Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- In der Notaufnahme: Begib dich nicht direkt dorthin
> Wenn es im Bauch ziept, schickt einen der Arzt in die Notaufnahme. Der
> Chef der Kassenärzte will, dass diese Besuche was kosten. Über ein
> System, das selbst ein Fall für die Notaufnahme ist.
Bild: Hierhin bitte, oder lieber nicht
Neulich ging ich nach einer ziemlich harten Nacht mit erhöhter
Magen-Darm-Aktivität und Schweißausbrüchen zum Arzt. Der hörte Lunge und
Herz ab und drückte kurz auf den Bauchnabel. Ich sagte, dass das ein
bisschen ziepe.
„So können wir Sie natürlich nicht rumlaufen lassen“, grinste er. „Das …
ein Chirurg klären. Ich schreib Ihnen jetzt eine Überweisung [1][in die
Notaufnahme]. Da gehen Sie jetzt einfach direkt von hier aus hin.“
Meine Neurotransmitter schickten ihre Botenstoffe zum Lambadakurs, und ich
konnte nur noch nicken. „Sie können da mit der U-Bahn hinfahren, aber auch
mit dem Auto, die haben da viele Parkplätze. Und dann gehen Sie aber nicht
zum Haupteingang, sondern folgen einfach immer den Schildern
‚Notaufnahme‘“, plapperte der Arzt weiter.
Einerseits wünschte ich, er hätte mehr Aussagen zu meinem körperlichen
Zustand gemacht, als Auskünfte über Parkplatzmöglichkeiten und
Beschilderung der Notaufnahme zu geben. Andererseits fragte ich mich, ob
ich vielleicht schon geistig umnachtet war und es nur nicht merkte und der
Arzt deswegen die banalen Dinge so ausführlich darlegte. Immerhin hielt er
es für akut möglich, dass ich den Tag nicht überleben würde, sonst würde er
mich ja nicht in die Notaufnahme schicken. „Wenn sie Sie gleich dort
behalten, kriegen Sie die Krankschreibung von denen. Sonst kommen Sie
einfach noch mal zu mir und dann kriegen Sie die von mir“, informierte er
mich der Arzt weiter.
## Null
Ich stehe womöglich kurz vor dem Exitus, aber gut, dass ich jetzt noch
erfahre, wo ich im Fall meines Überlebens die Krankschreibung herkriege.
In der Notaufnahme angekommen, antworte ich auf die Frage, wie schwer meine
Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 sind: „Null.“ „Was machen Sie dann
hier?“, fragt die Schwester. „Der Arzt hat auf meinen Bauch gedrückt und da
hat es geziept“, sage ich.
Während ich dann im Wartebereich warte, höre ich Funksprüche über einen
Verkehrsunfall mit Schwerverletzten, wird ein alter Mann mit blutendem Kopf
auf einer Bahre reingefahren, kommt ein bleicher Mann vorbei, den Arm und
den halben Kopf in Mullbinden gehüllt.
Während mir von Minute zu Minute peinlicher wird, dass ich hier bin, höre
ich, wie die Aufnahmeschwester mit einem Angestellten spricht: „Die Frau da
hinten schiebst du dann nach hinten. Bei der ziept’s.“ Ich denke kurz, dass
ich aufstehen und gehen sollte. „So weit sind wir schon. Die Ärzte schicken
die Leute jetzt einfach in die Notaufnahme, statt sie zu untersuchen“, höre
ich sie sagen. Also genau das, was ich irgendwie auch die ganze Zeit
dachte.
„Können Sie die Jacke noch alleine ausziehen?“, fragt mich eine
Notaufnahme-Krankenschwester, die meinen Blutdruck messen will. Ich könnte
sogar noch Lambada tanzen, denke ich. Die ganze Sache wird mir immer
peinlicher.
In den nächsten zwei Stunden werde ich von Azubis, Studentinnen im
Praktischen Jahr und Bauch-Chirurgen extrem freundlich und ausführlich
begutachtet, abgetastet und am Ende darüber informiert, dass keinerlei
akute Gefahr bestehe. Das einzige Gerät, was neben dem Blutdruckgerät
übrigens zum Einsatz kam, war ein Ultraschall.
Auf meine Frage, ob der niedergelassene Arzt nicht auch hätte feststellen
können, dass ich den Tag auf jeden Fall überleben würde, wird nur gelacht.
## Remember Praxisgebühr?
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen,
plädiert dafür, [2][eine Gebühr für Patient*innen] einzuführen, die
künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in eine Notaufnahme
kommen. Wer noch in der Lage sei, selbst in eine Notaufnahme zu gehen, sei
oft kein echter medizinischer Notfall. Lauterbach erteilte dem Vorstoß für
eine Gebühr am Nachmittag allerdings [3][bereits eine Absage].
So richtig das sein mag, aber die Frage ist: Warum? Na ja, haben Sie mal
mit einem halbwegs akuten Problem versucht, einen Termin bei Haus- oder
Fachärzt*innen zu bekommen, der nicht erst in sechs Monaten ist?
Nicht die Patient*innen sind das Problem, sondern das System. Für immer
weniger Ärzt*innen lohnt es sich, Kassenpatient*innen anzunehmen.
Dass Ärzt*innen lieber eine schnelle Notfallüberweisung schreiben, statt
eine ordentliche Untersuchung zu machen, ist eine der Konsequenzen. Das
deutsche Gesundheitssystem ist längst ein Fall für die Notaufnahme.
12 Apr 2023
## LINKS
[1] /Reformvorschlaege-fuer-Krankenhaeuser/!5912574
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kbv-gassen-notaufnahme-gebuehr-100.h…
[3] /Ankuendigung-von-Lauterbach/!5927876
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Praxisgebühr
Kassenärztliche Vereinigung
Gesundheitspolitik
Notaufnahme
Kolumne Geraschel
Bundesministerium für Gesundheit
Bundesministerium für Gesundheit
Niedersachsen
antimuslimischer Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Drogenkonsum in Berlin: Mehr Platz für Junkies
Die Drogen werden härter, die Stimmung aggressiver und das Treppenhaus
unserer Autorin wurde zum alternativen Drogenkonsumraum.
Telefonische Krankschreibung: Vorhaben von Lauterbach kommt
Gesundheitsminister Lauterbach will die telefonische Krankschreibung
dauerhaft ermöglichen. Das Angebot solle sich auf in der Praxis bekannte
Patienten beschränken.
Ankündigung von Lauterbach: Notaufnahme-Gebühr kommt nicht
Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung hatte für Patienten, die ohne
Ersteinschätzung in die Klinik gehen, eine Gebühr gefordert. Karl
Lauterbach lehnt das ab.
Gesundheitszentrum ersetzt Krankenhaus: Versuch einer Heilung
In Ankum-Bersenbrück hat Niedersachsens erstes Regionales
Gesundheitszentrum eröffnet. Geschlossen wurde dafür das örtliche
Krankenhaus.
Rassismusvorwurf in Bereitschaftspraxis: Homöopathisch gegen Diskriminierung
Nach Rassismusvorwürfen im Bereitschaftsdienst nimmt die Kassenärztliche
Vereinigung Bremen Änderungen vor. Allerdings nur an einer Präambel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.