# taz.de -- Amalfiküste in Italien: Im Hinterland, wo die Zitronen blühen | |
> Die Zitronen geben den Bauern dieser süditalienischen Region kein | |
> Auskommen mehr. Deshalb setzen sie auf Feriengäste. | |
Bild: Von der Amalfiküste kommen die besten Zitronen der Welt. | |
Über zweitausend Zitronenbäume hat Salvatore Aceto. Salvatore – der Retter, | |
der Erlöser. Aceto – der Essig. „Wenn Wein schlecht wird, dann ist es | |
Aceto“, sagt Ornella, Salvatores Frau und schüttelt die Hand, als habe sie | |
sich am Wort verbrannt. Der Name – schon irgendwie passend, wenn es um | |
Zitronen geht, aber zu viel Säure verdirbt alles. Seinen Sohn haben die | |
Acetos Antonio genannt nach dem Großvater – auch das eine Bestimmung. Aber | |
Antonio, 27, wird nicht so recht warm mit den Zitronenbäumen seines Vaters. | |
Noch nicht. | |
Salvatore Aceto hat seine Zitronengärten in Minori und Maiori an der | |
Costiera Amalfitana unterhalb Neapels. Es sind zwei einfache, vom | |
Massentourismus übergangene Ortschaften, an dieser, das sagen die John | |
Steinbecks, Vita Sackville-Wests, Richard Wagners, atemberaubendsten Küste | |
Italiens. Weltkulturerbe ist sie. Und diese zwei einfachen Dörfer machen | |
sie authentisch. | |
Acetos Gärten sind auf Terrassen dem steil abfallenden Felsen zur Küste hin | |
abgerungen. Vorne das Meer, hinten die Berge, das hättest du gerne, sagte | |
Tucholsky (sinngemäß) und machte sich über den Weltkenner lustig, der sich | |
nach so einer Alles-inklusive-Landschaft sehnt – aber damit klar kommen | |
muss, dass es so etwas nicht gibt. An der Amalfiküste gibt es so etwas | |
doch. Salvatore Aceto schleppt die Koffer seiner Gäste zweihundert Stufen | |
den Berg hinauf, denn um ein Auskommen zu haben in der Gegenwart, hat er | |
einen Campingplatz im Zitronenhain eingerichtet und das kleine Häuschen, in | |
dem früher die Feldarbeiter und Hirten übernachteten, zu zwei | |
Ferienwohnungen ausgebaut. | |
„Abita in cielo?“ – Wohnt man im Himmel? Der 58-Jährige verneint, währe… | |
er, die Last auf der Schulter tragend, auf die atemlos gewordenen Gäste | |
wartet. „Non in cielo, in paradiso.“ – Nicht im Himmel, im Paradies. | |
Zitronen haben der Amalfiküste eine Zeitlang zu Wohlstand verholfen. Schon | |
zur Zeit der Römer wurden sie – einst eingeführt aus dem arabischen Raum – | |
kultiviert. Sie waren „gelbes Gold“. Denn die Seefahrer der autonomen | |
Seefahrerrepublik Amalfi brauchten sie gegen Skorbut. | |
## Konkurren eines glogalisierten Marktes | |
„Heute aber kommen die Zitronen aus Asien, aus Afrika auf die europäischen | |
Märkte“, klagt Aceto. Das gelbe Gold ist nun gelber Messing. Dabei seien | |
die Zitronen der sonnenbeschienenen Küste die besten. Groß wie Pampelmusen | |
dickwandig, bittersüß – sfusato amalfitana heißt die amalfitanische Sorte. | |
Aceto nimmt so eine Riesenfrucht vom Baum, sagt „leg sie ins Gefrierfach | |
und iss sie mit Schale, wenn sie gefroren ist.“ Mit Zucker? „Nein, mit | |
Salz.“ Gourmetköche denken sich auch immer neue kulinarische Kreationen mit | |
der essbaren Schale aus. Nur: Die Pflege der Zitronen in den | |
