich sein | |
könnte“, sagte Bartl. „Es sollte also versucht werden.“ | |
Dabei zweifelt Bartl an „der Aussagebereitschaft der Zeugin“. Während der | |
Ermittlungen habe sie zwei Vernehmungen abgebrochen, weil sie sich nicht in | |
der Lage sah, sie fortzuführen. Sie habe mehrere andere, vereinbarte | |
Termine abgesagt. Und sie habe im September Deutschland verlassen, ohne die | |
Justiz darüber zu informieren. „Eine Folge dieser Unzuverlässigkeit ist, | |
dass die Zeugin bisher nie abschließend vernommen wurde“, sagt Bartl. Auch | |
inhaltlich hätten sich ihre Äußerungen teils widersprochen oder sie habe | |
angegeben, sich nicht zu erinnern. Dass die Zeugin dem Gericht am | |
Donnerstag ihre aktuelle, offizielle Adresse übermittelt hat, wertete Bartl | |
immerhin als gutes Zeichen. | |
## Abschiebung droht | |
Bei einer erneuten Aufnahme des Prozesses kommt noch ein weiteres Problem | |
dazu. Unklar ist nämlich auch, ob die Angeklagten sich dann überhaupt noch | |
in Deutschland befinden und für das Gericht greifbar sind. Zwei der | |
Angeklagten sind vollziehbar ausreisepflichtig. | |
Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass die Ausländerbehörde sie | |
abschiebt, oder dass sie selbst ausreisen. Dann müsste das Gericht sie für | |
den Prozess zurückholen – so es sie denn findet. Ein Prozess in Abwesenheit | |
der Angeklagten unterliegt hohen Hürden, hieß es vom Gericht. Die | |
Angeklagten hätten schließlich ein Anrecht darauf, einer Verhandlung über | |
sie beizuwohnen. | |
Es könnte am Ende nicht nur [8][ein Prozess ohne Zeug*innen], sondern | |
auch ein Prozess ohne Tatverdächtige werden. | |
15 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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