# taz.de -- Gesundheitszentrum ersetzt Krankenhaus: Versuch einer Heilung | |
> In Ankum-Bersenbrück hat Niedersachsens erstes Regionales | |
> Gesundheitszentrum eröffnet. Geschlossen wurde dafür das örtliche | |
> Krankenhaus. | |
Bild: Zuletzt war hier jedes zweite Bett leer: Das Marienhospital Ankum-Bersenb… | |
OSNABRÜCK taz | Die Nachricht klingt gut: Seit Anfang April 2023 ist das | |
Marienhospital Ankum-Bersenbrück Niedersachsens erstes Regionales | |
Gesundheitszentrum (RGZ). Das RGZ sei „ein wohnortnahes und gleichzeitig | |
qualitativ hochwertiges Zentrum modernster medizinischer Grundversorgung“, | |
lobt Andreas Philippi (SPD), Niedersachsens Gesundheitsminister. Es stelle | |
die lokale Gesundheitsversorgung sicher, „wo ein Krankenhaus nicht oder | |
nicht mehr besteht“. Das klingt dann schon weniger gut. | |
In Ankum-Bersenbrück gilt: nicht mehr. Das 163 Jahre alte Marienhospital | |
ist tot. Vor der Umwandlung war es ein klassisches | |
Grundversorgungs-Krankenhaus. 115 Betten groß, beschäftigte es rund 360 | |
Mitarbeitende. Jetzt, als RGZ, hat es nur noch 15 Betten, die Zahl der | |
Beschäftigten ist auf 125 gesunken. Ein Wandel, möglich geworden durch das | |
Anfang des Jahres in Kraft getretene neue Niedersächsische | |
Krankenhausgesetz, das eine enge Kombination von Stationärem und Ambulantem | |
erlaubt. | |
Der Wandel zum RGZ werde, sagt Philippi, „den Bürgerinnen und Bürgern | |
direkt zu Gute kommen“. Sonderlich glücklich waren viele dieser Beschenkten | |
allerdings nicht: Tausende von ihnen sind für ihr altes Krankenhaus auf die | |
Straße gegangen, mit Plakaten wie „Finger weg!“, Wut ist hochgekocht, | |
Enttäuschung. | |
„Ich kann den Unmut der Bevölkerung nachvollziehen“, sagt Werner Lullmann | |
der taz, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken, die sich selbst als | |
„größten Gesundheitsverbund im Raum Osnabrück und dem Emsland“ bezeichnen | |
und das Marienhospital zum RGZ umstrukturiert haben. „Leider war da viel | |
Uninformiertheit im Spiel; die Politik informiert die Bevölkerung ja | |
generell sehr schlecht über die Rahmenbedingungen der | |
Gesundheitsversorgung.“ Insgesamt gelte für Ankum und Bersenbrück: „In | |
Summe wird die Versorgung der Bevölkerung besser. Es geht mehr in Richtung | |
Spezialisierung, Ambulanz. Allerdings werden die Menschen dafür weitere | |
Wege in Kauf nehmen müssen.“ | |
Das RGZ bewahrt die Kommune vor einem Sturz ins medizinische Nichts. Jetzt | |
hat die neue Ära begonnen. Mit einer chirurgischen, einer internistischen | |
und einer orthopädischen Praxis. Plus, demnächst, Kurzzeit- und | |
Langzeitintensivpflege. | |
Allerdings gibt es keine Intensivstation mehr, keine | |
24/7-Notfallversorgung. Die Geburtshilfe verschwindet absehbar ins rund 20 | |
Kilometer entfernte Quakenbrück. | |
Wer eine Gelenkersatz-OP braucht, wird in Ankum nur ambulant nachbetreut. | |
Wer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hat, wird zwar erstversorgt, dann | |
aber verlegt. Ein Polytrauma, nach einem Verkehrsunfall? Im RGZ hat es | |
nichts zu suchen. Einfaches, von der Armfraktur bis zur | |
Blinddarmentfernung, geht aber nach wie vor. | |
„Die Medizin verändert sich“, sagt Werner Lullmann. „Sie spezialisiert s… | |
immer mehr. Früher wandte man sich mit allem an den Grundversorger, heute | |
geht man zur optimalen Behandlung in große Zentren, für mehr | |
Behandlungstiefe und Expertise. Die Verfeinerung der medizinischen | |
Techniken führt zudem dazu, dass heute ambulant behandelt werden kann, was | |
