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# taz.de -- Kommissionschef über Krankenhausreform: „Es war noch nie so dram…
> Der Psychiater Tom Bschor leitet die Kommission, die die größte
> Gesundheitsreform seit 20 Jahren erarbeitet. Er findet, sie ist bitter
> nötig.
Bild: Eine kluge Reform erarbeiten, mit der die Bevölkerung gut versorgt ist, …
wochentaz: Herr Bschor, Sie leiten das 17-köpfige Expertengremium, das
derzeit die Krankenhausreform erarbeitet. Aus wem genau besteht die
Kommission?
Tom Bschor: Wir sind sieben Ärztinnen und Ärzte, vier Juristinnen und
Juristen, drei Gesundheitsökonominnen und Ökonomen, eine
Pflegewissenschaftlerin und eine Arbeitswissenschaftlerin. Für mich als
Leiter ist das aktuell meine Hauptbeschäftigung, die anderen machen das
ehrenamtlich nebenbei.
Inwiefern sind ausgerechnet diese 17 Menschen für den Entwurf der größten
Reform des Gesundheitswesens in den vergangenen 20 Jahren legitimiert?
Tom Bschor: Ach ja, das ist eine Kritik, die auch von der Deutschen
Krankenhausgesellschaft kommt. Wir sind beratendes Expertengremium einer
demokratisch legitimierten Regierung. Wir machen selber keine Gesetze. Das,
was wir vorschlagen, ist die Basis für den anschließenden politischen
Umsetzungsprozess. An der von uns im Dezember vorgelegten großen
Finanzierungsreform wird zum Beispiel gerade ganz intensiv zwischen Bund,
Ländern und Regierungsfraktionen gearbeitet. Wir sind auch nicht so naiv zu
glauben, dass das alles eins zu eins umgesetzt wird.
Berufen hat Sie das Gesundheitsministerium. Welche politischen Vorgaben
kamen von dort?
Wir sind wirklich unabhängig. Wir haben selber am Anfang in den
Koalitionsvertrag geschaut, was sich die Regierung vorgenommen hat. Da
stehen drei Fächer mit besonders eiligem Reformbedarf drin: Pädiatrie,
Geburtshilfe und Notfallmedizin. Von daher fanden wir es klug, uns dazu
zuerst zu äußern. Aber ich muss wirklich sagen, der Minister greift nicht
ein. Seine einzige Vorgabe war: Denken Sie grundsätzlich, drehen Sie das
ganz große Rad.
Wie groß ist der Einfluss von Lobbyisten auf die Kommission?
Es gibt wie gesagt keine Politiker in der Kommission. Und auch nicht die
üblichen Vertreter, die zwar eine große Expertise im Gesundheitswesen
haben, aber eben auch eigene Interessen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Krankenkassen zum Beispiel …
Oder der Marburger Bund, der Deutsche Pflegerat … Deren Sicht hören wir an,
ihre Expertise ist wichtig, aber sie schreiben eben nicht direkt mit. Das
gab am Anfang viel Protest und Ärger, hat sich aber sehr beruhigt. Ich
glaube, sonst hätten wir auch noch keine einzige Empfehlung fertig.
Was ist Ihre Leitidee für die Reformen?
Eine kluge Reform zu erarbeiten, mit der die Bevölkerung gut versorgt ist,
und zwar ohne sinnlose Verschwendung von Ressourcen. Das ist im Moment eben
nicht so. Wir haben über 1.000 Kliniken, die Rückenoperationen machen, aber
nur 330 für Kinderheilkunde. Und das ist nur ein Beispiel, wie schief das
System ist.
Die Kliniken fürchten, durch Ihre Reform kommt es zu Schließungen.
Von Krankenhausschließungen steht doch gar nichts in dem Papier. Im Moment
machen auch kleinere Krankenhäuser ein paarmal im Jahr richtig schwere,
komplizierte Operationen, weil die viel Geld bringen und die Ärzte Druck
bekommen von der ökonomischen Geschäftsführung. Ich habe selber Jahrzehnte
im Krankenhaus gearbeitet, ich kenne das Prinzip sehr gut. Aber das macht
eben keinen Sinn, die Sterblichkeit der Patienten ist in diesen Fällen
deutlich erhöht. Wir unterteilen die Kliniken deshalb in drei
Versorgungslevels. Die Level-1-Kliniken, also die Grundversorger, machen
weiter wichtige Arbeit. Aber eben nicht mehr die Behandlungen, die seltener
sind und für die man besondere Expertise braucht.
