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# taz.de -- Wahlen in Kroatien: Ein Wärterhäuschen als Wahlurne
> In einem kleinen Dorf an der Adria offenbart sich während der kroatischen
> Parlamentswahlen das größte Problem des Landes: Korruption.
Bild: Jubel beim alten und neuen Premierminister Darko Vojinovic am 18. April
Vergangenen Mittwoch wurde an der Mole im kleinen Dorf an der Adria (Ost)
die kroatische Fahne gehisst. Zum ersten Mal war der 17. April ein
Feiertag, der amtierende Präsident des Landes, [1][Zoran Milanović], hatte
ihn dazu erklärt, um mitten in der Woche [2][Parlamentswahlen] abzuhalten.
Die einen hielten ihn deswegen für äußerst klug, die anderen für komplett
unzurechnungsfähig.
Zoran Milanović ist politisch und rhetorisch ein populistischer Hasardeur.
So stellte er sich selbst als Kandidat für den Ministerpräsidentenjob auf,
obwohl ihm das per Verfassungsgericht als amtierender Präsident untersagt
wurde. Der Sozialdemokrat wollte dennoch „Ministerpräsident mit Charakter“
werden.
Sein Wahlkampf bestand im Wesentlichen darin, den seit 2020 regierenden
Ministerpräsidenten als „Paten der Kriminellen“ zu beschimpfen, dessen
Regierung als „korrupteste der kroatischen Geschichte“ und dessen Partei,
die HDZ, als „kriminelles Kartell“. Der wiederum bezeichnete den
Präsidenten als „Verfassungsverbrecher“ und „politischen Schädling“.
Am Mittwoch nun war im kleinen Dorf [3][an der Adria] (81 Einwohner) nach
einem passenden Wahllokal gesucht worden. Das einzige staatliche Gebäude im
Ort, das Büro für Tourismus, war verschlossen, und niemand – so die
offizielle Version – wusste, wer den Schlüssel hat. Kurzerhand wurde das
Wärterhäuschen auf dem Privatparkplatz bei den Mülltonnen zur Wahlurne.
Eine Kroatienfahne wurde an den Bretterverschlag gehängt und
Wahlhelfer*innen mit „Miami Vice“-Sonnenbrillen davorgestellt. Anderswo
im Land hatte es lange Warteschlangen vor den Wahlurnen gegeben, hier
nicht.
## Wahl zwischen kriminell und verbrecherisch
Der Blick der Wahlhelfer*innen vor dem Parkplatzwächterhäuschen
schweifte über das Meer zu einem illegalen Jachthafen, die Küste entlang an
illegalen Bungalows des größten Mafiosos der Riviera und über ein kleines
Strandhotel, das im fortgeschrittenen Stadium verfällt und unter
Architekturkenner*innen weltweit als herausragendes Exemplar des
jugoslawischen Brutalismus gilt.
Kroatien hat den als Ufo gestalteten und ohne eine einzige Treppe
auskommenden Bau als staatliches Kulturerbe deklariert, ist aber
gleichzeitig verantwortlich für dessen mutwillige Zerstörung: Auch nach
über 30 Jahren Leerstand steckt der Staat keinen Cent in die Sanierung des
Hotels. Warum?
Mutmaßlich, weil einer der hier herrschenden Mafiosi, seit Jahren von
Interpol gesucht, nur darauf wartet, dass der Bau in sich zusammenfällt, um
ihn abreißen und einen zeitgenössischen Billigschrottbau mit 500 Betten mit
Balkonscheiben aus schwarz getöntem Glas hinbauen zu können.
## Die Wahl zwischen kriminell und verbrecherisch
Mit Blick auf die Auswüchse der Korruption inmitten malerischer Küste mit
Berg und Inseln konnten die Anwohner*innen am 17. April zwischen
kriminell und verbrecherisch wählen. Stärkste Partei, wenn auch nicht
allein regierungsfähig, wurde erneut die des Ministerpräsidenten. Die einen
sehen deshalb seinen Herausforderer, den Präsidenten, als großen Verlierer.
Die anderen wissen: Egal, mit welchem der beiden Spaßvögel wird die
Korruption in Kroatien das größte Problem bleiben. Allein im kleinen
Adriadorf wissen alle, dass der Staat dem Parkplatzbesitzer einen kleinen
Gefallen schuldig ist.
Ob sich Milanović und die Sozialdemokraten mit Ablauf dieser
Parlamentswahlen einen Gefallen getan haben, wird sich erst zeigen. Nach
der Wahl fällt der vorher nur rüpelnde und polternde Herausforderer vor
allem durch Schweigen auf. Korruption bekämpfen zu wollen, indem die
Legislative ignoriert wird – so richtig gezündet scheint das nicht zu
haben.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Sozialdemokratie auf solche Ideen
kommt und dass man sich darüber auch außerhalb Kroatiens nicht mal mehr
wundert?
21 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Doris Akrap
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