früher einen mehrtägigen Klinikaufenthalt erfordert hat.“ | |
Das Marienhospital steht heute halb leer. Sein Tod hatte auch | |
wirtschaftliche Gründe: Vor der Umwandlung, für die das | |
Gesundheitsministerium bis zwei Millionen Euro als Fördermittel zuschießt, | |
war die Auslastung dürftig. Durchschnittlich lagen nur 60 | |
Stationärpatienten hier – jedes zweite Bett war leer. | |
Dass sich das Marienhospital nur als RGZ über Wasser halten kann, spiegelt | |
ein bundesweites Phänomen: Deutschlands Krankenhäusern geht es schlecht. | |
Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft | |
(DKG), hat Mitte März auf dem „Krankenhausgipfel“ der DKG in Berlin eine | |
alarmierende Bilanz gezogen: „Wegen des fehlenden Inflationsausgleichs sind | |
bis Ende 2022 bereits 6,7 Milliarden Euro an [1][Defiziten] aufgelaufen, | |
und aktuell kommen jeden Monat 740 Millionen Euro dazu“, sagte Gaß. „Die | |
Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele Kliniken | |
werden die politische Therapie des Abwartens nicht überleben.“ | |
„Auf Geschäftsführerebene machen wir uns große Sorgen, wie wir die | |
[2][medizinische Versorgung in Zukunft aufrecht erhalten können]“, sagt | |
Lullmann. „Die Bundespolitik zieht da gerade den Stöpsel, und die | |
Finanzierung wird immer schlechter. Man lässt das Gesundheitspersonal | |
[3][im Regen stehen].“ Sein Eindruck ist: „Bundesgesundheitsminister | |
Lauterbach ist es egal, ob Kliniken in die Insolvenz gehen. Es wirkt so, | |
als wolle man sie böswillig empfänglicher für die [4][große | |
Gesundheitsreform] machen, die für Ende des Jahres angekündigt ist.“ | |
Dass in Ankum 260 Arbeitsplätze weggefallen sind, sieht er nicht als | |
Problem: „Wir haben immer gesagt: Jeder, der möchte, wird auch in Zukunft | |
einen sicheren Arbeitsplatz bei uns im Verbund haben, nur eben nicht mehr | |
am Standort Ankum. Für alle anderen gilt: Sorge, länger arbeitslos zu sein, | |
muss niemand haben, denn die [5][personellen Engpässe im Gesundheitswesen | |
sind groß].“ | |
„Als Land haben wir selbstverständlich ein großes Interesse daran, dass | |
alle Menschen in Niedersachsen medizinisch gut versorgt werden“, sagt Anne | |
Hage, Sprecherin des Gesundheitsministeriums, der taz, über die RGZ als | |
„neue Form der medizinischen Versorgung“. Deshalb sei man bereit, ihren | |
Aufbau zu unterstützen, „wenn die Akteure vor Ort sich dafür entscheiden“. | |
Es gebe „weitere Interessenten und Bewerbungen, die allerdings derzeit noch | |
in der Begutachtung sind“. Das Ministerium rechne mit drei bis sechs | |
weiteren Standorten in den kommenden Jahren. | |
Mit den ebenfalls gesundheitsversorgerischen Regionalen Versorgungszentren | |
(RVZ), ein Modellprojekt seit 2020, dürfen die RGZ übrigens nicht | |
verwechselt werden. Sie werden durch das Niedersächsische Ministerium für | |
Regionale Entwicklung gefördert. Es handle sich um „unterschiedliche | |
Modelle“, erklärt Hage. Ein wesentlicher Teil des RVZ-Konzepts sei die | |
Einbindung eines hausärztlichen Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in | |
kommunaler Trägerschaft. | |
RGZ, RVZ, MVZ? „Selbst Fachleute werfen das durcheinander“, sagt | |
Klinikbetreiber Lullmann. „Generell gilt: Wir müssen der Bevölkerung die | |
Notfallversorgung viel transparenter erklären. Dafür sind solche | |
verwechselbaren Begrifflichkeiten nicht produktiv.“ | |
11 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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