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# taz.de -- Slow Food an der Amalfiküste: Edle Tropfen
> Ein Fischerdorf in Italien wehrt sich gegen den Massentourismus. Und
> profiliert sich dabei als Heimat einer ganz besonderen Fischsoße.
Bild: Cetara wehrt sich gegen die touristische Totalvermarktung – mit Sardell…
An der Amalfiküste ist der Süden blau. Die Badestrände sind kleine Buchten,
vor denen bunte Boote schaukeln. Pastellfarbene Fischerdörfer ranken sich
an Felswänden hoch. Verbunden werden sie von einer kurvigen Straße, auf der
Vespa-Roller knattern und Busse den Verkehr lahmlegen. Und [1][am Berg
blühen die Zitronen] in angelegten Terrassenhainen. Schon seit 1997 gehört
die paradiesische Küste, die südlich von Neapel liegt, zum Welterbe der
Unesco.
Eigentlich wäre alles perfekt, gäbe es da nicht die Reisebusse und
Kreuzfahrtschiffe, die vor allem die bekannten Sehnsuchtsorte Amalfi und
Positano mit Menschenmassen fluten. Und dazwischen suchen auch noch all die
anderen Touristinnen und Touristen einen Platz, um den Blick auf das
glitzernde Meer zu genießen. Es ist wie anderswo. [2][Der Massentourismus
hat die Küste fest im Griff.] Die gesamte Küste? Nein. Ein kleines Dorf
wehrt sich gegen die touristische Totalvermarktung und setzt dabei
Sardellen ein oder besser gesagt ihren schmackhaften Saft, mit dem
Spaghetti oder andere Speisen gewürzt werden: die Colatura di Alici aus
Cetara.
„Wir wollen unsere Identität und unsere Traditionen als Fischerdorf und als
Gemeinschaft bewahren“, erklärt Secondo Squizzato, ehemaliger Bürgermeister
des Ortes, der nahe Salerno im südlichen Teil der Küste liegt. Seit 20
Jahren mobilisieren er und das lokale Tourismusbüro Pro Loco die
einheimischen Fischer, Hersteller und Gastronomen. Sie haben den Verein
Amici delle Alici gegründet, dem Squizzato vorsitzt und der von Anfang an
von der italienischen Slow-Food-Bewegung unterstützt wurde. Ihr Anliegen
war einerseits der Schutz der Einzigartigkeit ihrer Fischsauce und
andererseits eine Vermarktung, bei der es nicht nur um das Produkt, sondern
auch um den besonderen Ort und die besondere Kultur der Fischerei und der
Herstellung geht.
Jetzt haben sie sich durchgesetzt. Seit 2020 darf die Colatura di Alici aus
Cetara das DOP-Gütezeichen tragen. Das Siegel heißt auf Deutsch „geschützte
Ursprungsbezeichnung“ und wird von der Europäischen Union für Lebensmittel
vergeben, deren spezifische Qualität von ihrer Herkunftszone abhängt. Die
Colatura di Cetara ist das einzige Produkt der Fischverarbeitung in der EU,
das diese Auszeichnung tragen darf, obwohl auch anderswo traditionelle
Fischsoßen hergestellt werden.
„Darauf haben wir lange gewartet“, sagt Giulio Giordano. Er und sein Bruder
Vincenzo sind die dritte Generation in der Familie, die aus frischen
Sardellen salzige Soße presst. In ihrem kleinen Laden, der im oberen Teil
des Dorfes an der Küstenstraße liegt, verkaufen sie die Flaschen mit ihrem
Markennamen Nettuno. In den Räumen nebenan verarbeiten sie den Fisch. Beim
Eintreten riecht es streng, doch man gewöhnt sich schnell daran. Die
Gebrüder Giordano sind die Einzigen, die noch mitten im Ort produzieren.
Die anderen haben sich größere Hallen außerhalb des Dorfzentrums gesucht.
„Wir sind die ältesten, aber auch die kleinsten Hersteller“, erklärt
Giulio. Und auf beides ist er stolz.
Wie vor hundert Jahren bekommt er auch heute noch morgens die fangfrischen
Sardellen von den örtlichen Fischern geliefert. Sie werden sofort und mit
einer einzigen Bewegung von Kopf, Rückengräte und Innereien befreit und in
Fässern aus Kastanienholz mit Salz geschichtet. Obenauf kommt eine
Holzscheibe mit Gewichten. Nach ein paar Wochen beginnt es aus dem Loch im
Unterboden zu tropfen. Aber bei den Giordanos müssen die Sardellen, die
sich im Nebenraum in den kleinen Fässern stapeln, erstmal drei Jahre
reifen. „Wie guter Wein“, zwinkert Giulio. Bei den anderen Produzenten geht
es schneller. Aber bei ihren edlen Tropfen machen die Brüder keine
Abstriche, bis heute. Es geht um das Aroma, sagen sie. „Der Vater
kontrollierte die Fässer jeden Tag“, erinnert sich Vincenzo.