Terrassengärten, die gleichzeitig Landschaftserhaltung ist, zahlt sich | |
nicht aus. | |
Unten im Ort, bis zu dem es mindestens 500 Stufen sind, sagt Anna, die | |
Cousine von Acetos Frau, die in Nürtingen geboren ist, aber zurück in ihre | |
Vaterheimat zog, dass das Weiße der Zitrone der beste Schutz gegen | |
Krankheit sei. „Und unsere Zitronen haben viel vom Weiß.“ Auch sie beklagt, | |
dass sich die Zitronen, deren Blüten doch der Küste ihren Duft, ihre | |
orchideengleiche Rosenschwere, geben, nicht mehr lohnten. Zitronen blühen | |
und reifen gleichzeitig – der Duft hört nie auf. Aber die Jungen wollen die | |
Arbeit in den Zitronenhainen nicht machen. Wie Antonio, der die Zitronen | |
liebt, die Landschaft, aber die schwere Arbeit? | |
Und hat er eine Alternative? „Nein, hat er nicht.“ Und dann wandern die | |
Jungen ab: in die Städte im Norden, in die Länder im Norden, sagt die | |
Cousine – wie es ihr Vater tat. | |
## Vom Traum blieb die Kunst am Hang | |
Salvatore Aceto wollte eigentlich Designer werden, er liebe es zu zeichnen, | |
zu malen,. Er wollte nach Salerno, um dort Kunst zu studieren, sein Vater | |
sagte zuerst si und dann sagte er no – und no duldete keinen Widerspruch. | |
„Das war diese Vatergeneration, die dachten so und erwarteten, dass gemacht | |
wird, was sie sagen“, erklärt Ornella. Der Vater hatte die Zitronenhaine | |
gekauft, hatte sich in den Papiermühlen hinter Amalfi verdingt, hat | |
nebenbei mit einem Pferdekarren die Früchte zum Markt gefahren – und so ein | |
Auskommen. „Aber jetzt kriege ich nur noch 50 Cent fürs Kilo“, sagt Aceto. | |
Trotzdem liebt er nach vierzig Jahren die Bäume. Liebt Zitronen, all | |
natural, sagt er. | |
Nebenan noch ein Zitronenbauer, der sich Ferienzimmer in jenen Hain gebaut | |
hat, von wo Meer und Berge gleichzeitig im Blick sind. Alles ist auch hier | |
Bellavista. Anders als Aceto, der ein Bewahrer ist, ist Vincenzo Mansi ein | |
Fuchs. Er hatte kein Haus in den Bergen, das er hätte umbauen können, er | |
hat sich – je nach seiner Gesprächsstimmung, mal zehn, mal fünfzehn | |
Genehmigungen holen müssen – eines zu bauen. Jetzt hat er sechs Zimmer mit | |
Frühstück. | |
Sein Plus ist Maria, seine Frau, eine begnadete Köchin. Sie sorgt dafür, | |
dass Halbpension ein Vergnügen ist. Mansi, der Geschäftsmann, hat sich | |
einen holprigen Betonweg in die Berge gebaut; mit seinem klapprigen Fiat, | |
transportiert er die Gäste die engen Serpentinen hoch, setzt in jeder Kurve | |
drei mal vor und zurück, um überhaupt hochzukommen. Er habe Aceto | |
angeboten, gemeinsam eine Straße anzulegen, aber Aceto wolle nicht. Und | |
dann wechselt er das Thema: von den Zitronen zum Zitronenlikör. Seiner sei | |
der Beste. | |
„Die ersten Jahre war ich sehr unglücklich“, sagt oben in seinem | |
Zitronenhain Salvatore Aceto, „aber wenn man sieht, wie die Bäume wachsen, | |
dann werde ich stolz.“ Warum? „Weil sie schön sind. Der Zitronenhain ist | |
sein Kunstwerk. | |
23 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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