| # taz.de -- Gesundheit in Deutschland: Der lange Weg zur Revolution | |
| > Kann das Kliniksterben aufgehalten werden? Klar ist, Krankenhäuser | |
| > brauchen mehr Geld. Doch die Länder sehen sich finanziell am Limit und | |
| > wollen erst einmal verhandeln. | |
| Bild: Auftakt zur Krankenhausreform: Karl Lauterbach nach einem Treffen mit den… | |
| Berlin taz | Gleich in der ersten Sitzung von Bund und Ländern zur | |
| Krankenhausreform dominiert Ratlosigkeit. Die prekäre Situation der | |
| Kliniken bundesweit ist allen klar: Es fehlt an Personal, an ausreichend | |
| Geräten, die Gebäude sind nicht entsprechend ausgestattet. 60 Prozent der | |
| Krankenhäuser befänden sich in einer finanziellen Notlage, sagt | |
| [1][Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach] (SPD). Doch wie soll das | |
| seit Jahrzehnten aufgebaute Defizit abgebaut werden? | |
| Eine konkrete Antwort hat an diesem Donnerstag keiner. „Das Bett als | |
| Finanzierungsgrundlage hat ausgedient“, sagt Karl-Josef Laumann (CDU), | |
| Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen. Seine niedersächsische | |
| Ressortkollegin Daniela Behrens (SPD) spricht von einer „Mammutaufgabe“ und | |
| von der Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Deutschland. Behrens | |
| setzt auf eine Reform, die mindestens „die nächsten 15 Jahre hält“. Aber | |
| sie sagt auch: Eine hochqualitative Anwendung von Krebsbehandlungen brauche | |
| man nicht überall an allen Krankenhäusern. Eine Geburtshilfe dagegen schon. | |
| Alle Länder wollen aber, dass die Krankenhausplanung in ihren Händen | |
| bleibt. | |
| Arbeitsgrundlage für das Treffen am Donnerstag war ein Vorschlag für ein | |
| besseres Vergütungssystem. Ausgearbeitet von einer Expert:innenrunde | |
| mit dem sperrigen Namen „Regierungskommission für eine moderne und | |
| bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Bei der [2][Vorstellung des | |
| Reformvorschlags] Anfang Dezember wurde nicht mit markigen Worten gespart. | |
| Lauterbach sprach von einer Revolution. Und Christian Karagiannidis, | |
| Intensivmediziner und Mitglied der Kommission, warnte, dass es sich um den | |
| letztmöglichen Zeitpunkt handele, um den „Tanker Krankenhausversorgung vorm | |
| Kentern herumzureißen“. | |
| ## Wirtschaftlichkeit nicht komplett in den Hintergrund | |
| Im Kern geht es bei dem Vorstoß darum, die Behandlung in den knapp 2.000 | |
| Krankenhäusern künftig mehr an medizinischen statt an ökonomischen | |
| Kriterien auszurichten. Dazu soll – wie Lauterbach es formuliert – das | |
| Fallpauschalen-System überwunden werden. Seit 2004 werden fast alle | |
| Behandlungsleistungen in den Kliniken über Fallgruppen abgerechnet. Der | |
| Effekt: Schwierige und spezielle Operationen, bei denen Patient:innen | |
| aber nicht lange im Krankenhaus bleiben müssen, rentieren sich mehr als | |
| langwierige Behandlungen, die längere Klinikaufenthalte erfordern. | |
| Getroffen hat es vor allem kleinere Krankenhäuser, die eigentlich nicht in | |
| der Lage waren, Spezialbehandlungen wie komplizierte Krebstherapien | |
| anzubieten. Damit die Kliniken dennoch viel Gewinn abwerfen, wurden teurere | |
| Eingriffe bevorzugt und Ärzt:innen dafür mit Prämien belohnt. Die | |
| Geburtshilfe oder die Kinder- und Jugendmedizin wurden dagegen als | |
| unrentabel gesehen und vernachlässigt. Kliniken mussten schließen. | |
| Jetzt soll die Wirtschaftlichkeit zwar nicht komplett in den Hintergrund | |
| geraten, aber die Fallpauschalen „weiterentwickelt werden“. Werden sie | |
| gesenkt, soll das auch die Anreize senken, möglichst viele Patienten zu | |
| behandeln. Im Gegenzug sollen die Kliniken feste Beträge für Personal, eine | |
| Notaufnahme oder notwendige Medizintechnik bekommen. Zudem sollen sie | |
| bundesweit drei Kategorien zugeordnet werden: Kliniken zur Grundversorgung, | |
| zur „Regel- und Schwerpunktversorgung“ und zur „Maximalversorgung“. | |
| Aber: Die Sorge in den Ländern ist groß, dass die Reform kleinere Kliniken | |
| zum Aufgeben zwingt, vor allem im ländlichen Raum, wie Brandenburgs | |
| Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) glaubt. Die Reform | |
| betrifft nur die Betriebskosten der Krankenhäuser. Bei den | |
| Investitionskosten sind die Länder gefragt. | |
| Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist | |
| skeptisch. Sie fordert eine Abschaffung der Fallpauschalen. „Der Notstand | |
| in den Krankenhäusern ist Ergebnis der Regierungspolitik der letzten | |
| Jahrzehnte“, sagte Vogler der taz. Nur noch rund 200 aller Kliniken hätten | |
| eine Kinderstation. „Und auch diese können nicht alle betrieben werden, | |
| weil es zu wenige Pflegekräfte gibt und in der akuten Krankheitswelle auch | |
| noch viele ausfallen.“ | |
| Zum Abschluss des Treffens spricht Lauterbach von einem „Konsens, den er | |
| gespürt hat“. Er weiß, dass er die Länder braucht, damit die Reform | |
| wirklich zündet. Bis zur Sommerpause will er gemeinsam mit den Ländern | |
| einen Vorschlag erarbeiten, der dann in einen Gesetzentwurf münden soll. | |
| 5 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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