Früher durften sie noch die Felsgrotten im Dorf zur Lagerung nutzten. Aber
das wurde dann von der Gesundheitsbehörde verboten. Um ihre traditionellen
Holzfässer haben sie aber erfolgreich gekämpft. Und bis heute beginnt und
endet der Produktionskreislauf hier bei ihnen im Dorf. Die ausgepressten
Sardellenreste werden wieder zu Fischfutter. Kaum ein anderes Lebensmittel
ist nachhaltiger.
Dennoch haben die Brüder, die beide im Rentenalter sind, keine Nachfolger.
Die Kinder interessieren sich nicht für den Job. Natürlich können die
Giordanos ihren guten Firmennamen verkaufen. Aber ihr persönliches
Know-how, ihr ganzes Wissen um die Feinheiten der Colatura geht verloren.
Dabei ist der salzige Saft, den bis vor 30 Jahren kaum jemand außerhalb der
Amalfiküste kannte, auf dem Weg, die Welt zu erobern.
## Leuchten, um Fischschwärme anzulocken
Aber das geht natürlich nur so lange, wie die Fische vor Cetara schwimmen.
Denn in die echte Colatura kommen natürlich nur die heimischen Sardellen.
Bis jetzt hat Domenico Giordano, Fischer und nicht verwandt mit den
Nettuno-Brüdern, noch keine Probleme. „Durch die Meeresverschmutzung werden
die Fische weniger, aber Sardellen für die Colatura holen wir noch genug“,
sagt er. Cetara war früher auch der größte Thunfischlieferant Europas, aber
darauf sind heute nur noch ein paar Fischer spezialisiert.
Domenico steht in Gummi-Cloggs auf seinem Boot im Hafen von Cetara, der
noch ein echter Fischerhafen ist, und legt die Netze zurecht. Heute abend
zwischen sieben und acht fährt er hinaus und morgens gegen halb vier kommt
er zurück. Der 61-Jährige war schon als Kind auf dem Boot, mit Vater und
Großvater. Heute hat er eine siebenköpfige Besatzung. Die Sardellen werden
mit einem Netz gefangen, das erst ausgebreitet und dann wie ein
schlauchförmiger Sack geschlossen wird und auf Italienisch cianciolo heißt.
Es kann 2000 Kilo fassen, die sind aber nur selten drin. Benutzt werden
auch zwei starke Leuchten, lampare genannt, um die Fischschwärme
anzulocken.
Die neuen DOP-Regeln ändern für Domenico wenig. „Wir machen unsere Arbeit,
wie wir es immer getan haben“, erklärt er. Die alici müssen allerdings eine
bestimmte Größe erreichen und dürfen nur in den Monaten Mai und Juni und
nicht allzuweit entfernt von der Küste gefischt werden. Domenico hat feste
Abnehmer. Die Geschäfte machen ihm weniger Sorgen als der Zustand des
Meeres. „Noch schlimmer als das Plastik sind die Abwässer“, sagt er. Und
dass ihre Ursache der Massentourismus sei, der die Amalfiküste inzwischen
in fast allen Jahreszeiten überrollt.
Auch Cetara bleibt davon nicht verschont, aber alles in allem geht es doch
ruhiger zu als im Souvenir-Suk von Positano. Immerhin gibt es am Hafen noch
die alte Bar der Fischer, wo man auf das Meer und die Boote schauen kann.
Und es gibt noch alteingesessene Restaurants mit traditioneller Fischküche,
bei denen die Spaghetti alla colatura di alici auf der Karte stehen.
Früher war die Würzsauce eigentlich für den Hausgebrauch gedacht. Jede
Familie hatte ihr eigenes Fässchen. Die Colatura war rechtzeitig zu
Weihnachten fertig und bekam dann den richtigen bernsteinfarbenen Schimmer,
um am Heiligabend mit den Spaghetti auf den Tisch zu kommen. Ihr Vorläufer
war das Garum, die Fischsauce des antiken Roms, bei der allerdings auch der
Kopf und die Innereien verarbeitet wurden. Bis heute machen viele Familien
in Cetara ihre Colatura selbst.
Auch das Restaurant San Pietro, wo die Fischsauce zum ersten Mal Gästen
serviert wurde, verzichtet bis heute nicht auf die eigene Herstellung. Für
Kellner Enrico De Crescenzo, der auf der buntgekachelten Terrasse des
Lokals seit 30 Jahren serviert, ist das Ehrensache. Und er stellt klar:
„Die echte Colatura kommt nur von hier.“ Wie alle im Dorf warnt er vor
Imitationen. Für Secondo Squizzato und seine Mitstreiter um das
DOC-Gütesiegel ist das ein großer Erfolg. Denn wenn es um die Fischsauce
geht, sind in Cetara alle einer Meinung. Und das kommt hier genauso selten
vor wie anderswo.
4 Oct 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Michaela Namuth
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