Der Städte- und Gemeindebund kritisiert, dass sich diese schon jetzt
[1][angeschlagenen Kliniken] dann gar nicht mehr finanzieren könnten.
Diese Sorge folgt der alten Finanzierungslogik. Die Grundversorger würden
mit unserer Reform anders finanziert, über hohe Vorhaltepauschalen. Eine
Schließung ist nicht beabsichtigt und auch nicht zwischen den Zeilen
unserer Empfehlung versteckt.
Wird die Versorgung in der Fläche nicht trotzdem schlechter, weil
Patient*innen dann für spezielle Behandlungen viel weiter fahren müssen?
Warum soll das schlechter werden, als es im Moment ist? Wenn ich die
bestehenden Krankenhäuser in diese Level einteile, wird zum ersten Mal
überhaupt sichtbar, welche Lücken in der Versorgung bestehen. Wenn die
Bundesländer dann feststellen, dort und dort fehlt ein Level-2-Krankenhaus,
dann müssen sie eben ein bisheriges Level-1-Krankenhaus entsprechend
ausrüsten.
Wie viele Level-1-, Level-2- und Level-3-Kliniken können wir uns leisten in
Deutschland?
Das ist die völlig falsche Fragestellung. Man muss ausgehen von der
Bevölkerung: Wo wohnen wie viele Menschen mit welcher Altersstruktur, mit
welcher Krankheitsstruktur und mit welcher Sozialstruktur? Und dann muss
sich eine gute Krankenhausplanung der Bundesländer überlegen, wo welche
Krankenhäuser mit welcher Versorgungsstufe notwendig sind. Das haben wir im
Moment gar nicht. Wir haben historisch gewachsene Krankenhausstrukturen mit
Unterversorgung in den einen und Überversorgung in den anderen Bereichen.
Bayerns Gesundheitsminister hat sich wortgewaltig beschwert, die Reform sei
ein unzumutbarer Eingriff in die [2][Krankenhausplanungskompetenz der
Länder].
Die Krankenhausplanung ist und bleibt Ländersache, und wo in Bayern ein
Level-1-, Level-2-, Level-3-Krankenhaus steht, entscheidet niemand anderes
als das Land Bayern. Bayern ist auch isoliert in dieser fundamentalen
Kritik.
Aber die von Ihnen vorgeschlagenen Kriterien haben Auswirkungen auf die
Finanzierung, die die Bundesländer vom Bund bekommen.
Das ist auch richtig so. Denn sowohl die Krankenhausfinanzierung als auch
die Qualitätssicherung sind eben Bundeskompetenz. Wichtig sind
bundeseinheitliche Kriterien. Wenn die Länder hier individuelle Ausnahmen
formulieren, wird das teurer, ohne dass die Versorgung verbessert wird.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft findet, ohne zusätzliches Geld
funktioniert eine solche Reform nicht.
Es ist ja quasi ihr Job, das zu sagen. Es war die Lösung der letzten 20
Jahre, dass man alle Probleme im Krankenhauswesen durch zusätzliches Geld
zugekleistert hat, ohne dass man an die strukturellen Defizite rangegangen
ist. Das funktioniert aus zwei Gründen nicht mehr: Wir haben jetzt andere
Krisen, die so viel Geld kosten, dass nicht noch mal 100 Milliarden für die
Krankenhäuser so einfach zu realisieren sind. Und das zweite Problem: Wir
haben einen extremen Personalmangel, der sich noch verschärfen wird und der
ganz besonders den Gesundheitssektor trifft, weil das ein sehr
personalintensiver Bereich ist. Auch mit zusätzlichem Geld kann man sich
das fehlende Personal nicht backen.
Also ist genug Geld im System, nur falsch verteilt?
Wir haben 50 Prozent mehr Krankenhausbetten und auch 50 Prozent mehr
Behandlungen als unsere europäischen Nachbarn. Das liegt daran, dass wir
mit dem bisherigen System Fehlanreize auf immer mehr Fälle hatten. Der
Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag 1992 noch bei
9,4 Prozent, inzwischen sind wir bei 13,1 Prozent. Insgesamt geben wir viel
mehr Geld für das Gesundheitswesen aus als andere europäische Länder, deren
Versorgungsniveau und Lebenserwartung gleich hoch ist oder sogar höher.
