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# taz.de -- Touristensaison in Kroatien: Wenn eine andere Stimmung herrscht
> So sieht Krieg aus. Während ein Land zerstört wird, fährt Europa in den
> Urlaub und lässt sich von Angehörigen der Kriegsopfer die Dusche putzen.
Bild: Jeden Tag kommen ein paar Touristen mehr zum Strand
Die Saison hat begonnen. Mit dem 1. Juni müssen an der [1][kroatischen
Küste] sämtliche Bauarbeiten beendet sein, bei denen Lärm und Dreck
entsteht. Natürlich gilt das nur für die, die nicht über sehr gute
Beziehungen in die oberen Etagen der Verwaltungsbehörden verfügen, womit
ein paar weitere Tage rausgeschlagen werden können.
Mit jedem Tag liegt [2][nun ein Touristenpaar mehr am Strand], steigt die
Zahl verkaufter Pommes-frites-Teller und schrumpft die der Parkplätze in
Küstennähe. Noch immer hämmert hier und da einer an seiner Beachbar rum,
überall wird gestrichen, geputzt, gekärchert.
Letzteres macht das Geräusch, das seit einigen Jahren die Saison einleitet
wie früher das Zirpen der ersten Zikaden, und geht ungefähr so:
drrrrrrrrrbbbbbbbboooooooooooo. Es kommt von diesen kleinen gelben
Maschinen, aus deren Rohr ein extrem starker Wasserstrahl auf alles
draufgehalten wird, was nicht bei drei auf der Palme sitzt.
## Ein Gespräch aus „Ah“ und „Oh“
Auch mein Nachbar im kleinen Dorf an der Adria (Ost) hat so ein Gerät. Als
er sein Haus vor ein paar Tagen fertig gekärchert hat, steht plötzlich
seine Haushälterin Darja aus der Ukraine auf seiner Terrasse. Da sie kein
Kroatisch und ich kein Ukrainisch spreche, verstehen wir uns null. Mit
großen Gesten, Umarmungen, Küsschen auf die Backen lässt sich die Freude
über das Wiedersehen aber eindeutig bekunden.
Und na ja, was redet man so, wenn man sich nicht kennt, von Nachbar zu
Nachbarin? Wie war die Fahrt, wie geht es Kinder, Mann, Garten und
Gelenken? Die sympathische, offenherzige Darja, die in Wahrheit anders
heißt, weiß um dieses Prinzip und redet einfach drauflos. Da die Antworten
meinerseits vor allem aus „Ah“ und „Oh“ und „Ich verstehe leider kein…
bestehen, kommt kein Gespräch zustande, und so winken wir uns wieder zu,
die eine geht weiter den Pool putzen, die andere die Laken für die
kommenden Gäste bügeln.
Die Sonne scheint, das Meer umspült die alte Mole und den illegalen
Jachthafen. Es ist wie immer paradiesisch. Jedenfalls solange Kärcher,
Betonmischer und Bohrmaschinen den Sound bestimmen. Ab dem Moment, wenn
statt der Maschinen die Touristen Lärm und Dreck produzieren, wird eine
andere Stimmung herrschen.
## Was hälfe es, nicht in den Urlaub zu fahren?
Auch in Kroatien herrscht Arbeitskräftemangel. Viele Ukrainerinnen sind
seit Putins Krieg hier zur Saisonarbeit. Auch Darja war letztes Jahr schon
hier. Ihr Ehemann, so viel hatte ich verstanden, war an der Front.
Was ich bei unserer Unterhaltung vor ein paar Tagen auf der Terrasse nicht
verstanden hatte: Er war im Frühjahr gefallen, ein paar Tage vorher ihr
ältester Sohn. Ihr jüngster Sohn war nach Israel geflohen, um dem
Armeedienst zu entgehen, aber zur Beerdigung seines Vaters und seines
Bruders in die Ukraine zurückgekehrt und auf dem Friedhof festgenommen
worden. Nun ist er an der Front.
So sieht Krieg aus: Während ein Land in Schutt und Asche gelegt wird und
Menschen sterben, fährt der Kontinent in den Urlaub und lässt sich von
Angehörigen der Kriegsopfer die Dusche putzen. Moralisch verwerflich ist
daran nichts. Was hälfe es, nicht in den Urlaub zu fahren angesichts der
dritten Sommersaison dieses Kriegs, in der Europa und Amerika immer noch
die gleichen Argumente für und gegen eine Flugverbotszone und
Waffenlieferungen austauschen.
[3][Donnerstagabend sickert die Meldung durch], dass Joe Biden der Ukraine
erlaubt, US-amerikanische Waffen gegen russische Ziele einzusetzen. Ich hab
keine Ahnung, warum das erst jetzt passiert. Ich weiß nur, dass ich hilflos
vor Darja stehe und nicht erklären kann, warum Deutschland vor zwei Jahren
wochenlang über die Lieferung von ein paar Helmen diskutiert hat.
1 Jun 2024
## LINKS
[1] /Kroatien/!t5021636
[2] /Relative-Ruhe-an-der-kroatischen-Adria/!5775600
[3] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6014165
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kolumne Geraschel
Kroatien
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
Tourismus
Schwerpunkt Europawahl
Identitätspolitik
Kolumne Geraschel
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