Gibt es ein besonders gutes Beispiel in Europa, an dem Sie sich auch
inhaltlich orientieren?
Da gibt es nicht das eine Vorbildland. Aber es gibt überall Elemente, die
klüger gelöst sind als in Deutschland. Wir sitzen ja auch nicht vor einem
weißen Blatt Papier und malen uns die Deutschlandumrisse und dann das
ideale Krankenhaussystem drauf. Wir müssen schauen, was sich aus anderen
Ländern auf unser System übertragen lässt. Und außerdem, was in Deutschland
in der Vergangenheit funktioniert hat und was nicht. Die kluge Lösung ist,
Dinge zu kombinieren.
In keinem anderen Land in Europa werden stationäre und ambulante Versorgung
so getrennt voneinander gedacht. Und nun sitzen in Ihrer Kommission wieder
nur Krankenhausärzt*innen.
Wir haben auch deshalb so viele stationäre Behandlungen, weil die
Krankenhäuser das gar nicht anders abrechnen können. Mit all den
Nachteilen, die sich daraus auch für die Patient*innen ergeben. Wir
sind zwar in erster Linie eine Regierungskommission zur Reform des
Krankenhauswesens, völlig richtig. Aber die Schnittstellen zum ambulanten
Bereich müssen eine große Rolle spielen. Das versuchen wir in unseren
Empfehlungen zur Krankenhausfinanzierung und zur Notfallversorgung auch zu
berücksichtigen. Aber das ist nur ein Einstieg. Wir haben eine
Arbeitsgruppe, die sich nur mit der sektorübergreifenden Behandlung
beschäftigt. Auch da werden wir bald eine Empfehlung vorlegen.
Gibt es eine Kritik, bei der Sie sagen, oh ja, das haben wir vielleicht
noch nicht ausreichend berücksichtigt?
Ja, durchaus. Ich glaube in der Tat, dass unsere Kriterien, wann man
Level-2-Krankenhaus wird, etwas zu streng sind. Das wird im politischen
Umsetzungsprozess auch schon überarbeitet.
Fürchten Sie, dass am Ende vom Reformvorhaben nicht viel übrig bleibt?
Ich bin inzwischen ziemlich optimistisch, dass vieles davon umgesetzt wird.
Zum einen war die Lage noch nie so dramatisch, und Krisen sind immer auch
die Chance auf grundlegende Veränderungen. Unsere bisherigen Empfehlungen
wurden sehr rasch angegangen und sind zum Teil bereits umgesetzt. Und
zweitens: Man kann zu ihm stehen, wie man will, aber wir haben einen in
vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Bundesgesundheitsminister. Der versteht,
wovon wir reden, und er will auch Gesundheitsminister sein. Der macht das
nicht nur, weil kein anderer Kabinettsposten frei war und er eigentlich
Kanzler werden will. Und da ich das jetzt so eine Weile verfolge, würde ich
sagen, er ist doch ein Stück resistenter gegenüber Lobbyinteressen.
Welche weiteren Reformvorschläge sind von Ihnen zu erwarten?
Der Bundesgesundheitsminister hat sich ein Reißverschlussverfahren von uns
gewünscht. Das heißt, wir sitzen nicht zwei Jahre im Studierzimmer und
legen dann ein telefonbuchdickes Gutachten vor. Sondern wir bearbeiten nach
und nach die dringenden Themen. Als nächstes stehen da auf der Agenda: Die
besonderen Herausforderungen der Psychiatrie und Psychosomatik, dann die
sektorübergreifende Behandlung, außerdem ist die Finanzierung der
Investitionen in die Krankenhäuser ein Riesenthema. Wir beschäftigen uns
auch weiter mit der Pädiatrie und Geburtshilfe. Ganz wichtig ist auch die
Qualitätssicherung. Sie sehen: Die Arbeit geht uns definitiv nicht aus.
Beim vor 20 Jahren eingeführten [3][Fallpauschalensystem] war schon nach
wenigen Jahren klar, dass es so nicht funktioniert. Wie lange sollen Ihre
Reformen halten?
Für die nächsten 30 Jahre. Das ist zumindest der Anspruch, mit dem wir da
rangehen.
12 Mar 2023
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## AUTOREN
Manuela Heim
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